Seit einer Reihe von Jahren veröffentlicht das aus Ruth Rosenthal und Xavier Klaine bestehende französisch-israelische Duo unter dem Namen Winter Family eine dronegeschwängerte, düstere Musik. Untermalt von Harmonium oder Klavier spricht und singt Rosenthal ihre Texte. Auf ihrem aktuellen Album “South From Here” gibt es eine kleine musikalische Änderung – eher eine Ergänzung als einen Kurswechsel – , finden sich doch auf einigen Stücken partiell rhythmische und ruppigere Elemente. Der etwas augenzwinkernd betitelte ‘doom swing’, ‘funeral pop’ oder ‘weird wave’ mutiert aber dadurch nicht zu Musik für die Tanzfläche und Winter Family machen in diesem Interview auch deutlich, dass sie jetzt nicht einem naiven Optimismus verfallen sind, sondern den (selbstverschuldeten) Untergang des Homo sapiens in nicht allzu ferner Zukunft sehen.
Auf eurer Webseite zitiert ihr aus Artikeln, in denen eure Musik (wie ich denke, mit einer gewissen Ironie) als “Doom Swing”,”Funeral Pop” oder “Weird Wave” beschrieben wird. Auf eurem neuen Album ist euer Stil nun wesentlich offener und ausdifferenzierter als zuvor. Betrachtet ihr Stil-Kategorien als etwas, womit man spielen sollte, oder gibt es da immer noch etwas, womit ihr euch identifiziert?
Diese Begriffe stammen von Avi Pitchon, einem israelischen Musikkritiker, wir mochten sie und benutzen sie, weil sie witzig sind und für Interpretationen offen. Wir wissen ehrlich gesagt nicht, wie wir unsere Musik beschreiben sollten, und es ist uns auch nicht wichtig. Ich denke, unser “Job” ist es, Musik zu machen, und andere können sie beschreiben, wie sie wollen. Andererseits brauchen Leute auch eine Beschreibung, und wir sind froh, wenn sie etwas haben, das zu uns passt.
Gab es spezielle Gründe, warum ihr neue Elemente in eure Musik einbezogen hattet (ich frage das, weil im Presseinfo davon die Rede ist, ihr hättet euer Equipment durch den Hurricane Sandy verloren)?
Ja, unsere Orgel ertrank, als der Sturm Sandy über NYC und unser Studio in der Gegend von Red Hook hinwegfegte. Die Sounds und die Klarheit New Yorks zwangen uns, einen Synthesizer und eine alte Drum Machine zu kaufen. Ich denke, es war der Ruf der Natur, der Klang von Musikern in unserem Haus, die Tag und Nacht spielten und uns inspirierten.
In meiner Review zu eurem neuen Album schrieb ich, dass mich die Musik aufgrund der verwendeten Sounds an die 80er erinnerte. Liege ich da richtig? Falls ja, gab es dazu eine bewusste Entscheidung, oder lag es – auch im Bezug auf die vorherige Frage – eher an dem Equipment, das ihr zur Verfügung hattet?
Ich bin nicht sicher… es könnte an den Instrumenten liegen, die wir benutzen, oder an unserem Alter. Wir hören nicht wirklich Musik, und so war es keine bewusste Entscheidung oder ein bewusster Wunsch, wie Musik aus den 80ern zu klingen. In der Tat, das Equipment wurde zwischen 1977 und 1984 hergestellt, v.a. das spezielle Reverb, mit dem wir arbeiteten: ein “Master Room” von 1984.
Wie arbeitet ihr an neuem Material? Arbeitet ihr zusammen an den Texten und der Musik, oder kommt einer zuerst mit einer Idee oder einer Skizze?
