My own quest is a transmission of energy. Interview mit Marc O’Callaghan von Coàgul

Wahrscheinlich ist es die enorme Energiegeladenheit, die einem als erstes ins Auge springt, wenn man zum ersten mal Marc O’Callaghan bei einer Show seines Projektes Coàgul auf der Bühne sieht. Gleichzeitig entsteht der Eindruck, dass die druckvolle elektronische Musik des Katalanen, die immer wieder – etwas vorschnell? – mit klassischer ritueller Elektronik wie TG oder frühen Coil verglichen wird, ganz spontan entstanden ist – improvisiert, aus der Stimmung heraus oder einer inneren Notwendigkeit folgend entstanden. Das gleiche gilt für die Performances und die Zeichnungen des vielfältig aktiven Künstlers. Bei O’Callaghan steht all dies in keinem Widerspruch zu teilweise minutiös durchdachten Konzepten, bei denen Aufnahmen meist im Zeichen starker Symbolik stehen. Vielleicht ist diese Mischung aus Improvisationsgeist und Konzeptualität auch gerade richtig bei einem Projekt, das sich ganz dem Koagulieren, dem Zusammenbringen und Bündeln von zerstreuten Energiefetzen verschrieben hat. Hört man Marc reden, bekommt man schnell den Eindruck einer unaufhaltbaren Kreativität, und sicher ist, das man in Zukunft noch einiges mehr von ihm und Coàgul hören wird. Hier nun sein erstes Interview in deutscher Sprache.

English Version

Du bist Musiker und bildender Künstler, letzteres hast du auch studiert, aber wahrscheinlich hast du schon viel früher mit Kunst irgendwelcher Art begonnen. Was kannst du uns über deinen Hintergrund und Anfänge erzählen?

Nun, ich schätze, ich könnte sagen, dass ich die sogenannten kreativen Sachen schon mache, seit ich mich erinnern kann. Ich könnte die archetypische “Künstlergeschichte” erzählen, dass ich ein sehr kreatives Kind war seit ich denken kann, dass ich ein auserwähler Junge mit Superkräften war, von Gott gesandt mit einer heiligen Mission auf Erden; und es wäre wahr, aber ich möchte euch lieber nicht langweilen damit. Sagen wir lieber, dass ich keinen bezeichnenden Hintergrund ausmachen kann, ich denke es ist ein mehr oder weniger vage fortschreitender Prozess, vorangetrieben vom unerwarteten Lernen hier und da.

In welchem Ausmaß gehören Musik und Artwork für dich zusammen? Ist Coàgul mittlerweile ein Rahmen, der das alles umfasst?

Musik und Artwork sind zwei verschiedene Arten, Ideen zu manifestieren. Die eine Sache vervollständigt die andere und umgekehrt. Bei Coàgul war es anfangs so, dass das Visuelle im Großen und Ganzen auf Kollagen basierte, die ich aus Fotokopien von Reinassence-Gemälden angefertigt hatte. Daneben machte ich schon diese automatischen Zeichnungen, was später meine übliche Art des Zeichnens wurde. An einem Bestimmten Punkt merkte ich, dass die Musik von Coàgul und diese Zeichnungen ganz gut miteinander verschmolzen sind.

Warum hast du dich für Coàgul als Name entschieden?

Ich suchte einen Namen in Katalanisch, der trashig und altertümlich zugleich klang, so wie die Namen einiger Hardcore Punk-Bands, die ich damals viel hörte, oder wie die legendäre katalanische Heavy Metal-Band Sangtraït. So notierte ich mir erst einmal eine sehr lange Liste mit potenziellen Namen. Aber dann wollte ich doch eher einen Namen nehmen, der auf mehr oder weniger verschlüsselte Art den Grund benennt, warum ich machte, was ich machte. Als ich die Liste noch einmal las, war mir ganz plötzlich klar, dass Coàgul der richtige Name sein musste, denn mir wurde klar, dass meine Intention genau definiert werden konnte bei dem, was die Hermetik “Koagulation” nennt: etwas wiederverbinden, was zuvor zerstreut worden ist. Meine ursprüngliche Idee mit diesem Projekt war es, Songs zu produzieren, die alle als eine Art Akkumulation oder Kondensation spezifischer Archetypen oder universeller Ideen oder kosmischer Prinzipien oder wie du es nennen willst, fungieren. Wenn ein Song gespielt wird, tritt der Hörer in Kontakt mit diesem speziellen kosmischen Prinzip in all seinem Glanz. Die Welt, in der wir heute leben, dreht sich völlig um Auflösung und Zerstreuung, so war es dann meine Absicht, eine Art “notwendiger Konzentration” zu bewerkstelligen. Ich mag die Idee eines Namens mit verschiedenen Schichten von Bedeutung, die von den Profanen und von den Eingeweihten unterschiedliche gelesen werden können.

