Wer ohne weiteres Vorwissen “Night Island” von Elspeth Anne auflegt, könnte mit einer gewissen Verwunderung vernehmen, dass die Sängerin bereits seit fünfzehn Jahren solo und in Gruppen aktiv ist. Das Album hat nämlich, aller Melancholie zum Trotz, eine unbekümmerte Frische, wie sie für Debüts typisch ist. Versuche, ihre Musik zu klassifizieren, liefen oft auf einen dunkelbunten Genremix hinaus, bei dem Begriffe wie Folk, Grunge und Alt Country nicht lange auf sich warten lassen, eine Beschreibung, die man gelten lassen kann, aber man sollte hinzufügen, dass all dies in ihrer Musik wie eine unentwirrbare, fast organisch wirkende Einheit anmutet. Das hat sich auch auf “Night Island”, das ganze fünf Jahre nach dem Vorgänger “Thieves Again” herauskommt, aber über einen längeren Zeitraum hinweg entstanden ist, bewahrt.
Unprätentiös und fast ein bisschen unscheinbar beginnt das Album, doch schon beim Opener “CU on the Circuit” kommt etwas Drängendes, ein ungeduldiger, melancholicher Schwung in den minimalistischen Song, bei dem die ungekünstelte Stimme so viel Raum einnimmt, dass man zur Begleitung nicht mehr braucht als die leicht elektrifizierte Gitarre. Musik und Texte verschmelzen schnell zu einer atmosphärischen Einheit, in der immer wieder Gefühle des Verlorensein, aber auch trotzige Selbstermächtigung und ein kreatives Spiel mit dem Absurden das Diskursfeld bestimmen.
Man mag die Songs auf “Night Island” v.a. in die englische Folktradition von Sängerinnen wie Anne Briggs und, falls eine solche Referenz erlaubt ist, Shirley Collins stellen, doch viele der Stücke sind gleichsam heruntergefahrene Rocksongs, wie man sie auf Backworlds “amerikanischeren” Alben fand. Damit sind nicht in erster Linie düstere Songs wie die verzerrte Noiserock-Ballade “Black Lake” gemeint, die auch auf frühere Alben gepasst hätte, sondern trotz ihres filigranen Minimalismus treibende Songs wie das von versteckten Riffs vorangetriebe “Fog/Haar”, dessen spukhafte Aura in ekstatischem Flehen kulminiert. Selbst im pastoral entrückten “The Changer” steckt eine Brise Punk, so wie das besinnliche Piano mit der Zeit immer mehr eine aufgewühlte Honkytonk-Seite offenbart. Elspeth hat alle Instrumente – Gitarre, Piano, gelegentlich Percussion – selbst eingespielt, was sicher dazu beigetragen hat, dass die in Stimmung und Gangart recht unterschiedlichen Songs doch wie aus einem Guss klingen. Durch Stücke wie das feierliche “Mountain 01″, in dessen tröstliche Wehmut einige Ausrufezeichen gehämmert sind, das beschwingte “HAND” mit seinen Besentakten und die leicht verfremdete Mad Scientist-Geschichte “Mycroft’s Clamp” zieht sich ein dunkelroter Faden, der seine mysteriöse Abgründigkeit erst auf der zweiten Seite offenbart, in wie Selbstgespräche anmutenden Songs wie “A Swarm” und “The Hollow”, die von allerlei Bedrohungen (oder von projektiven Ängsten) künden.
Dass die hypnotische Entrücktheit von “Night Island” nie im Kitsch endet, liegt nicht nur an Zeilen wie “Nobody saves you and you drown” und der Ernsthaftigkeit, die all dies durchdringt, sondern ebenso an einer gut dosierten kantigen Unverblümtheit, die Elspeth Anne ganz selbstverständlich in ihre Songs einfließen lässt. (U.S.)