DEPECHE MODE: Spirit

Als Depeche Mode nach dem Weggang Vince Clarkes 1982 „A Broken Frame“ veröffentlichten, so war das (noch) eine etwas unausgegorene Mischung, auf der sich neben recht seichten Popsongs wie „The Meaning of Love“ mit „Leave in Silence“ schon die Momente von Düsternis und Schwere fanden, die das Werk der Band in den nächsten Jahrzehnten charakterisieren sollten und die es ihnen ermöglichten, sich trotz Millionen verkaufter Tonträger einen kleinen Nimbus Subkultur zu bewahren. Als ein Jahr später „Construction Time Again“ mit dem neuen Mitglied Alan Wilder – dessen Klangtüfteleien die Musik der Band bis zu seinem Weggang 1995 prägten – erschien, versuchten Depeche Mode den erwachseneren Sound mit im weitesten Sinne sozialkritischen Themen zu kombinieren: Umweltzerstörung wurde auf „The Landscape is Changing“ angeprangert, Gier auf „Everything Counts“. Auch wenn es nach diesem Album Aufrufe zu Toleranz („People Are People“) und Kritik an Religion (“Blasphemous Rumours“, „Personal Jesus“) gab, lag der Schwerpunkt der Texte aber klar auf dem (allzu)menschlichen Miteinander, auf (devianter) Sexualität, Schuld und Sühne.

Es ist also eine amüsante Koinzidenz, dass ausgerechnet kurz vor Veröffentlichung des 14. Studioalbums Richard Spencer behauptete, Depeche Mode sei die offizielle Band der Alt-Right, ist „Spirit“ doch das politischste Album, das die Band seit oben genanntem veröffentlicht hat und es lässt sich als Kritik an all den Entwicklungen verstehen, die ihre offensichtlichste Manifestation in dem Präsident mit den kleinen Händen gefunden haben (auch wenn das Album schon früher geschrieben wurde). Gahan betitelte Spencer dann auch bezeichnenderweise als „educated cunt“.

Der Opener „Going Backwards“ beklagt die zunehmende Regression, die Rückkehr des Homo sapiens zu einer „cavemen mentality“ (der von Teilen der Alt-Right geschätzte Jack Donovan wird diese Entwicklung sicher begrüßen). Die vorab veröffentlichte Single „Where’s the Revolution“ kritisiert die „patriotic junkies“, die ihre Entscheidungen von ihren Regierungen und ihrer Religion treffen lassen. Gahan fordert dann dazu auf, den Zug der Revolution zu besteigen. Zum Teil mag es Gores schon immer vorhandener Orientierung an traditionellen Reimschemata geschuldet sein, dass sich die (sicher wohlgemeinten) Texte anhören, als seien sie der Feder eines Zehntklässlers entsprungen (und nicht der eines Mittfünfzigers): „Once there were solutions/Now we have no excuses/They got lost in confusion/So we’re preparing the nooses“ heißt es (völlig ironiefrei) auf „The Worst Crime“. Bei Dave Gahan, der insgesmt vier Songs dieses Albums (mit)geschrieben hat, klingt das auch nicht überzeugender: „Hey, there’s no news/Poor man still got the blues/He’s walking around in worn out shoes/With nothing to lose“, singt er auf dem bluesigen „Poorman“. Auf dem von Gore gesungenen „Eternal“ wird die nukleare Apokalypse beschworen: “And when the black cloud rises/And the radiation falls/I will look you in the eye/And kiss you”. Anne Clark machte schon 1983 auf „Poem For a Nuclear Romance“ deutlich, dass angesichts der nuklearen Vernichtung Zwischenmenschliches zur Bedeutungslosigkeit verdammt ist: “your marble flesh will soon be raw and burning /and kissing will reduce my lips to a pulp”. Trotz Gores sich auf “Eternal” offenbarender Naivität ist das gerade einmal zwei Minuten lange Stück, das klingt, als habe er auf eine seiner analogen Synthminiaturen seines unter dem lapidaren Namen MG veröffentlichten Soloalbums zurückgegriffen, vielleicht das ergreifendste Stück des Albums.

Dabei geht es auf „Spirit“ natürlich nicht nur um Politisches, auch Sex wird abgehandelt: “If you give me something that you and I can play/Let me ring your bell/I don’t need you, I don’t need your ball and chain/There’s no water in that well/But I like the way you move/I like the way you move for me tonight”, heißt es auf “You Move”. Metaphorisch origineller wurde so etwas auf “World In My Eyes” thematisiert. Das treibende „So Much Love“ spielt musikalisch an „A Question of Time“ an, die bearbeiteten Vocals auf “Scum” lassen an “Barrel of a Gun” denken.

Das größte Problem des Albums sind weniger diese (vielleicht) selbstreferenziellen Zitate, sondern die Tatsache, dass sich das Album auf weiten Strecken wie eine Bricolage der eigenen musikalischen Biographie anhört. Der Band scheint etwas der Esprit zu fehlen, was vielleicht nach 36 Jahren nicht unbedingt überraschend ist. “Oh, we’ve failed” singt Gore auf dem letzten Stück des Albums – natürlich in einem anderen Kontext. Dass dieses Versagen dennoch hörbarer ist als das, was andere Künstler nach so langer Zeit zustande bringen, mag vielleicht ein kleiner Trost sein. (MG)

Label: Columbia