Es gibt wenige Künstler, die ein solch eigenwilliges Werk wie die nach einer Zeile aus einem Gedicht von Baudelaire benannten Spires That In The Sunset Rise veröffentlicht haben. Der von ihnen gespielte Folk ist/war tatsächlich und im besten Wortsinne „weird“. Nachdem sie zwischenzeitlich zu einem Quartett angewachsen waren, sind sie seit einigen Jahren nur noch ein aus Ka Baird und Taralie Peterson bestehendes Duo.
In dieser Besetzung wurden die beiden Teile von „Ancient Patience Wills It Again“ eingespielt, auf denen die beiden eine von Streichern durchzogene, immer noch irritierende Form von Kammermusik spielten. Auf dem Nachfolger „Beasts In The Garden“ spielten Blasintsrumente eine größere Rolle für das Klangbild. Mit dem Perkussionisten Michael Zerang wurden zwei Alben eingepspielt, auf denen Improvisation und Jazzelementen eine größere Rolle zukam.
Nach ihrem Umzug nach New York war Ka Baird in eine Vielzahl von Projekten involviert, veröffentlichte Pianoimprovisationen, eine Hommage an John Coltrane, mit “Sapropelic Pycnic” ein Album, über das es hier hieß, es sei eine “sehr intensive Musikerfahrung, die sich nur schwer mit herkömmlichen Begriffen beschreiben und noch weniger anhand von Genrebegriffen klassifizieren lässt”, arbeitete mit Camilla Padgitt-Coles als Tropical Rock und hat zusammen mit ihr Perfect Wave gegründet, ein Konglomerat aus Label, Magazin und Veranstaltungsplatform.Taralie Peterson veröffentlichte als Louise Bock ein Album, das sicher ebenso schwer zu kategorisieren ist wie die Arbeiten Ka Bairds.
Dieses Enumerative, das bei weitem nicht alle Projekte und Veröffentlichungen der letzten Jahre nennt, soll verdeutlichen, wie wenig diese beiden Künstlerinnen stillstehen, vielmehr scheint es immer (auch) um das Finden neuer Ausdrucksformen zu gehen.
In einem Interview, das wir vor etlichen Jahren mit Spires That In The Sunset Rise führten, sagte Ka Baird damals: „Ja, es gibt Widerstand gegen Vorhersehbarkeit. Wenn ein Schema fertig ist oder Regeln niedergeschrieben sind, verlieren wir schnell das Interesse. Wir können das berühmte Cage-Zitat (“Ich verstehe nicht, warum sich Menschen vor neuen Ideen fürchten. Ich fürchte mich vor den alten.”) unterschreiben. Im Geiste von Cage schätzen wir das Abenteuer und Unglück des Experimentierens sehr. Dennoch sind wir manchmal vom Vorgang des Songschreibens im Gegensatz zur totalen Improvisation fasziniert. In diesem Sinne haben wir also schon immer ein gewisses Maß an Vorhersehbarkeit beibehalten.“ Als wir vorletztes Jahr anlässlich der Veröffentlichung ihres Soloalbums noch einmal mit Ka Baird sprachen, wurde deutlich, dass inzwischen Improvisation eine größere Rolle spielte: “Diese Sessions mit Michael waren in künstlerischer Hinsicht der Imbegriff der Verwundbarkeit – und ich erinnere mich, wie befreiend ich das fand, das Scheitern derart zu begrüßen und bis zu einem gewissen Grad sogar anzustreben.”
Das wird auf der neuen Veröffentlichung “House Ecstatic (Cover Your Blood)”, ein auf Saxophon, Klarinette, Klavier, Flöte und Stimme(n) basierendes Werk, deutlich. Die lediglich nummerierten Stücke sind sicherlich in einem stärkeren Maße von Improvisation und Jazz beeinflusst als frühere Werke. „X Stat 25“ oder „X Stat Fourteen“ hätten sich vielleicht auch auf „Illinois Glossolalia“ finden können. Insgesamt hört man Instrumente, die in einen Dialog zu treten scheinen, der wortlos ist, ebenso wie die sparsam eingesetzten Vocals ohne Worte im herkömmlichen Sinne auskommen. Den Kollegen vom Wire erinnerten diese Aufnahmen an die Frühphase von ECM.
Sollte „Vorhersehbarkeit“ je eine Eigenschaft von Spires That In The Sunset Rise gewesen sein (ich bezweifle das), dann haben die beiden inzwischen/augenblicklich alles abgelegt, was dazu beitragen könnte. (MG)
Label: Astral Spirits