Es ist unterschiedlich. Oft kommt Xavier mit dem Anfang eines Stückes und dann füge ich (Ruth) einen Text hinzu. Wenn wir dann zusammen spielen, fließen beide Zutaten zusammen und ergeben einen Song. Manchmal ist der Text nur eine Idee, mit der ich spiele und improvisiere, bevor ich ihn niederschreibe, manchmal ist es ein Text, den ich lange davor geschrieben habe. Es gibt Texte, bei denen brauchte ich zehn Jahre, um sie zu schreiben, andere wiederum entstanden in zwei Minuten. Xavier komponiert die Struktur seiner Songs sehr schnell. Er mag es, einfach nur drei Akkorde zu verwenden, die ihm blitzartig in den Sinn kommen, und das gar nicht groß auszubauen. Erst danach arbeitet er monatelang an dem Mix.
Gibt es (im Prozess des Komponierens und Schreibens) einen Unterschied zwischen einer Veröffentlichung wie “How Does Time” (die für einen Zug aufgenommen wurde), und euren “regulären” Alben?
“How Does Time” wurde geplant und konzipiert während wir den Zug aufnahmen (und Feldaufnahmen in seinem Inneren sowie der Stadt, in die wir damit fuhren). Es sollte einen starken Ortsbezug haben (wenngleich man es auch überall sonst hören kann). Wir hatten Beschränkungene in der Länge der Stücke, was von dem entsprechenden Bahnhof abhing. Die Spuren wurden automatisch von einem GPS Point-System abgespielt.
In unseren Alben haben wir vollkommen freie Hand, um alles zu entscheiden. Deshalb dauert es auch viel länger, bis wir ein “reguläres” Album fertig bekommen.
Könnt ihr ein bisschen was zu den Ideen hinter dem “No World”-Release sagen? Wie oft habt ihr das Gefühl einer “Beschämung, die wir alle spüren in dem großen, gemeinsamen Nenners”?
“No World” ist eine CD, die wir zusammen mit einem Buch herausbrachten, außerdem eine dokumentarische Theater-Performance (mit dem Titel “No World/FPLL”) und ein Track auf dem neuen Album. In diesen drei Sachen wollen wir zusammen mit den Hörern oder Zuschauern diese “Beschämung, die wir alle spüren in dem großen, gemeinsamen Nenners” nachempfinden. Es scheint, dass die Welt mittlerweile entgültig an einem Punkt angekommen ist, den man post-faktisch nennt, auf der einen Seite wissen wir alles, auf der anderen Seite wird uns alles auf den gleichen Tablet serviert, es gibt keine Hierarchie der Ideen, und selbst wenn wir gegen etwas “kämpfen” oder agieren wollen, werden wir ein “Posting” darüber teilen (was sich natürlich auf nichts auswirkt außer auf unser eigenes moralisches Denken). In dem Theaterstück beziehen wir uns zudem auf eine speziell europäische Art dieser conditio humana, es ging um die Heuchelei in unserer Zeit. In Frankreich beispielsweise gibt man sich offen und multikulturell, obwohl es in Wirklichkeit soviel Rasismus, Bürgerlichkeit und Frauenfeindlichkeit gibt wie eh und je. Wir wollen da einen Spiegel vorhalten, ich denke dass in diesem Stand der Dinge selbst Geschmäcker, Farben und Gefühle ihre Einzigartigkeit verlieren.
Ihr habt eure künstlerische Haltung als “eine Mischung aus Pessimismus und Akzeptanz” beschrieben. Auf der anderen Seite hat euer Werk oft eine kritische, mitunter wütende Aussage- Wie kann eine pessimistischer Realitätssinn und eine annehmende Haltung für so etwas gut sein?
Wir sehen unsere Zeit als eine apokalyptische, nicht auf eine dramatische Art, aber dennoch, wir spüren, dass das Ende der Menschheit nah ist, und das ist gut so. Wir können uns nicht vor uns selbst beschützen, wir denken, dass wir (die Menschen) aus eigenem Willen in diese Situation geraten sind, wir haben die Macht und die Wahl, die Wirklichkeit zu einem Endpunkt zu bringen. Nicht als Opfer, wir haben eine aktive Rolle in dieser Wahl, wir “essen, was wir gekocht haben”. Also bleibt uns nur, dies zu akzeptieren und zu feiern, denn es ist immer noch unser Leben, wir haben immer noch Kinder großzuziehen und Gefühle zu teilen, und wenn es dies ist, was wir haben, sollten wir es zumindest akzeptieren. Kein Grund und keine Möglichkeit, immer noch dagegen anzukämpfen. Wir stürzen ins Licht, mit Freude.