Es gibt Musikgenres, in denen okkulte Referenzen recht häufig vorkommen und in vielen Fällen scheinen sie nur dafür da zu sein, die Musik etwas interessanter zu machen oder bestimmte mit einem Genre verbundene Erwartungen zu erfüllen. Ich fand immer dass Coil zu den wenigen Künstlern zählten, die Referenzen an “Magic(k)” in einer geschmackvollen und originellen Art einbrachten, und auch deine Anspielungen lassen ein tieferes Interesse vermuten. Würdest du sagen, dass das Okkulte die Hauptmotivation deiner Arbeiten ist?

Ich würde sagen, das Okkulte (oder genauer: Symbolismus) ist nur die Sprache, mit der ich die Ziele meiner Arbeit zu erreichen versuche. In den Elementen des Ausdrucks, die ich verwende, versuche ich dies neben der allgemeinen Sprache oder den einfachen poetischen Bedeutungen. All dies bezieht sich gleichzeitig auf bestimmte universelle Archetypen, mit denen ich gerne spiele, um ihnen allen einen Platz in der langen, unsichtbaren Kette primordialer Tradition zu geben; und diese Traditionen auf die eine oder andere Art zu “hacken”, in dem ich versuche, einen aktiven Part in der fortlaufenden Kosmogenese der Wirklichkeit einzunehmen. Aber mit der Zeit wird mir auch immer mehr klar, dass es nicht nötig ist, meine Arbeiten so esoterisch amnuten zu lassen, damit sie esoterisch sind. Tatsächlich ist es eher noch andersherum. Und genau da denke ich, dass ich in der Vergangenheit oft gescheitert bin, und andere selbsterklärte okkulte Künstler scheitern dort nach wie vor. Ich kann über tiefe, kosmische Fragen auf sehr oberflächliche und profane Art reden und umgekehrt. Wenn “okkult” lediglich “versteckt” bedeutet, was für einen Sinn hat es dann überhaupt, dieses Wort zu gebrauchen, wenn du alles zeigst? Andererseits denke ich manchmal, dass man manchmal gar nicht anders kann, als eine Kette von Symbolen herauszukotzen. Die hauptsächliche Motivation meiner Arbeit ist das, was ich am Ende der letzten Antwort erklärt habe, und das Okkulte mag nur ein Medium sein, das sich in vielen Variationen manifestiert, die viele Werke hervorbringen.

Folgst du v.a. deiner eigenen Suche, oder geht es dir ebenso sehr darum, dass sich Energie auf das Publikum überträgt?

Meine eigene Suche überträgt Energie auf das Publikum.

Was die Verbindung zwischen der Musik und den zugrundeliegenden Konzepten abgeht – was kommt zuerst, wenn du an einem neuen Stück arbeitest?

Es gibt zwei Linien oder Arten von Arbeiten. Eine Art (die man als “die trockene” bezeichnen könnte) besteht darin, zuerst ein bestimmtes Ziel zu lokalisieren (wagering) und dann die Worte zu finden, die ihnen Ausruck verleihen (consecution). Dann kommt die Synthesizer-Grundlage, die den “physischen Körper” des Sounds bereitstellt, um den Bau des Songs zu vollenden. Die andere Art (sie könnte man dann “die feuchte” nennen) besteht darin, ein oder mehrere sinnliche Elemente zu nehmen, die ohnehin schon in meinem Hinterkopf herumwandern (vielleicht ein paar Akkorde von einem schon existierenden Song, den ich mag, oder die numerologische Struktur eines bestimmten Rhythmus, oder die Faszination für eine bestimmte Art Sound, oder die Neugier, bestimmte linguistische Formen auszuloten) und durch die experimentelle Verknüpfung einiger dieser Elemente versuche ich, ein Gefühl oder eine Idee zu “entziffern”, die die Elemente triggern, die den Song vervollständigen. Ohne Intention gehe ich je nach meiner momentanen Verfassung auf die eine oder andere Weise vor, oder manchmal verschmilzen sie auch in einem ausgewogenen Verhältnis. „La Forja Centrípeta“ und „Semanario Químico“ zum Beispiel sind komplett auf die erste Art entstanden, das „Ascensor Genital / La Mort És Dolça“-Tape oder einige Songs auf „La Roda de la Justícia“ dagegen auf die zweite Art.

Auf “Semanario Químico“ spielen die vier Elemente eine wichtige Rolle und kommen immer wieder in den Lyrics vor. Was kannst du zum Konzept des Albums sagen? In welchem Maß spielen Ideen über Alchemie eine Rolle in deinen Arbeiten?

