ROSS ALEXANDER: Memorias Vol.2

Erinnerung verfälscht immer und ist ein schwer zu entwirrendes Gemisch aus vergegenwärtigter und neuerfundener Vergangenheit. Vielleicht ist die verlässlichste Form der Erinnerung immer die, die all dies mitreflektiert. Soviel mitteltiefsinnige Phrasen seien hier erlaubt, denn eventuell spielen solche Überlegungen auch für Ross Alexander eine Rolle, wenn er die auf seinen Reisen gesammelten Field Recordings, die er “Memorias” nennt, mit eigens komponiertem Material anreichert und abrundet, so dass kein ethnografischer und schon gar kein “authentischer” Eindruck entsteht.

Falls es ihm um eine eigene individuelle Signatur geht, dann fällt diese von Aufnahme zu Aufnahme recht unterschiedlich aus, denn die heimelige New Age- und Electronic Avantgarde-Aura, die er den in Uganda mit den Musikern Alfred Sempeke and the Nilotika Collective gemachten Aufnahmen für “Memorias Vol.1″ verpasste, ähneln der Bearbeitung des hier vorliegenden Materials allenfalls minimal. Rauer, dunkler, experimenteller fällt die ambiente Untermalung für den zweiten Teil aus, der mit dem Untertitel “High Atlas to The Sahara Desert” schon den Schauplatz eröffnet: 2018 reiste er vom Atlasgebirge in Marokko in einen an der algerischen Grenze gelegenen Teil der Sahara, um an einem Treffen nomadisierender Musiker teilzunehmen, deren Instrumentenspiel er bei dem kurzen Zusammentreffen aufnahm.

Wahrscheinlich ist es nicht nur das körnige, leicht metallene Dröhnen von Alexanders elektronischer Grundlage, die den Jam-Charakter der Musik nur in bestimmten Momenten durchscheinen lässt, denn viele der Instrumentalbeiträge – bei “Amzigh Rue” heulende Flöten, die fast an klagenden Gesang erinnern, und zunächst klimpernde, später hypnotisch rasselnde Saiten – wirken wie füreinander gemacht. In “Night Pass” mischt sich die ambiente Elektronik schon etwas mehr ein, denn ihre stetigen Wellen drohen das Saitenspiel und die schnellen Handdrums immer zu verschlucken. “Each Mile a Dry River” dagegen lässt den tiefen Tönen der Oud und dem rollenden Fluss der Perkussion alle Freiheiten, kurz aufheulende Motoren weisen auf hörspielartige Tracks voraus, bei denen vorbeiziehende Stimmen und andere Geräusche der Straße die Musik für Momente zum begleitenden Score machen.

Die zwei Episoden des “Endless Tea Interval” wiederum stellen die Bearbeitung so sehr in der Vordergrund, dass selbst das Einschütten und Umrühen eines Tees dank Kontaktmikros zur Musik wird, und wenn die Platte dann mit sanftem Regen und harmonischen Glocken ausklingt, scheint es tatsächlich, als habe man mehr mitgenommen, als bei so manchem Urlaubs-Fotoalbum. (A.Kaudaht)

Label: Discrepant