VIRTUAL FOREST: Telling the Bones

Ganz gleich, ob Marco Bernacchia mit Virtual Forest echte rituelle Gesänge aus entfernten Stammeskulturen samplet und und zu mystischen Soundscapes verarbeitet, oder, wie auf seinem aktuellen Tape „Telling the Bones“, mit dröhnenden Echos und abstraktem elektronischen Lärm beginnt, und dem Material erst durch diverse Beigaben einen rituellen Touch gibt – immer läuft das Experiment auf die Ritual Machine Music hinaus, die Fusion aus Ethno- und Industrialelementen, nach der er seine vorige LP benannte. Weiterlesen

GOLDEN ORIOLE: II

Ein anderthalbes Jahr ist ins Land gezogen seit dem furiosen Einstieg des norwegischen Duos Golden Oriole, das sich anschickte, ausgehend vom Noiserock der Kapellen Staer und Tralten Eller Utpult, die Welt um eine neue Facette “konkreter” Funkyness zu bereichern. Jüngst kam eine zweite Platte in die Regale ausgewählter Läden, wieder selbstbetitelt, und die zwei ausladenden Stücke setzen die Mottoparty in der gleichen Handschrift und mit dem gleichen Esprit fort. Weiterlesen

HOLOTROP / VRNA: Enkoimesis

Seit es die moderne Psychologie gibt, ist die Grenze zu spirituellen Praktiken unscharf, und viele Diagnose- und Therapiemethoden haben eine lange Vorgeschichte in rituellen Handlungen alter Kulturen oder den mystischen Strömungen der Weltreligionen. Ein besonders augenfälliges Beispiel dafür ist die sogennannte Trauminkubation, also das willentliche Hervorrufen von Träumen zu psychotherapeutischen Zwecken. Diese steht in einer langen Tradition von Kulthandlungen, bei denen in verschiedenen Weiterlesen

NATASCHA GANGL / RDECA RAKETA: Chicken 7″

Hinter den Nomes de Guerre Natascha Gangl und Rdeča Raketa verstecken sich das Duo Maja Osojnik und Matija Schellander, wobei der Name Rdeča Raketa wohl für das Duo als Ganzes steht – alles etwas verwirrend auf den ersten Blick, aber das ist sekundär angesichts der äußerst markanten Musik, die diese 7″ enthält. Weiterlesen

THISQUIETARMY: Unconquered 2008-2018 (10th Anniversary Edition)

Vor genau zehn Jahren brachte der in Montreal lebende Eric Quach, der bereits als Gitarrist der Shoegazer-Kapelle Destroyalldreamers in Erscheinung getreten war, sein erstes Soloalbum unter dem Namen thisquietarmy. “Unconquered” enthielt neun mit zahlreichen Effekten bearbeitete, ambiente Gitarrendronestücke, die sich v.a. durch ihr Fehlen von Statik vom immer unüberschaubareren Durchschnitt abhob. Weiterlesen

CONSUMER ELECTRONICS: The Weight / Hostility Blues

Nach Philip Bests Umsiedlung in den Staat der USA, in der momentan im Rennen um den Senat ein Demokrat, der Bassist in einer Punkband war, gegen einen Republikaner antritt, der gerne Schinkenspeck am Laufe eines Maschinengewehrs erhitzt, hat er sich als Verleger etabliert und in seinen kleinen Verlag Amphetamine Sulphate u.a. Kurzgeschichten von Sleaford Mods Jason Williamson veröffentlicht. Weiterlesen

V.A.: Anthology of Electroacoustic Lebanese Music

Im Zentrum von Beirut, nicht weit von der Downtown und dem chicen Place de l’Etoile und in direkter Nachbarschaft der größten Moschee und der größten maronitischen Kathedrale der Stadt, zieht ein fast ovaler grauer Betonbrocken die Aufmerksamkeit eines jeden Neuankömmlings auf sich. Es handelt sich um das 1965 für tausend Besucher gebaute Kino Dome, das heute von den Einheimischen nur “das Ei” genannt wird. Flaniert man seitwärts die Bechara El Khoury-Straße entlang, sieht man schnell, dass die komplette Südseite fehlt – das Gebäude ist seit Weiterlesen

DYLAN CARLSON: Conquistador

Künstler haben sich schon mit Diktatoren verglichen, um für ihren z.T. gewaltvollen Drang, eigene Welten zu schaffen, ein Bild zu finden. Eine andere Figur, die den Antrieb und die oft obsessive Getriebenheit künstlerischen Suchens spiegelt, ist der Entdecker und Eroberer, der mit Einsatz seiner Lebenskräfte und oft ohne Rücksicht auf sich und andere neue Länder entdeckte – auf der Suche nach neuen Horizonten, aber auch nach Ruhm, dem sagenhaften Goldland oder der Quelle ewiger Jugend. Weiterlesen