In diesem Album geht es um die vertikalen Bezogenheiten aller sieben horizontalen Ausrichtungen: sieben Wochentage, sieben Planeten, sieben olympische Götter, sieben Metalle, sieben Körpergewebe, sieben Düfte, sieben elektromagnetische Kräfte. Sieben Arten oder Voraussetzungen des Daseins, um es zusammenzufassen. Jede dieser sieben Dispositionen ist geformt durch die Kombination von mehreren der vier Elemente. Deshalb gibt es in der dritten Zeile jeder Strophe eines Songs immer eine Referenz zu verschiedenen Elementen. Das zeigt dann, wie das Prinzip der vier (die erschaffene materielle Welt, die unbewegte Natur) in Addition mit der drei (Bewegung, Transzendenz der Dualität) das Prinzip der sieben (Handlung in der Welt) hervorbringt. Auf diese Weise spielt Alchemie in meinen Arbeiten die gleiche Rolle wie jedes andere System von Korrespondenzen, das uns befähigt, die immerwährende Tradition mit den profanen Dingen des täglichen Lebens zu verbinden, und das letztlich das universelle Bedüfnis des Menschen erfüllt, im Einklang mit der kosmischen Ordnung zu leben und eines Tages selbst Gott zu werden.

Der Begriff ‘Ritualmusik’ wird oft als eine Stilbezeichnung benutzt. Würdest du Coàgul als ein rituelles Projekt bezeichnen in dem Sinne, dass die Performanches als Rituale gedacht sind?

Ja, absolut. Mehr noch als eine bestimmte theatralische Ästhetik ist ein Ritual ein programmierter sozialer Rahmen, in welchem die gewöhnliche Zeit unterbrochen ist, um eine Verbindung zur Heiligen Zeit zu schaffen, eine Zeit, die eine Art ewige Gegenwart ist. Ja, das ist genau das, was ich in meinem Performances versuche.

Deine Musik erscheint oft in (sehr) kleinen Auflagen. Denkst du, dass deine Musik nur für eine kleine Anzahl an Menschen bestimmt ist?

Nein, überhaupt nicht. Das ist bis heute so, weil die Labels, die die Veröffentlichungen herausbringen, entweder ihre wirtschaftlichen Grenzen haben oder von sich aus ein exklusives und schwer zu findendes Werk machen wollen, das mit der Zeit im Wert steigt. Ich denke aber auch, dass meine anfänglichen Ziele erreicht werden, wenn erst einmal mehr Menschen meine Musik kennen. Die Tore des Himmels müssen zerschmettert werden!

Inwiefern ist das verwendete Medieum (Tape, CD, etc.) wichtig für eine Arbeit? Gibt es Stücke, die nur zu einem bestimmten Medium passen?

Das Medium ist wichtig im Hinblick auf den Grad seiner Zeitlichkeit. Der Mechanismus des Tapes zum Beispiel impliziert, dass es zyklisch reproduziert werden muss, insofern dass du am Beginn einer neuen Seite bist, sobald du die erste zuende gehört hast. Ich sehe dies als ein Symbol der graduellen Beziehung von Gegensätzen, eine Art Ouroboros. Wenn ich also ein Angebot zur Veröffentlichung eines Tapes bekomme, dann halte ich Ausschau nach einem Gegensatzpaar, dass dann die beiden Songs bzw. Seiten hervorbringt. Um das mit einem Beispiel zu illustrieren, erzähle ich euch, dass ich gerade an zwei Stücken für ein Tape arbeite, deren Lyrics forlgendermaßen verfasst sein werden: Jede Seite wird zehn Verse beinhalten, und jeder Vers wird mit einem Syntagma beginnen und mit einer Frage enden. Wenn du die Frage hörst und dir genau an der Stelle die andere Seite der Kassette anhörst, dann hörste du die Antwort dazu. Wenn ich etwas auf Vinyl herausbringe, konzipiere ich das in einer ähnlich dualistischen Weise, aber mit dem Gedanken, dass es für die Hörer viel einfacher ist, zwischen den Tracks zu skippen. Wenn es sich um eine CD oder direkt um mp3 handelt, versuche ich Songs zu machen, die in der Hinsicht freier sind, Arbeiten, deren Teile gleich funktionieren, auch wenn sie Permutationen, Fragmentierung und willkürlicher Anordnung ausgesetzt sind. Um es in Deleuze’ Begriffen zu sagen: Tape und Vinyl arbeiten in einer geordneten Art und Weise und angetrieben nach einem initiatorischen Programm, wie ein Baum; das digitale Format arbeitet viel chaotischer und angetrieben von einer kontingenten Notwendigkeit, wie ein Rhizom. Manchmal folgen auch CDs einem Programm, aber anstelle eines Zyklus ist es mehr eine Art one way trip. Wie dem sei, in jedem Fall spielt das Format eine wichtige Rolle als Element, das eine Arbeit konzeptuell bestimmt.

