Die Idee hinter Daniel Menches zweiteiliger Komposition „Melting Gravity“ hat eine anthropologische Dimension, denn sie begreift den Menschen in einem immerwährenden Kampf zwischen dem Wunsch nach Transzendenz und den ernüchternden Gesetzen der Schwerkraft. Auf der einen Seite das Begehren nach buchstäblicher oder sinnbildlicher Überwindung der Beschränkungen des Körpers durch die Verheißungen der Levitation, des Rauschs, der außerkörperlichen Erfahrung und des Transhumanismus, auf der anderen die Gravitation als Naturgesetz, das wie ein Teufel in einem apokalyptischen Endkampf den rührigsten Bestrebungen einen Strich durch die Rechnung macht.
Menche begreift nicht als erster die Musik als Mittel im Kampf für die Transzendenz und geht mit gesampleten Saiteninstrumenten, Oszillatoren und FM-Synties ans Werk. Das Resultat sind zwei mantraartig kreisende Downtempo-Drones, unter deren eingängiger Gestalt komplexe klangliche Muster verborgen sind.
Der die erste Seite füllende Abschnitt, der mit gamelanartigen Gong-Klängen beginnt, zeichnet sich durch eine gewisse Dichte und Schwere aus, und scheint vordergründig betrachtet eher noch die “ungeschmolzene” Schwerkraft nachzuzeichnen. Ein merkwürdiges Tremolieren und hochfrequente Obertöne erzeugen eher Spannung, erst das kontinuierliche Kreisen der sandigen Dröhnung bringt das Setting in den erhofften Schwebezustand. Die zweite Seite beginnt wesentlich leichter und luftiger und knüpft mit dem Rotieren eines sitar- oder tanburartigen Instruments an die Dröhnung des ersten Teils an. Doch bei allem blechernen Rumpeln, das sich irgendwann dazugesellt, und allen Verzerrungen ist dieses Stück akustischer, lichtdurchfluteter und ja – auch abgehobener.
Über die Frage, inwiefern Musik eine Brücke zur Transzendenz darstellt, oder die in ihr geschaffenen Illusionen eben doch NUR Illusionen sind, ob in der schwebenden, hypnotisierenden Dröhnung die Begrenzungen der conditio humana überwunden oder doch nur ein erbauliches, eskapistisches Märchen erzählt wird, wird wohl immer gestritten werden, und ihre Beatwortung hängt sehr von kulturellen Faktoren ebenso wie von der Psychologie des Einzelnen ab. „Melting Cravity“ ist allerdings eine Musik, die sich auch ohne Heilserwartungen genießen lässt. (A.Kaudaht)
Label: SIGE Records