Ihrem Ruf nach ist die Drehleier, die man im Englischen Hurdy-Gurdy nennt, ein eher altertümliches Instrument, doch in Wirklichkeit hat sie in vielen nicht nur traditionellen, sondern auch modernen Musikarten ihre Spuren hinterlassen. Seit dem Mittelalter war sie in höfischen und populären Kontexten verbreitet, und heute findet man ihren Einsatz in einer ganzen Palette von Musikrichtungen von Folk über Rock bis hin zur sogenannten Neuen Musik.
Wenige Künstler verkörpern diese Vielfalt so stark wie der Engländer Cliff Stapleton, der – vom Folk ebenso wie vom Theater kommend – seinen Weg bis in die experimentellen Bereiche dunkler Electronica fand. Unter anderem spielte er auf der Bühne und im Studio mit Acts wie Coil, Thighpaulsandra und Cyclobe, hierzulande wusste man bislang jedoch nicht viel mehr über ihn, als dass er nicht mit Steven Stapleton verwandt ist. Auf „The Tumbling of Creatures. Music for the Hurdy-Gurdy“ sind eine solide Auswahl an Stücken zusammengestellt, die Stapleton im Laufe der letzten rund zwanzig Jahre in unterschiedlichen Konstellationen – mit Bands, in temporären Kollaborationen und in einem Fall solo – aufgenommen hat.
Einen Hauptteil bilden Aufnahmen mit Bands, die man verschiedenen Formen des Folk zurechnen kann, viele davon präsentieren eine sehr tanzbare Variante, die wie das trancehafte „Kicksy Wicksy“ von Angles einen leicht renaissancehaften Einschlag haben. Wesentlich uriger „Huckle-Duckle“ von Primæval, das Einflüsse bretonischer Musik enthält. Die beiden Stücke von The Drones und die (zum Teil recht schunkeligen) Beiträge von Blowzabella und The Duelists verknüpfen dies mit einem unterschwelligen Dronesound, der sich recht selbstverständlich aus dem Klang der Bordonseiten der Drehleier selbst ergibt.
Die zweite Hälfte der Sammlung ist Stapletons experimentelleren Unternehmungen gewidmet, wobei die Bandbreite hier graduell sehr unterschiedliche Formen des Innovativen und Improvisierten umfasst. Da wäre zum einen das fantastisch traumverlorene „The Labyrinth“ mit Bron Bradshaw, der ihn an einer Bouzouki, eventuell in irischer Variante, begleitet und eine Melodie entstehen lässt, die man so schnell nicht aus dem Kopf bekommt. Zum anderen aber auch so derangiertes wie das Improv-Trio mit Sylvia Hallett und Clive Bell. Ebenfalls in diesen bereich zählt sein einminütiger Solotrack „Scent“, der auf einem vordergründig recht eindimensional wirkenden Drone basiert, in dessen Ritzen sich allerdings sehr viel Kleines abspielt. Für Leser unserer Seiten wahrscheinlich am ehesten bekannt sind seine Beiträge für Cyclobe und Coil. „We’ll Witness the Resurrection of Dead Butterflies (Three Moons)“ von ersteren ist wie kein weiteres Stück der „Wounded Galaxies…“ von Stapletons Hurdy-Gurdy geprägt – zurecht beschrieb unser Rezensent es als „unglaublich (ver)dichte(te)s Stück“ und zog Vergleiche zu Coils (im Vergleich subtil verstörenderem) „The Remote Viewer“-Album, von dessen ersten Abschnitt hier ein repräsentativer Auszug enthalten ist.
Am Ende der guten Stunde Musik bleibt v.a. der Eindruck einer großen Wandlungsfähigkeit, die sich nicht einmal unbedingt einer großen Bandbreite an Spielweisen verdankt, sondern Stapletons Kunst, mit seinem Repertoire an verschiedenste Gegebenheiten ganz selbstverständlich andocken zu können. Durch den markanten (und für ungeübte Ohren immer leicht exotischen) Klang des Instruments hat er all diesen Projekten einen ungewöhnlichen Beiklang gegeben, die gerade bei den von Alter Musik sehr weit entfernten elektronischen Bands besonders ins Gewicht fällt. (U.S.)
Label: Woodbird