Abgesehen davon impliziert jedes Format einen bestimmten Zugang im Hinblick auf die Konzentration. Ein Hörer, der eine Aufnahme am Rechner hört, macht eventuell etwas nebenbei, ein Album auf Plattenspieler zu hören ermutigt vielleicht zu einer etwas ritualisierteren Hörerfahrung. Aber ich denke, das ist ziemlich subjektiv, und die genau entgegengesezte Situation kann vorkommen, je nach den besonderen Tugenden und Lastern des jeweiligen Hörers. Mit der letzten LP „Tot Encaixa!“ beispielsweise wollte ich das Hochladen zum online hören vermeiden, hauptsächlich weil ich dachte, dass die Songs ein etwas aufmerksameres Hören erfordern, um sie so zu erfahren, wie sie erfahren werden sollten. Auch weil der erste Song auf jeder Seite sehr ernste Fragen enthält, die die Hörer in einer reflexiveren Situation wahrnehmen sollten als in der Zerstreuung und Hyper-Simultaneität dieses chaotischen psychischen Meeres, welches das Internet darstellt.

Sind Performances und Veröffentlichungen ähnlich wichtig für Coàgul? Wie würdest du den Unterschied zwischen deinen Konzepten im Live-Kontext und auf Tonträger erklären?

Quantitativ haben sie genau die gleiche Wichtigkeit, aber sie sind von der Qualität her völlig entgegengesetzt: Auf Platte werden Konzepte als Doktrin transportiert, als ein Heiliger Text, als Theorie; in einem Live-Kontext sind die Konzepte durch eine Erfahrung in Echtzeit vermittelt (für mich und das Publikum), und die Realisierung der Doktrin vollkommen abhängig von den Gegebenheiten von Raum und Zeit. Andererseits muss ich sagen, dass beide Richtungen sich in ihr Gegenteil verkehren können, wenn man sie an ihre Grenzen bringt. Ist ein Konzert derart archetypisch und zeitlos, dann kann es alle Attribute einer Doktrin bekommen. Wenn eine Platte in der effektivsten Weise gehört wird, die möglich ist, dann kann das vielleicht die gleiche Konsequenz haben wie eine rituelle Live-Action.

Wie essenziell ist Humor in deiner Arbeit? Denkst du, Underground-Musik braucht mehr davon?

Abgesehen davon, dass Humor die Distanz zwischen Sprecher und Hörer überbrückt, zeigt er, dass du nichts zu verstecken hast und dich so menschlich-allzumenschlich zeigen kannst, wie du bist. Wenn sich Bands zu ernst geben, denke ich, dass sie eine Menge an Unsicherheit zum Ausruck bringen, vielleicht ohne es zu wollen. Wenn Leute so ernst sein wollen bei den Dingen, die sie tun, sind sie mir suspekt. Über sich selbst zu lachen ist eine fast schon masochistische Art sich zu verteidigen, ein Akt der Liebe, ein Weg, dich in eine niedrigere Position als den Zuschauer zu stellen, um zu zeigen, dass man letztlich aus dem gleichen Fleisch und Blut gemacht ist.

Welche Musik hörst du im Moment selbst, wenn du nicht gerade an deiner eigenen arbeitest? Irgendwelche Geheimtipps?

Ich höre alle Arten von Musik. Ich passe immer auf, was es gerade für Hypes gibt, denn auch wenn ich noch so sehr versuche, aktuelle Trends zu vermeiden, beeinflusst mein Umfeld ja doch alles, was ich mache. Es ist eine Frage der Verbindung mit dem “Zeitgeist”… Wenn du die Wirklichkeit beeinflussen willst, muss alles, was du machst mit den Parametern deines unmittelbaren Raum-Zeit-Kontextes auf einer Welle sein. Etwas anderes, das ich so oft es geht mache (und ein “Geheimtipp”, den ich wirklich jedem ans Herz legen würde) ist, dass ich mich dazu zwinge, Sachen zu hören, die ich auf den ersten Eindruck nicht mag. Mehr und mehr wird dein Geschmack reifen und deine Kreativität wird ein weiteres Feld an Möglichkeiten haben, um sie zu erforschen. Deshalb sehe ich mir so gerne diese Mainstream-Musikvideos im Fernsehen an mit den fürchterlichen Songs, wenn immer ich dazu komme. Wir können von beschissener Musik eine Menge lernen, weil sie in ihrem Kern echte funktionale Muzak ist, was sie ja durch ihren Effekt auf die Bevölkerung beweist und ihre selbst-erhaltende kapitalistische Endloskette an Wiedergeburten.

