TØYEN FIL OG KLAFFERI: Botanisk Hage

Rauschender Wind weht durch das kraftvolle Grün der Blätter, lässt Äste knarren und bringt den üppigen Duft bunter Blüten und schwerer Harze mit. Aus allen Richtungen singen und schreien exotische Vögel, und eventuell ist es ein Specht oder ein ähnliches Tier, das die Szenerie zwischen luftiger Weite und prallem Dickicht mit hämmernder Perkussion beschallt, begleitet vom allgegenwärtigen Summen und Zirpen. Irgendwo fließt ein Rinnsal an einer Felswand hinunter, staut sich, lässt einen kleinen rauschenden Wasserfall entstehen, doch auch von den großen Blättern fremdartiger Gewächse, deren Schatten die tropische Hitze mildert, fällt erfrischendes Nass in dicken Tropfen auf den Boden, an dem sich schon kleine Tümpel gebildet haben. Auch scheinen Menschen nah, nerven mit ihren Telefonen, oft stören sie aber nicht weiter.

Ein botanischer Garten wird vom Besucher mit allen Sinnen wahrgenommen, und bei “Botanisk hage”, dem neuen Album des 2010 in Norwegen gegründeten Ensembles Tøyen Fil og Klafferi (TFK) vergisst man schnell, dass man gerade nur einer akustichen Illusion erliegt und nicht den tatsächlich gerade im botanischen Garten Oslos faniert. Das wundert insofern, dass das sechs Kompositionen umfassende Werk keineswegs die Geräusche eines von Menschenhand geschaffenen Biotops wiedergibt, ähnlich der Szenerie in Dans Les Arbres’ “Volatile”. Mit zahlreichen klssischen Instrumenten, v.a. Streichern und Holzblasinstrumenten, aber auch mit entsprechend eingesetzten Objekten von Gummibändern über Brausetabletten bis zu Katzenstreu werden die onomatopoetischen Sounds, die wie ein gesampleter Wald anmuten von intensiven, organisch Anmutenden Beiträgen durchaus im klassischen Sinne musikalisch illustriert.

Eine Sache, auf die anscheinend besonders geachtet wurde, ist die immer wieder spannende und dramatische Aura der einzelnen Passagen, in denen sich durchaus immer wieder unerwartetes ereignet und dem Idyll, in das sich eskapistischere Gemüter hier verrennen könnte, eher eine Nebenrolle zuweisen. Gerade die zurückgenommenen Parts wirken eher mysteriös und lassen eine Suspense entstehen, die sich zunächst in schrillen Höhen entladen muss, bevor entspannte Streicher den Hörer auf den erdigen Boden zurückholen. Dort wird sie oder er dann schnell unter einer Schuttlawine begraben, unter der urige Klarinetten ein Gefühl vom Inneren eines geheimnisvollen Organismus vermitteln. Alles wirkt natürlich und belebt und ist in gewisser Weise das Gegenteil der künstlichen Gärten von Dekadenzliteraten wie Baudelaire oder Stefan George, deren Pflanzen aus Kohle oder Diamanten gefertigt waren. Wenn hier Gummibänder quietschen, werden naturalistische Singvögel zum Leben erweckt. Auf der anderen Seite kann die Musik aber auch sehr vom Schauplatz abstrahieren und sich ganz auf die Atmosphäre beschränken, auf schläfrige, ruhige, unruhige, hektische Stimmungen, die zusammen mit der längst im Kopf de Rezipierenden entstandenen Topografie kleine Geschichten entstehen lassen.

“Botanisk hage” ist der perfekte Inspirationsquell für Synästheten und Pseudosynästheten aller Art mit Faible für grüne Osasen inmitten der nordischen Großstadt und vielleicht gerade deshalb so gelungen, weil sie die Balance zwischen Musik und Sound, Abstraktion und Plastizität zu wahren versteht. Im Booklet (auch bei der digitalen Version) findet sich neben informationen zu den beteiligten Musikern (Hanne Rekdal, Kristine Tjøgersen, Eira Bjørnstad und Tove Margrethe Erikstad sowie die Komponisten Hafdís Bjarnadóttir, Carola Bauckholt, Kristine Tjøgersen, Klaus Ellerhusen Holm, Ylva Lund Bergner und Lars Skoglund) auch eine Karte des Urbilds findet. (U.S.)

Label: Aurora / Grappa