Im niederländischen Wattenmeer, zwischen Ameland und Vlieland, liegt die längliche Insel Terschelling, die für ihre ausgedehnten Strände ebenso bekannt ist wie für ihren Artenreichtum und die auf eine lange Tradition zurückblickende Landwirtschaft. In der Nordsee-Region gilt sie als eine der Hochburgen des Organic Farming, und doch hat sich das Leben dort noch einiges von seiner Urtümlichkeit und seinen alten Bräuchen erhalten. Vor drei Jahren hat das Dokumentarfilmer-Kollektiv ZimmerFrei ein intimes und weitgehend wortloses Porträt des Ortes und seiner menschlichen und tierischen Bewohner gezeichnet. Keine geringe Rolle spielt dabei die Musik, die dem Film fast durchgehend untermalt. Mit den wie beiläufig aufgezeichneten Bildern, die vielleicht gerade deshalb so eindringlich wirken, geraten sie und die Musik schnell zu einer atmosphärischen Einheit. Letztere hat aber genug eigene Dichte, um auch bei geschlossenen Augen ihre Wirkung zu entfalten, und dies war wohl auch der Grund, den Score als (wenn auch etwas kurzes) Album herauszubringen.
Der verantwortliche Komponist Dominique Vaccaro alias J.H. Guraj ist ein besonderer Fall schon insofern, dass man bei ihm Begriffe wie Blues und Americana mit solchen wie Tapeloops, Soundkollagen und Neue Musik in einem Satz fallen lassen kann – keine schlechte Voraussetzung, um ein feinsinniges Inselporträt mit sympathischem Hinterwäldlerflair zu untermalen, und so findet sich auf dem Tondokument allem voran eine impressionistisch anmutende Mischung aus lässigen, leicht verbummelten Gitarrenfiguren und dezent eingewobenen Aufnahmen von lokalen Alltagsgeräuschen aus Natur und Handwerk.
Der Score ist in drei Abschnitte unterteilt, die nach Filmmotiven “Cows”, “Horses”, “Men” und “Island” betitelt sind. Die entspannte Gitarre des ersten Teils lässt auch ohne Bilder eine weite Landschaft imaginieren. Sehr spontan muten die Griffe an, eine nette Parallele zur verwackelten Kamera. Vogelzwitschern und andere Naturgeräusche lassen das Setting noch pittoresker wirken, und die lässig gespannten Saiten und der gleitende Flaschenhals lassen regelrechtes Western-Feeling aufkommen, das zu den Rinder- und Pferdeherden im Film durchaus passt. Pferde sind im zweiten, also in “ihrem” Stück sogar zu hören, vermischt mit dem Klang von Kinderstimmen und einigen Arbeitsgeräuschen, die den Blues- und Country-Touch für Momente durch ein Hörspielszenario tauschen. Das perkussive Rumpeln und Rattern, von Reel to Reel-Tapes abgespielte Drums und andere Detonationen, vereinigt sich im dritten Teil dann mit der Gitarre und dem Sound von Wind und Regen und erinnert dabei an einen melancholischen Darkjazz-Auftakt, auch wenn man die ganze Zeit über ein eruptives Freakout erwartet – zu deutlich ist die Spannung, die das Stück durchzieht. Das finale “Island” markiert zumindest musikalisch einen deutlichen Szenenwechsel, denn der flirrende, vibrierende Dronesound, der keine Klangquelle mehr erkennen lässt, scheint den Ort ins Kosmische zu entrücken, bis alles in einen verschwommen-verträumten Schluss mündet.
Im Film liegt ein Schwerpunkt auf der künstlichen Gestaltung von Landschaften von der traditionellen Deicharchitektur bis zur künstlichen Bewaldung und anderen jüngeren Formen des landscape design, und dennoch hat alles einen Touch von Ursprünglichkeit. Dass die Musik mit ihrem lässigen, improvisiert wirkenden Instrumentenspiel und den damit verwobenen technischen Sounddetails dem nicht nur oberflächlich entspricht, ist sicher nicht zu weit gegriffen.
Label: Boring Machines