Du benutzt die katalanische Sprache sehr häufig in Titeln, Lyrics und begleitenden Texten. Hat das hauptsächlich damit zu tun, dass Katalanisch deine Muttersprache ist, oder spielt da auch ein gewisses regionales Element eine Rolle in deiner Musik?

Katalanisch ist meine Muttersprache und die Sprache, in der ich meine inneren Gedanken artikuliere, aber ich bin überhaupt kein katalanischer Nationalist (ebensowenig ein spanischer). Wenn du den Wert dieser Sprache würdigst, dann ist es wegen ihrer lokalen Implikationen: Ich finde den Gedanken reizvoll, dass die Verwendung des Katalanischen für meine Lyrics meine Arbeiten in einen lokalen Kontext bettet, und dadurch wird das Werk so etwas wie ein archivierendes Dokument eines partikularen Teils der Geschichte oder einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort. Anfangs gebrauchte ich es nur weil ich von dem Klang nach Blut und Eisen so fasziniert war, den ich als Kind durch die Band Sangtraït entdeckte. Bisweilen hatte ich die universelle Idee im Kopf, jede mögliche Sprache zu verwenden, je nach dem, an welches Publikum ich mich gerade richtete; und deshalb veröffentlichte ich eine Reihe an Aufnahmen in Spanisch, weil sie von Labels in Madrid veröffentlicht wurden, oder das Split-Tape mit Dvnkel Reich, da er in der Regel auf Spanisch singt, was ich dann auch tat, damit ein etwas einheitlicheres Werk dabei herauskam. Der erste Release von Coàgul hieß „Wargasm!“, denn es sollte an die ganze Menschheit gerichtet sein. Aber ich sah immer mehr, dass der katalanische Gesang dem Projekt einen archaischen Folkcharakter gab, der auch für ein nicht-spanisches Publikum attraktiv sein könnte aufgrund seiner Exotik; und von dem Moment an wurde das Katalanische zu einem sprachlichen Vehikel für Coàgul, bis zu dem Punkt, dass ich es schon als eine Art Heilige Sprache wie Latein betrachte, das auch Jahrhunderte nach seinem Tod immer noch benutzt wird in der Katholischen Kirche oder in lokalem Slang, und das entziffert werden muss in jedem anderen Land, das Zugang zu den metaphysischen Enthüllungen finden will, die in Texten enkodiert sind. Ich mag es außerdem sehr, dass Katalanisch für die Leute um mich herum so vertraut klingt. Und dass es in einer solchen Musik funktioniert, beobachten sie mit einem heiteren Unglauben. Ein Freund erzählte mir einmal, dass, als er zum ersten mal Coàgul gehört hatte, sein Glaube an den Gebrauch des Katalanischen wiederhergestellt war.

Als ich in Barcelona war, hat mein Kollege, der fließend Spanisch spricht, mehrmals die Erfahrung gemacht, dass Leute lieber auf Englisch als auf Spanisch antworteten. Welche Rolle spielt das Katalanische für dich und andere im Alltag?

Ich weiß nicht, wie es deinem Freund ging, aber ich denke, das ist ein eher untypischer Fall. Vielleicht dachten die Leute, dass es auf Englisch einfacher für ihn sei, oder sie nutzten einfach die Gelegenheit, ihr Englisch ein bisschen zu praktizieren. Genau so geht es auch mir, wenn ich im Souvenier-Laden der Kathedrale (gemeint ist die im Barri Gòtic gelegene La Catedral de la Santa Creu i Santa Eulàlia, Anm. d. Red.) arbeite, wo die meisten Kunden Touristen sind, da stellt sich mein mentaler Autopilot sofort auf das Englsiche ein, was meist schneller und ergiebiger ist. Abgesehen davon gebe ich ehrlich gesagt keinen feuchten Dreck auf die Spanisch vs. Katalanisch-Kontroverse. Die meisten, die die eine oder die andere Seite verteidigen, haben als vermeindlich antagonistische Gruppen mehr miteinander gemeinsam (letztlich leben sie auf die gleiche Art und sind gefangen in den gleichen engstirnigen mentalen Schemata), als mit mir oder mit Menschen, die ich liebe. Ob es um die eine oder andere Farbe, um Sprache, um Symbole oder was auch immer geht, die wirtschaftlichen Lobbies sind immer der gleiche Mist: Immer wieder kleiden sie sich in die Deckmäntel des Idealismus und der guten Absichten, aber am Ende interessieren sie sich nur für die Befriedigung ihrer grenzenlosen Gier. Macht sieht nichts anderes als sich selbst. Obwohl Katalanisch wie gesagt die Sprache ist, in der ich seit jeher denke und spreche, gebrauche ich im Alltag immer die Sprache, mit der es am einfachsten ist, mit anderen zu kommunizieren. Ich wünschte, ich könnte alle existierenden Sprachen sprechen.

