SPIRES THAT IN THE SUNSET RISE: Ancient Patience Wills it Again

Selbst im Rahmen des Weird Folk waren (die nach einer Zeile aus einem Baudelairegedicht benannten) Spires That In The Sunset Rise etwas Besonderes, übertraf doch deren „weirdness“ die der meisten so apostrophierten Folkkünstler bei weitem. Das 2003 veröffentlichte selbstbetitelte Debüt enthielt eine Reihe die Grenze des Atonalen oft überschreitenden Folkminuaturen – auch nicht der übelst gesonnenste Hipsterjournalist hätte hier den drei bzw. später vier Schulfreundinnen aus Chicago den Vorwurf machen können, „Folkelfen“ zu sein, viel zu dissonant und widerspenstig waren die Klänge, die sie auf Tonträger bannten. Auch die Stücke des Nachfolgers „Four Winds The Walker“ schienen aus einer anderen Welt und Zeit zu stammen. Wer je Folk mit Betulichkeit in Verbindung gebracht hatte, musste nur einen Track hören, um eines Besseren belehrt zu werden: Verstimmte Streicher wurden gespielt, spärliche Perkussion untermalte Beschwörungen – immer sah man vor dem inneren Auge Nachtschattengrün, Datura geschwängerte (Heide-)Landschaften. Das waren die jüngeren Schwestern von Comus, deren Musik immer (auch) etwas Beschwörendes, Verstörendes hatte und schon auf dem ersten Album gab es den Hinweis: „Bells don’t ting at night“. Dieser Hexensabbat – und das war die Metaphorik, die oft bemüht wurde, wenn über die Musik der Spires geschrieben wurde – wurde auf dem dritten Album „This is Fire“ und insbesondere auf dem 2008 veröffentlichten „Curse the Traced Bird“ etwas zurückgenommen: Die Stücke wurden länger, getragener und fast könnte man so weit gehen zu sagen, dass die Spires es spätestens mit letztgenannten Album geschafft hatten, eine ganz eigene Form von Kammermusik zu spielen, der das Erratische der ersten Alben fehlte, die aber noch immer weit von allzu konventionellen Formen entfernt war und es schaffte, Genregrenzen mühelos zu überschreiten.

Der nach vier Jahren veröffentlichte Nachfolger „Ancient Patience Wills it Again“ wurde nicht mehr auf dem inzwischen eingestellten Label Secret Eye veröffentlicht – und man kann sich durchaus fragen, ob das auch mit all denen zu tun hat, für die die totale Downloadfreiheit gleichbedeutend mit Souveränität und Selbstbestimmung ist -, sondern auf dem noch jungen Label Hairy Spider Legs aus Chicago.

Inzwischen besteht die Band nur noch aus Kathleen Baird und Taralie Peterson und knüpft musikalisch und atmosphärisch an das vierte Album an: „Veiled Undertow“ wird von Streichern und Drones eröffnet, die wie die Harmonika klingen, die Charles Bronson in „Spiel mir das Lied vom Tod “ spielt. Der Gesang klingt trauernd, hat passsagenweise aber durchaus etwas Sinnliches, wenn auch immer vor dem Hintergrund des Schnitters, der da lauert. „Grandma“ beginnt sperriger: Schläge (auf das Cello) erklingen, dann Stille, bevor der Gesang einsetzt, der für die Bandverhältnisse schon fast harmonisch klingt und der mit anderer Instrumentierung sicher auch auf konventionelleren Folkscheiben Platz hätte, dann kommt das Cello hinzu und die dem Stück den Charakter einer Klage gebenden Streicherdrones erinnern etwas an das, was Richard Skelton unter verschiedenen Projektnamen veröffentlicht. „Child of the Snow“ ist kürzer, ein gezupftes Cello leitet den Track ein, der dadurch etwas dezent Rhythmisches bekommt. In einer besseren Welt würden die Menschen zu „Child of the Snow“ tanzen. Das von Gitarren und Streichern bestimmte „November“ ist passend betitelt, denn natürlich ist diese schwermütige Musik besonders für den Herbst geeignet. Entfernt erinnert das an die Alben, die Nico Ende der 60er, Anfang der 70er mit John Cale aufgenommen hat. Wenn sich auf dem Song nach der „cave in the countryside“ gesehnt wird, überrascht das nicht, denn diese Musik scheint geeigneter für das nur bedingt lichte Unterholz als für oftmals an die Grenze des Erträglichen illunminierten Städte. Beendet wird das Album von „Well Tempered“, einem auf Akkordeonloops basierenden Stück.

Vielleicht könnte man bei „Ancient Patience Wills it Again“ von einem (ausge)reif(t)en Werk sprechen, würden die Assoziationen dadurch nicht allzu sehr in eine beschauliche Richtung gelenkt, denn Spires That In The Sunset Rise gehören auch auf ihrem fünften Album noch immer zu den originellsten Vertretern des Folk und diese Originalität zeigt sich nicht nur vor der Kontrastfolie all derjenigenen, die uns mit Akustikgitarre und Flöte untemalte Schlager als Folk verkaufen wollen.

(M.G.)

Label: Hairy Spider Legs