Komitas war der zweite Taufname des armenischen Komponisten Soghomon Soghomonyan, der 1869 im anatolischen Kütahya zur Welt kam. Als Waise kam er mit elf Jahren in die Obhut eines Priesters, der dem musikalisch begabten Jungen sowohl eine geistliche als auch eine musikalische Laufbahn nahelegte. Mit knapp zwanzig Jahren war er ordinierte Priester (sein Titel “Vardapet” bedeutet wörtlich “Gelehrter”) der Armenisch-Apostolischen Kirche, kurze Zeit später leitete er einen Chor und ein Ensemble für alte armenische Musik.
Nach späteren Studienaufenthalten in Tiblisi und Berlin erweiterte er seinen Bereich um die theoretische Auseinandersetzung mit traditioneller armenischer, kurdischer und türkischer Musik und setzte sich für deren Vermittlung in Westeuropa ein. Von einem Trauma, dass er als Zeitzeuge und vorübergehend Inhaftierter im Zuge des Genozid an dem Armeniern erlitt, erholte er sich nie, weswegen er die Jahre von 1915 bis zu seinem Tod 1935 in psychiatrischen Kliniken, zuletzt in Paris, verbrachte. Im modernen Armenien gilt er als Märtyrer, in Jerewan ist u.a. eine staatliche Musikhochschule nach ihm benannt.
Die sechs für westliche Ohren leicht melancholisch eingefärbten und nichtsdestoweniger kraftvollen Tänze, die die japanische Pianistin Keiko Shichijo für die vorliegende Veröffentlichung interpretiert hat, entstanden 1906 und basieren auf volkstümlicher armenischer Tanzmusik. Ähnlich den eine Generation später entstandenen Klavierkompositionen von Gurdijeff und De Hartmann (es wäre wohl etwas oberflächlich, Komitas’ Musik als Vorläufer ihres Stils zu bezeichnen, wennglich sich in vilen Strukturen durchaus Ähnlichkeiten finden) basieren diese nur mit Piano umgesetzten Tänze auf Motiven, die im traditionellen Kontext mit ganz anderen Mitteln realisiert wurden.
Der perkussive Grundcharakter der Stücke ist in Shichijos Spiel fast durchgehend herauszuhören, in einigen Passagen imitiert das Klavier eine Dap, das armenische Pendant zum mitteleuropäischen Tambourin, in anderen die etwas massivere Dhol. Wieder andere Motive wären traditionell Saiteninstrumenten wie der Tar oder einem der typisch orientalischen Blattblasinstrumente vorbehalten gewesen. Dass die Musik nie vollkommen glatt dahinfließt und an manchen Stellen einen sicher gewollt fragmentierten Eindruck erweckt, verleiht ihr vielleicht einen ganz eigenen Touch von Avantgarde, in jedem Fall verhindert dieser leicht sperrige Zug ein allzu verführerisches Abdriften in schwelgerische Nostalgie und romantischen Exotismus.
Dies alles mit einem relativ modernen westlichen Instrument wie dem Klavier – Shichijo interpretiert die Stücke auf einem Steinweg Nachf von 1880 – offenbart vielmehr schon auf Seiten des Komponisten einen integralen Ansatz, der Notationen, Harmonien und vielleicht auch typische Stimmungen europäischer und vorderasiatischer Prägung zu einer faszinierenden Einheit verschmilzt. Wie stark sich diese Interpratation von vorausgegangenen absetzt, vermag ich nicht zu beurteilen, dass sich der Musik Komitas’ aber neue Hörerkreise zu erschließen vermag, ist ihr in jedem Fall anzurechnen. (U.S.)
Label: Makkum Records