Es gibt eine ziemlich rührige Underground-Musikszene in um um Barcelona mit Bands, Konzerträumen, Labels und Plattenläden, aber all das ist außerhalb der Region längst nicht so bekannt wie es sein sollte. Denkst du so etwas wie ein “Catalan Occult Psychedelia”-Hype (angelehnt an die sogenannte “Italian Occult Psychedelia”) könnte dazu beitragen, dass der Name der Stadt in Zukunft etwas dicker gedruckt wird?

Ich denke nicht, dass so eine “Catalan Occult Psychedelia” je existieren könnte, schon deshalb, weil ein Okkultist zu sein ja bedeutet, dass du an immanente oder transzendente Wesenheiten glaubst, die unabhängig von der Menschheit existieren können, und ich glaube niemand in der katalanischen Musikszene glaubt an irgend etwas, das jenseits des Menschlichen oder Materiellen ist. Nur wenige von uns glauben an irgendeinen Gott. Auch denke ich nicht, dass das Label “Psychedelic” passt, den einerseits sind die Leute, die psychedelische Musik spielen, nicht sehr psychedelisch im metaphysischen Wortsinne, auf der anderen Seite sind Menschen, die man in ihrer Essenz als wirklich psychedelisch bezeichnen könnte, selten an psychedelischer Musik interessiert (was ich sehr gut verstehen kann). In jedem Fall denke ich nicht, dass es in der katalanischen Musik irgend einen gemeinsamen stilistischen Nenner gibt, der sich als Bezeichnung anbieten würde, zuminest bis heute. Sollte Barcelonas Name jemals etwas größer gedruckt werden, dann wahrscheinlich für ganz andere Dinge als einen hypothetischen Musikstil. Es gibt hier eine Menge an kleinen Kreisen von Leuten, die viel zustande bringen, das ist wahr, aber jeder auf seine eigenen Art. Es gibt keine Einheit. Aber ich denke, das ist auch kein lokales Phänomen, es passiert wohl überall so auf der Welt als Folge der Geschwindigkeitszunahme im Zuge der Globalisierung und der Hypersimultaneität des Internet-Lifestyles. Meine Position ist, dass wir weiterhin machen sollten, woran wir wirklich glauben, und die Zeit wird es zeigen.

Soweit ich weiß, planst du ein Split-Tape mit Escama Serrada und ein neues Album auf Nekofutschata. Was kannst du uns darüber erzählen?

In dem Moment, wenn ich dies schreibe, ist die neue LP auf Nekofutschata schon draußen und über den TUT/RUR-Vertrieb zu bekommen. Sie heißt „Tot Encaixa!“ und enthält drei Stücke auf jeder Seite. Die sechs Stücke wurden in der gleichen Session wie „La Forja Centrípeta“ aufgenommen, im April 2014 in Barcelonas La Cova De La Bèstia mit Unterstützung von Daniel Muerte (Bassist der katalanischen Punkband Una Bèstia Incontrolable). „La Forja Centrípeta“ war ein sehr programmatisches und konzeptuelles Album, und die anderen sechs Songs waren mehr frei ausgerichtete kleine Stücke mit keiner zuvor angestrebten Richtung. Als „La Forja Centrípeta“ schon unterwegs zum Presswerk war, entschied ich, dass ich die sechs Stücke ebenfalls rausbringen wollte. Zur gleichen Zeit und total zufällig fing ich an mit Jürgen von Nový Svět über das Internet zu kommunizieren. Wie ich mit ihm in Kontakt kam, ist nach wie vor verschwommen in meiner Erinnerung. Zum einen erinnere ich mich, dass Christian Schoppik, ein sehr cooler Mann, den ich kenne, weil er mir anbot, im Januar 2015 in Würzburg zu spielen, mir von einer geheimen Soundcloud Jürgens erzählte. Zum anderen erzählte mir Sergio von Escama Serrada, dass es Ulla von Nový Svět war, die anonym einige Gravuren und Drucke über meinen Webstore kaufte, als Weihnachtsgeschenk für Jürgen. Ich fragte Jürgen später, ob er mir ein paar Labels empfehlen könnte, aber bevor ich ihm überhaupt antworten konnte, um mich zu bedanken, schrieb er erneut, um mir zu sagen, dass er die sechs Songs selbst herausbringen würde und extra dafür auch das Nekofutschata Music Cabaret wiederbeleben würde. Da ich seit Jahren (sogar länger, als es Coàgul gibt) ein großer Nový Svět-Fan bin, war meine Freude darüber, dass sie meine Musik nicht nur kennen und mögen, sondern auch noch veröffentlichen wollten, so groß, dass ich kaum Raum in meinem Herzen hatte für ein so enormes Gefühl.