V.A.: Don’t Look Now: Aural Apparitions from the Geographic North

Bald ist die Zeit, in der man wieder das „October Country“ (Ray Bradbury) durchschreiten kann, die Luft von was auch immer für Wesen heimgesucht wird und es vielleicht heißt: „Guide them, holy lantern, through darkness and disaster. “ (Thomas Ligotti). Das in Decatur, Georgia, ansässige Label Geographic North veröffentlicht diese Compilation – die vielleicht auf Daphne du Mauriers Kurzgeschichte gleichen Namens oder Nicolas Roegs Verfilmung, deren deutscher Titel die Gondeln der Lagunenstadt im Namen trägt, verweist – , die als “frightening foray into Halloween-inspired sounds” bezeichnet wird. Weiterlesen

MIKE COOPER: Tropical Gothic

Der in Italien lebende Gitarrist und Klangkünstler Mike Cooper ist einer der originellsten Exotisten der letzten Jahrzehnte, denn er versteht es, die Motive, die im Kontext westlicher Populärkultur – in sleazigen Musik- und Filmgenres, im Tikki- und Kannibalenkult – exotische Projektionen markieren, zu abstrahieren und auf ihre wesentlichen Elemente zurückzuführen. Meist resultiert das in kaum songorientierten, “experimentellen” Soundscapes, doch die stecken meist derart voll mit Kolorit, dass man sich um den Unterhaltungswert keine Sorgen machen muss. Weiterlesen

FABRIZIO MODONESE PALUMBO: The Insincere Sympathy Of The Faraway Stars

Ich weiß nicht, in welchem Zusammenhang Joseph Losey und Tennessee Williams die Formulierung “The Insincere Sympathy Of The Faraway Stars” verwendet haben, aber man könnte sich darunter etwas nur diffus wahrnehmbares vorstellen, dem aus menschlicher Perspektive zugleich ein Eindruck von Ewigkeit anhaftet. Das würde zumindest gut zu der gleichnamigen Komposition passen, mit der Fabrizio Modonese Palumbo sein jüngstes Soloalbum füllt, denn die Abfolge der subtil verwobenen Sounds entpuppt sich als zirkulär und könnte sich auf diese Art endlos forsetzen. Weiterlesen

ORGANUM: Raven

Vielleicht ist diese Einschätzung nur der Rückschau geschuldet, aber eventuell ließe sich sagen, dass selbst in der dissonanten Frühphase in der ersten Hälfte der 80er das Werk David Jackmans als Organum – bei der unter seinem eigenen Namen veröffentlichten Musik sieht es ähnlich aus -  einen fast meditativen Charakter hatte, dass den aus schabenden und kratzenden metallischen Klängen, die zu zirkulierenden Noisesymphonien verdichtetet wurden, Weiterlesen

SHARRON KRAUS: Joy’s Reflection is Sorrow

Unter den Folksängerinnen der letzten Jahrzehnte gilt Sharron Kraus immer als die Spröde, deren Songs – v.a. wegen ihres ungeglätteten Gesangs – kaum zum Studentenfolk des letzten Jahrzehnts passten und auch denjenigen nicht wirklich entgegen kommen, die es bieder und altbacken mögen. Ihr neuster Longplayer ist gewiss nicht deshalb geworden, was er ist, weil sie ein für allemal beweisen wollte, dass sie auch ein veritables Popalbum auf die Beine bringen kann, und ein solches wäre “Joy’s Reflection is Sorrow” auch nur bei Weiterlesen

OISEAUX-TEMPÊTE: Tarab

Wenn man das hintergründige Piano und die leise summenden Geigen hört, mit denen die Ouvertüre beginnt, ahnt man noch nicht, wie gut sich der Titel „Tarab“ für das erste Live-Album der transmediterranen Formation Oiseaux-Tempete eignet. Im Arabischen bezeichnet das Wort nämlich einen Zustand der Ekstase, des außer sich Seins, der sich bei der Darbietung der Stücke mehrfach einstellt. Das Material auf der CD wurde bei Konzerten Weiterlesen

HOLOTROP: Deconstruction Mentale

Das in Berlin ansässige Projekt Holotrop tauchte vor einigen Jahren im Terrain zwischen ritueller Musik, Ambient und dunkler, psychedelischer Elektronik auf und machte sich durch Konzerte im In- und Ausland und eine rege Folge von Releases einen Namen. Der Name des Projektes bezeichnet die Eigenschaft einer Atemtechnik, die ekstatische Zustände hervorzurufen vermag und auf die Forschungen des Psychiaters Stanislav Grof, einem Pionier der Transpersonalen Psychologie zurückgeht. Weiterlesen