Ich frage mich in dem Zusammenhang auch, ob die Mehrdeutigkeit, die ich in einigen eurer Songs spüre, damit zu tun hat. Die oft genügsame und freundlich klingende Entspanntheit, die in “Golden Sword” mit der dramatischen Stimmung in der Rezitation kontrastiert, oder der unterschwellige Aufruhr im neueren “No WorLD”, die nur ab und zu an die Oberfläche dringt… Sind diese unterschwelligen Narrative auch eine Technik und ein Statement gegen Verdrängung?
Wahrscheinlich schon. Wir sind wütend, aber wir sind alt und glauben einfach nicht daran, dass wir mit unserer Musik erreichen, was wir wollen. Was uns bleibt, ist, unsere Gewalt zu “flüstern”.
In eurem Pressetext steht dass eure Lyrics “versuchen, die Blindheit, in welche die israelische Gesellschaft letztlich sinkt, zu übersetzen”. Würdest du sagen, dass euer neues Album primär politisch ist, oder ist dies nur ein Element unter vielen?
Die politische Situation berührt und bewegt mich, es beeinflusst die Art, wie ich Dinge sehe, und als Weiterführung davon, die Art, wie ich schreibe. Unsere Songs sind keine politischen Statements und wir sind keine engagierten Künstler, wir befassen uns mit Dingen, die uns wichtig sind. Die israelische (und palästinensische) ist eines davon.
Ich sah kürzlich ein Interview mit der amerikanischen Künstlerin Moor Mother, in dem sie gefragt wurde, ob ihre Kunst politisch sei. Sie sagte “sie soll immer die Wahrheit ausdrücken, was immer das Thema ist”. Ist das eine Haltung, mit der ihr etwas anfangen könnt?
Ja. Vollkommen.
In dem Song “Yallah” (was im Arabischen soviel wie “Los, auf geht’s” bedeutet) singt ihr “This is Jerusalem, city of gold with heart of stone”, und in Philippe Petits Video dazu wird die Stadt als ein pulsierender Strudel aus Reizüberflutung und widersprüchlichen Gefühlen präsentiert. Welche Erfahrungen brachten euch dazu, ein solches Bild zu zeichnen?
Jerusalem ist meine Stadt, wo ich aufgewachsen bin, und ich sehe es auf unterschiedliche Arten, es ist ein sehr komplizierter, schöner, schmerzvoller Ort. In einem hebräischen Song über die westliche Mauer heißt es “es sind Menschen mit einem Herz aus Stein und Steine mit den Herzen von Menschen”, daher hatte ich die Idee. Im Video ging es uns auch um die Idee eines Ortes, der sehr aggressiv ist und zugleich sehr klar. Wir fragten Philippe, ob er das Video machen wollte, denn wir wussten, wir konnten nicht zusammen in einen heruntergekommenen Staat gehen und immer noch die Essenz der Idee bekommen…
Es gibt eine Menge Videos zu euren Songs, und ihr habt bereits mit renommierten Filmern wie dem erwähnten Philippe Petit gearbeitet und mit Leuten wie Giovanni Brunetto, Bianca Peruzzi oder Eihab Taha. Betrachtet ihr die Videoarbeiten als einen integralen bestandteil eurer Veröffentlichungen und gleichwertig zur Musik?
Für ie Musik brauchen wir länger, aber wir treffen gerne die richtigen Leute und lassen sie die Bilder zum Sound beisteuern. Manche kontaktierten uns, um mit unserer Musik zu arbeiten, und wir sind sehr glücklich damit und mit dem, was sie zu der Musik beitragen.
Wie stark beeinflusst eure Musik eure Theaterarbeit und umgekehrt?