Was kannst du uns über die sechs Stücke erzählen?

Der Titeltrack wurde im Frühjahr 2014 entworfen als Soundtrack für einen Kurzfilm namens „Hathor“, produziert vom Ex Abrupto-Kollektiv und von CopdeCap (das Projekt von Zoë Valls, der Tochter von Jordi Valls von Vagina Dentata Organ), in welchem ich auch nackt auftrat als “Hund-Mann”, der von einem Mädchen durch ein Mohnfeld nahe dem katalanischen Dorf Moià getragen wird. In dem Kontext wurde auch das Inlay-Foto vom Ex Abrupto-Fotografen Efrén Razquín gemacht. Später im Sommer dieses Jahres organisierten Ex Abrupto ein Festival in Moià, in welchem ich als Resident Artist teilnahm und für eine ganze Woche in einem leeren Raum damit zubrachte, dessen Wände mit Motiven aus den Volkssagen der Gegend anzumalen. Am Ende performte ich eine Live action und spielte das „Tot Encaixa!“ Stück zum ersten mal. Aus den audiovisuellen Aufzeichnungen dieser Arbeit, eingefangen von der großartigen Künstlerin und Freundin Adriana Petit, ging das Foto des Wandgemäldes hervor, das im Artwork der LP vorkommt, ebenso das Video, das im Netz zu finden ist. Auch wenn es mehr ein Corpus an unverbundenen Stücken darstellt, haben alle gemeinsam, dass sie in der einen oder anderen Art ein Dokument dieser Zeit an diesem Ort sind, und dass alle gleichermaßen konzeptuell bezogen sind auf eine situative, gemeinschaftliche Idee. Das Titelstück ist auch als eine Art Formel oder Axiom gedacht, welches auf die synchrone Natur des Universums verweist. Wie wenn du an eine bestimmte Person denkst und ihr dann zufällig auf der Straße begegnest, oder wenn du auf die Uhr schaust und jedesmal identische Ziffern siehst: 11:11, 23:23, 03:33, etc. Das kosmische Gesetz der unsichtbaren Fäden, die die verschiedenen koexistierenden Universen durch symbolische Korrespondenzen verbinden. Das “Micro-Macro”-Gesetz, nach dem Magick und Religion funktionieren. Auch das paranoische Gefühl, verstanden als ein sechster Sinn, durch den wir diese Verbundenheiten sehen können, wenn sie am meisten versteckt sind. Ich verstehe nun, dass die gleiche Idee einer Ode an die Koinzidentien des Lebens auch ein Weg “karmischer Gerechtigkeit” ist, über den ich die koinzidentiellen Dynamiken würdige, die sich in der LP materialisiert haben. Es gibt noch ein anderes Video des zweiten Tracks „Efedrina“ im Netz. Das Album wird präsentiert werden mit einer speziellen Live-Action im Kontext der nächsten Ex Abrupto-Intervention, das in dem Palast in der katalanischen Stadt Vic stattfinden wird, in dem der gesegnete Sant Antoni Maria Claret eine Vision der Jungfrau Maria hatte. Das wird am 28. Mai stattfinden im Rahmen des „Paradazero“-Festivals.

Wie sieht es aus mit dem Release mit Escma Serrada? Wird es ein Spit-Tape werden?

