Ganze neun Jahre nach „Guilty, Gultiy, Guilty“, einer Sammlung von Konzertmitschnitten aus Neuseeland und den USA, ist Diamanda Galás in diesem Jahr mit gleich zwei Longplayern zurückgekehrt. Während “On All the Way” sowohl Live-Aufnahmen von verschiedenen Konzerten als auch Studiotracks enthält, ist die vorliegende Veröffentlichung ein etwas gekürzter Mitschnitt eines im letzten Jahr in New York gespielten Konzerts. Auf beiden Platten basiert Galás’ Gewaltmusik wieder nur auf Gesang und Piano, auf beiden finden sich zudem nur Stücke, die nicht aus ihrer eigenen Feder stammen, sondern Coverversionen und literarische Vertonungen, denen die für ihre einschüchternde Expressivität bekannte Sängerin eine eigene, ihrer intendierten Aussage entsprechende Gestalt verliehen hat.
Für Galás selbst haben die neuen Stücke eines gemein, sie sind – wie im Grunde fast alle ihre vorherigen Arbeiten – “Death Songs”, die den zentralen menschlichen Konflikt, auf den sich jede Sehnsucht und jede tragische Anstrengung herunterbrechen lässt, zum Thema haben – das Ringen des Menschen mit dem Tode, aber auch mit dem Leben, dem Weiterleben angesichts der Sterblichkeit und ihrer untrüglichen Zeichen. Gálas ist also im Grunde bei ihrem zentralen Thema, aber sie geht dieses allgemeiner und umfassender an als auf vielen der früheren Alben. Ein durchgehender Zug und m.E. das Charkteristikum, dass das tragische Ringen am deutlichsten illustriert, ist der stete Widerstreit zwischen einem genügsamen, fast friedvollen Einvernehmen und einem gleizeitig vorhandenen Aufruhr, dem stets lodernden und in regelmäßigen Abständen eskalierenden Gefühl von Wut und Verzweiflung, das so mitreißend ist, dass Gálas’ Handschrift schon dadurch den Ursprung der Songs im Werk anderer fast vergessen macht.
Schon im Operner, einem kunstliedartig vertonten Gedicht von Cesare Pavese, zeigt sich dieses Gefühlsgemisch. Die anfangs zaghaften Klavieranschläge und die lyrische Schönheit der melodischen Passagen passen zu dem genügsamen Sprachfluss des Textes, dessen Titel auf deutsch “Der Tod wird kommen und deine Augen haben” bedeutet. Doch Gálas’ tremolierender Sopran wird schnell gepresster, schriller und zeigt, dass manche Schönheit ihren Preis hat und einer emotionalen Tortur gleichkommen kann. Ich fragte mich an vielen solchen Stellen, wie viel Galgenhumor da mitschwingen mag – die wenigen Momente, wo ich diesen auszumachen glaubte, erschien er in Form kleiner Enklaven eines comic relief, der die kompromisslose Ernsthaftigkeit der Songs nur umso mehr hervorhebt.
Es ist schwer, einzelne Stücke herauszupicken, den alle haben etwas Episches, und von der leicht hallastigen Aufnahme kann man auf eine beeindruckende Liveerfahrung in dem mittelgroßen, heute wohl als Musik-Location fungierenden Kirchengebäude schließen. Das griechische “Anoixa Petra” switcht von rollenden Pianosoli zu tiefen Stimm-Beiträgen, von fast heiteren zu erschöpften Momenten und zeigt, das die Sängerin dann am überwältigendsten ist, wenn sie selbst überwältigt wirkt. Auf dem Jazzsong “Angels” immitiert sie Albert Aylers Saxophon mit einer stimmlichen Echolalie. Das einzige Stück in deutscher Sprache ist zugleich eines der berührendsten – Gálas machte aus Ferdinand Freiligraths eindringlichen “Oh lieb, so lang du lieben kannst” den elegischen Song “Die Stunde Kommt” – mit eigenwilligen Phrasierungen formt sie, mehr als durch die Wirkung ihres Akzents, die Sprache des Gedichtes um und macht dieses zu einem enormen Plädoyer für die Kraft des Verzeihens.
Dass Gálas auch eine fähige Rollenspielerin ist, fällt auf, wenn sie zwischendrinn immer wieder von der exaltierten in eine eher derbe Ausdrucksweise fällt. Dies hat seine größten Momente in einem schon von früheren Performances her bekannten Song, nämlich in dem von hämmernden Klaviertasten vorangetragenen Gospel-Stück “O Death”, bei dem sich ihre Stimme guttural im tiefsten Schlamm wälzt, sowie bei zwei Jacques Brel-Interpretationen. Ich bin angesichts der Versionen von Scott Walker und John Denver eher gegen weiteren “Amsterdam”-Cover, aber Gálas tendentiell monoton-kehlige Version ist so weit vom Original entfernt, das sie jeden überflüssigen Hommage-Charakter verliert, und wenn der Song gegen Ende dann doch noch melodisch wird, scheint ein Damm gebrochen und der furiosen Klage über Verfall und Absurdität kein Halt mehr gegeben.
Man kann “At Saint Thomas The Apostle, Harlem” und “On All the Way”, das aus Gálas’ Repertoire bekannte Songs wie “The Thrill is Gone” und “Round Midnight” enthält, als Geschwisteralben betrachten, aber ich gebe dem reinen Konzertmitschnitt aufgrund seines kohärenten emotionalen Narrativs den Vorzug, aufgrund seiner Bandbreite an Stimmungen ist es außerdem ein Album, das sich für den Einstieg lohnt. Der anfangs genannte Widerstreit zwischen Wut und besinnlichem Einvernehmen – im Laufe des Konzertes wird klar, dass beides immer mehr zu einem einzigen Gefühl wird, vielleicht weil man in den blanken Emotionen diffus spürt, wie sehr auch die eruptive Emotionalität ganz selbstverständlich angenommen wird. (U.S.)
Label: Intravenal Sound Operations