Als Verbündeter der Entente war auch Serbien 1918 einer der Sieger des Ersten Weltkriegs, mit dem eine ganze Reihe an kriegerischen Auseinandersetzungen zu Ende gingen, die das kleine Königreich im frühen 20. Jahrhundert zu verkraften hatte. Dennoch erlitt nicht nur die serbische Armee in den vier Jahren enorme Verluste, auch die Bevölkerung hatte mit Hunger, Krankheiten und einer zum Teil brutalen Besatzung durch Österreich und seine Verbündeten zu kämpfen.
Als das Berliner Haus der Kulturen der Welt 2016 einige Musikveranstaltungen zum Ersten Weltkrieg organisierte, war auch ein Abend der serbischen Erfahrung dieser Zeit gewidmet. Unter dem Titel „Serbian War Songs“ brachte das Ensemble zeitkratzer zusammen mit den Musikern Svetlana Spajić, Dragana Tomić und Obrad Milić zwölf serbische Lieder auf die Bühne, die zum Teil während des Krieges entstanden sind, in jedem Fall aber von den Ereignissen dieser Zeit berichten. Mittlerweile liegt eine sorgsam bearbeitete Aufzeichnung davon auf Platte und CD vor.
Die zwölf Songs auf dem Album geben eine ganze Bandbreite an Erfahrungen und Empfindungen im und zum Krieg wieder, die Auswahl beginnt mit einer Hymne auf den Attentäter des österreichischen Kronprinzen in Sarajevo, es finden sich kämpferische Soldatenlieder, doch die meisten Stücke sind Stimmen der weitgehend passiv leidenden Bevölkerung und waren oft nur in lokalen Kontexten bekannt. Svetlana Spajić, die mit Dragana Tomić den Großteil des Gesangs beisteuert, hat die meisten der Stücke in teilweise entlegenen Dörfern aufgespürt. Sie künden von Schmerz, Wut und einem trotzigen Willen zum Durchhalten.
Die Gründe, warum die Musiker all dies so anschaulich in Klang und Wort zu fassen vermögen, sind vielerlei. Mit der im weitesten Sinne „folkigen“ Schlagseite, die das zeitkratzer’sche Repertoire, das mit seinem perkussiven Rasseln ohnehin eine rituell-archaisch anmutende Seite hat, gekonnt mir regionalen Blas- und Streichinstrumenten und traditionellem Gesang verbindet, schafft ein kitschfreies Kolorit, das die Ereignisse wie mit einem Zoom über räumliche und zeitliche Distanzen hinweg erfahrbar macht. Auch wirken die einzelnen Stücke oft wie anekdotische Ausschnitte, scheinen – schon vom Titel her, aber auch angesichts der ratternden, schabenden, quietschenden Sounds des elektrifizierten Solistenensembles, der die Mechanik des Krieges abzubilden und gleichsam zu deuten scheint – auf bestimmte Situationen und ihre Gefühlslagen fokussiert.
Stimmungsmäßig scheint die Sammlung zwischen Verzweiflung und Kampfeswillen zu changieren, ein Stück wie „The Battle of Mačkov“ hätten in den 90ern einige pathetische Martial Industrial-Combos sicher auch gerne so hinbekommen. Die Stimmen der Sängerinnen sind volkstümlich derbe, auch dann, wenn sie in melancholische Klagegesänge anstimmen, das Tremolo und der z.T. repetitiv-leiernde Ausdruck entsprechen regionalen Gesangstraditionen. Zu den herausragenden Stücken zählt auch das rund fünfzehnminütige „Assassination in Sarajevo“, bei dem Obrad Milić, der den Song von seinem Vater gelernt hat, seinen durchdringenden, monotonen Gesang über summende Bläsertöne, später über immer bedrohlicheres metallenes Messerwetzen ausbreitet.
Ich möchte aus Respekt vor der Thematik, aber auch aufgrund meiner fehlenden Kenntnis des Serbischen kein Fazit um abgenudelte Begriffen wie „Intensität“ und „Ausdrucksstärke“ ziehen, gleichwohl die hier in eine neue Gestalt gebrachten „Serbian War Songs“ in der Hinsicht einiges bieten. Gerade wer der Sprache nicht mächtig ist und für das üppige Booklet nicht die richtige Lesebrille zur Hand hat, kann bei Empfänglichkeit der irritierenden und gleichsam spektakulären Wirkung dieser Musik den Krieg als ein Ereignis erfahren, das als etwas Fremdartiges, Unfassbares in die Lebenswirklichkeit hereinbricht. (U.S.)
Label: zeitkratzer Records / Karlrecords