Das Album mit Escama Serrada wird weder ein Tape noch ein Split werden. Es ist eine Kollaboration, an der Sergio und ich schon vor langer Zeit zu arbeiten begannen als wir uns kennenlernten, ungefähr 2013. Der Prozess verlief nach Art der bekannten surrealistischen Technik des cadavre equis, bei der jeder Teilnehmer etwas produziert und es dem anderen schickt, der dann mehr hinzufügt, so dass sich Schicht um Schicht ergänzt, bis es ein Werk zweier Leute ist. Das Album wird „Sub Luna Regis“ heißen und dreht sich komplett um Freud und Leid des Unterbewussten. Sergio leidet an Schlaflosigkeit und ich schlafwandelte als Kind, weshalb wir starke Meinungen zu diesem Thema haben. Ich bin überzeugt, dass die Welt der Träume ebenso real ist wie die “reale Welt”, die wir wach erleben, aber sie funktioniert nach einer von der Tageslogik derart unterschiedenen Logik, dass wir sie nicht verstehen können. Wenn du träumst, dass du eine (tote oder lebende) Person triffst, glaube ich, dass du diese Person wirklich in dieser Parallelwelt triffst. Alte Religionen versicherten, dass Träume Botschaften der Götter seien, v.a. die Träume, an die man sich ein Leben lang erinnert. Es gab Zeiten, da versuchte ich jeden Traum zu dokumentieren, ebenso jede erlebte Erfahrung im Alltag, mit der Intention, beide Welten in einer einzigen absoluten Wirklichkeit verschmilzen zu lassen: so etwas wie ein Gesamkunstwerk der Erfahrung. Der Titeltrack „Els Regnes Subllunars“ dreht sich um diese unterdeterminierte Sphäre, wo beide Seiten (Bewusstes und Unbewusstes, Tag und Nacht, gut und böse, Vernunft und Wahnsinn) in einer Art faustischen Konfusion kollidieren. Der Track wird in einem Film des Regisseurs Xavi Martínez Soler (der uns unsere gemeinsame Freundin Eva vorstellte) vorkommen, in welchem wir in einer Szene als Escama Serrada & Coàgul in einer Fabrikruine auftreten, inmitten verlorener Seelen, getrieben vom Pulsieren der Musik. Es enthält auch ein Roy Orbison-Cover, von dem wir immer noch nicht wissen, ob wir es auf dem Album behalten wollen oder nicht. In jedem Fall sind die neun Tracks bereits vollendet und zur Zeit suchen wir nach Labels, die Interesse haben, es herauszubringen. Wenn ihr erlaubt nutze ich hier die Gelegenheit zu sagen, dass jeder, der Interesse hat, nicht zögern braucht, uns zu kontaktieren.

Gibt es derzeit noch andere Projekte?

Andere Sachen, an denen ich gerade arbeite und die bald herauskommen sollen, sind: 1) ein 90-Minuten-Tape, das auf Demonodrome Records (das Label von Víctor von Dvnkel Reich, +++, Assassani) herauskommen soll und eine sehr ausladene rituelle 45-Minuten-Version des coagularen Songs „Baixa Baixa Pel Camí“ und „Puja Puja Entre Les Branques“ enthalten wird, intendiert als funktionelle Aufnahme für einen rein liturgischen Gebrauch. 2) Ein 20-Minuten-Tape auf Conjunto Vacío (dem Label von Sergi und Andrea von Dead Moon Records, Wind Atlas, Boston Pizza Records) in ihrer Batch-Reihe. Das ist das Tape mit den Frage und Antworten, von dem ich eben erzählt habe. Es wird eine Art Reflexion sein über die Transformation urbaner Zonen durch den Prozess der Gentrifizierung, erklärt über die Korrespondenz mit einer sozialen Implikation der zwei gegensätzlichen alchemistischen Wege Feucht und Trocken in zwanzig Stadien, bestimmt durch die Arkanen des Tarot. 3) Eine Kollaboration Coàguls mit der Noise Punk-Band Cadena, die wir nach unserem gemeinsamen Konzert auf dem Conjunto Vacío-Festival letzten Herbst aufgenommen hatten, und die wir gerde als Co-Edition diverser spanischer Labels wie Boston Pizza Records, Discos Enfermos und Broca Records veröffentlichen würden. Auf dieser Platte wird sich alles um Themen der Metaphysik der Urbanität drehen und den Nihilismus der modernen Welt 4) Ein weiterer cadavre equis zwischen Coàgul und der aus Valencia stammenden kosmischen Synthwave-Band Polígono Hindu Astral, die bei Cintas Cromo erscheinen wird (Das Tape-Sidelabel von Burka For Everybody) und beinahe die Form eines neuen Projektes namens Polígono Coagular Astral annehmen wird und ebenfalls der Metaphysik der Urbanität gewidmet ist und der Anwendung der Sigillenarbeit von flanneuristic derivés durch die geometrische Assoziation planetarischer magischer Orte mit den Formen von Stadtkarten.

Eine andere Coàgul-bezogene Sache, an der ich momentan arbeite, ist eine Art illustriertes Inventarium, in welchem ich all die Performance-Aktionen zusammenfasse, die ich in meinen Live-Coagulationen durchführe. Es wird eine Art Handbuch, aber auch so etwas wie ein “performance curriculum vitae” sein, die ich durch irgendeinen unabhängigen Verlag, den das interessieren könnte, herausbringen will, oder wenn nicht, dann werde ich das alles allein in die Hand nehmen und selbst in dem ärmlichen Fanzine-Stil herausbringen wie immer.

(M.G. & U.S.)

Fotos: Abel Castells, Adriana Petit, Efrén Razquín, Zoë Valls

Webseite von Còagul & Marc O’Callaghan

Còagul @ Bandcamp