CARLOS CASAS: Pyramid of Skulls

Bei einem Titel wie Pyramid of Skulls denken einige vielleicht an Herrscher wie Timur Leng, die im Zentralasien des Mittelalters nach der Eroberung feindlicher Städte die Schädel der Besiegten zu enormen Pyramiden gestapelt haben sollen. Ich weiß nicht, ob Carlos Casas auch darauf anspielt, um Zentralasien jedoch, genauer um die Pamir-Region in Tadschikistan geht es in seinem semi-dokumentarischen Werk ebenfalls.

Casas, ein aus Barcelona stammender Soundbastler, der ursprünglich vom Medium Film herkommt, begann sich für die Region zu interessieren, als er auf die Werke des russischen Philosophen Nikolai Fedorov stieß. Dieser befasste sich im 19. Jahrhundert ausgiebig mit verschiedenen asiatischen Mythen, die in dieser rauen, kargen Hochlandregion, dem “Dach der Welt”, den Ursprungsort der Menschheit sehen. Casas entwickelte durch diese Quellen ein starkes Interesse am Pamir, doch seine Herangehensweise war nur lose mit ihren Ideen verknüpft – sein Ziel war es, mittels Reihung verschiedener Feldaufnahmen und einer dezenten Bearbeitung ein Bild zu zeichnen, das Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammenbringt.

Dass Kollagen oder Sequenzen aus Alltagsgeräuschen, gerade wenn sie menschliche Aktivitäten und auch Sprache beinhalten, eine gewisse Nähe zum Hörspiel haben, versteht sich, und bei einem Komponisten, der auch als Filmer arbeitet, ist damit noch mehr zu rechnen. Die erste der vier LP-Seiten offenbart ein episodisches Panorama an Ereignissen, das an ein Haus mit fehlender Wand mit Einblick in alle Zimmer erinnert. Dies allerdings in einen dichten Nebel gehüllt: In einer Szene hört man Gesprächsfetzen aus einem den Halleffekten nach großen Raum, in der nächsten rauscht Wind vielleicht durch die Öffnung einer Jurte, man weiß es nicht. Dann fällt der Fokus auf rhythmisches Klopfen, das Musik, aber auch ein Arbeitsgeräusch sein kann.

Als nächstes, etwas klarer auszumachen, Gesang, eine Art Kinderlied in der indogermanischen Landessprache, die an Farsi oder das afghanische Dari erinnert. Doch all dies sind nur die etwas schärfer herausragenden Details einer viel ereignisreicheren Szenerie, deren oft unklare Geräusche sich irgendwo in der Abstraktion auflösen und ein brummendes, pfeifendes und bei genauerem Hinhören durchaus melodisches Dröhnen formen.

Summen, Tremolieren, murmelnde Stimmen und manchmal für das eine oder andere Zeitfenster etwas deutlichere Sprach und Gesangsfetzen, sowie mechanische Geschäftigkeit und ein unvermittelt eingeblendetes Radio: Mit der Zeit erscheinen die Komponenten immer stärker elektronisch bearbeitet und von nerdig verspielten Computersounds durchdrungen. Das macht sich v.a. auf der zweiten Scheibe bemerkbar, auf der der tadschikische Sänger und Instrumentalist Jomboz Dushanbiev mitwirkt und seine Beiträge zu einem Teil der Feldaufnahmen werden lässt. Gegen Ende geraten – recht achronistisch – immer stärker konkrete Songstrukturen aus der traditionellen Musik des Landes in den Vordergrund der scheinbar willkürlich gemachten Aufnahmen.

Ghosts from the future, spirits of the past – als zeitliche Schnittstelle dessen betrachtet Casas den Zeitpunkt seiner in einem Zug erstellten Aufnahmen, in denen sich verschiedene Zeiteben ganz natürlich überlagern. In der Momentaufnahme wird von Verschwinden bedrohtes konserviert und gleichsam Künftiges, das sich vage abzeichnet, festgehalten. (U.S.)

Label: Discrepant