The ‘play write’ (the story) unserer ersten Theaterarbeit war ein Sound-Stück, das wir in Jerusalem für ‘Radio France Culture’ aufgenommen hatten, das zweite war auch sehr soundorientiert, so gesehen schreibt sich die Dramaturgie selbst im Bezug auf den Sound und die Musik. Ebenso in den Theaterhäusern arbeiten wir viel mit den Eigenschaften und Nicht-Eigenschaften der Geräusche, mit der Difussion, den Lautsprechern, wie viele das sind und wo, etc. mit dem großartigen Toningenieur Sébastien Tondo.
In dem Song “Abraham” erzählt ihr die biblische Geschichte des Patriarchen und seiner Nachkommen in einer stark kondensierten Form und betont dabei besonders das Schicksal der Nachfahren seiner Söhne Israel und Ismael. Es ist naheliegend, dies auf den anhaltenden und immer wieder aufflammenden Konflikt zwischen jüdischen Israelis und ihren arabischen Nachbarn zu beziehen. Denkst du, dass die Interpretation dessen als Bruderkrieg die Hoffnung für ein besseres gegenseitiges Verstehen mit sich bringt?
Ich bin nicht sicher, ob es Hoffnung in sich trägt. Doch obwohl ich keine Religion praktiziere, fühle ich, dass Israelis und Palästinenser sich näher stehen, oder etwas dramatischer: Kinder des gleichen Landes sind (wir können immer noch über historische Rechte sprechen, Rückkehrrechte, Kolonialismus…). Doch ich wurde als Israeli geboren in einem Ort, der zugleich Palästina und Israel ist.
In eurem Youtube-Kanal dokumentiert ihr einige eurer “Take Away Shows”, die 2008 in Jerusalem stattfanden. Was war das Konzept hinter diesen Auftritten und fanden sie an Orten mit einer besonderen Symbolik statt?
Die “Take away shows” wurden von Vincent Moon organisiert, der die Idee hatte, dass wir nach Jerusalem kommen, die Orte in der Stadt suchten wir aus als Orte, die uns sehr schön erschienen und zugleich historisch interessant waren. Das Grab Davids, die große Mauer in der Altstadt, der Ölberg und das schöne Apartment unseres Freundes Ido Schmitt. Wir spielen sehr gerne an besonderen Orten, deshalb spielen wir manchmal in Kirchen, wo Xavier die Orgel spielt und ich das Soundsystem des Pristers am Altar benutze.
Ihr habt in unterschiedlichen Ländern gespielt (und gelebt). Denkt ihr, dass sich die Rezeption eurer Arbeiten in den verschiedenen Ländern unterscheidet? Wie waren eure erfahrungen bisher?
Unsere Arbeit und unser Blickwinkel verändern sich mit dem Orten und Dingen, die wir aufsuchen, mit dem, was wir sehen, den Menschen, die wir treffen und den Klängen, die uns umgeben. In NYC z.B. konnten wir nachmittags in unserem Schlafzimmer Schlagzeug spielen, das veränderte natürlich unsere Arbeitsweise und auch die Musik. Die Rezeption unserer Konzerte ist eigentlich überall die gleich, Musik ist mehr eine Sache persönlicher Gefühle….Die Rezeption der Theaterarbeiten variiert stärker….hysterisch und politisch in Frankreich, abstrakter in Deutschland, emotional in Israel und Polen, etc etc..
Ihr hattet euer zweites Album in einer Kirche und auf einer Farm aufgenommen. “South From Here” wurde ebenfalls an unterschiedlichen Orten aufgenommen. Würest du sagen, dass die Umgebung nicht nur die Akustik beeinflusst, sondern auch die Art, wie etwas aufgenommen wird
Absoluty. Es hat viel mit den Geräuschen, dem Hall der Räume, der umliegenden Landschaft und unserem Leben in dieser zu tun, aber auch mit dem Stoff, den diese Landschaft uns liefert.
Any final words?
FPLL
Yallah, make a revolution !
(M.G. & U.S.)
Foto 1: Shlomi Josef, Fotos 2 und 4: Noa Ben Shalom, Foto 3: Yael Lavram