GLORIA DE OLIVEIRA: Fascination

Es gibt seit rund zehn Jahren eine Menge junger Acts, die melancholische, von den frühen 80ern inspirierte Popmusik machen, und wenn man sich auf die Suche macht, findet man durchaus auch immer wieder solche, die neuromantischen Wave mit einer Brise Postpunk und impressionistischem Dreampop überblenden – Ultravox und die Cocteau Twins ließen bei Deserta mehr als deutlich grüßen. Gloria de Oliveira ist trotzdem eine einzigartige Vertreterin ihrer Generation, denn sie bringt ein cinematisches Element in ihre Musik, dass die Songs nicht nur für einen surrealen Gothicstreifen, sondern auch für einen wehmütigen Abgesang auf die Traumfabriken dieser Welt adäquat macht, einen Film, bei dem die Deutsch-Brasilianerin sich den Score mit Anna Calvi und Lana del Rey teilen könnte.

Vielleicht kommt dieses Element von ihrer eigenen Erfahrung mit bewegten Bildern, denn De Oliveira ist neben ihrer Musik als Regisseurin und Schauspielerin (in der Vergangenheit u.a. bei Babylon Berlin und Counterpart) tätig. Mein Interesse hatte sie spätesten, als mir die an zwei Filme des französischen Neosurrealisten Jean Rollin angelehten Titel ihrer beiden EPs ins Auge fielen: “Lèvres de Sang”, das auf den entschleunigten Vampirfilm gleichen Namens anspielt, sowie “La Rose De Fer”, benannt nach einer Gothic Horror-Antwort auf Buñuels Würgeengel, bei der zwei Teenager es aus unersichtlichen Gründen nicht schaffen, einen alten Friedhof zu verlassen.

Ich muss nun alle enttäuschen, die hofften, das nerdige Namedropping hätte nun ein Ende, denn ihr aktuelles Release “Fascination”, das ziemlich sicher auf einen weiteren Klassiker dieses Regisseurs anspielt, enthält neben Stücken ihrer bisher im Eigenrelease herausgebrachten Aufnahmen ganze sieben Remixe namhafter Kollegen. Doch zunächst zum Original, das mit dem in sakrale Höhen entschwebenden Intro “Ave Maris Stella” beginnt: Dort kristallisieren sich aus Instrumentalspuren, die wie Chöre klingen, echte liturgisch anmutende Gesänge heraus, und wenn dann später kühle Spoken Words und clubtaugliche Synthies hinzukommen, fragt man sich, wie sie schon in den ersten Minuten derart unterschiedliches in den traumwandlerischen, surrealen Rahmen bringt. Einige Tracks der Sammlung haben ein gewisses Hitpotenzial, ohne auf allzu eingängigen Pop hinauszulaufen, “The Only Witness”, “Falling in Space” und “The Dead” sind wehmütige Kopfhängerschmachtfetzen im Midtempo, in deren von hochtönenden Volten geprägter Sensibilität sich dennoch eine forsche Aufbruchstimmung versteckt. “The Field Where I Died” mit seinem typischen Four to the Floor-Takt tendiert noch mehr ins Postpunkige, verbindet all dies aber mit einer somnambulen Entrücktheit, die sich deutlicher in den entschleunigteren Balladen findet: In der verbummelten Schwermut von “To Recall” etwa oder in der verhuschten Elektronik von “Kind Mess”, bei dem man ein Echo der avantgardistischen Synthiekünste der 70er zu hören meint. In den Songs steckt übrigens noch einiges mehr an Anspielungen an Filme und Serien, auch wenn es nicht immer Rollin sein muss.

Auf der zweiten Seite finden sich überarbeitete Versionen aus den Werkstätten ganz unterschiedlicher MusikerInnen, die ausgewählten Songs ein zum Teil recht eigenes Gepräge geben. Gudrun Gut gibt “The Only Witness” eine diffuse, rhythmisch verquere Leichtigkeit, die jeden heimeligen Realitätseffekt in der Abstraktion auflöst. Fragrance schreiben “Falling in Space” um zu einer tänzelnden Fahrt ins Ungewisse. The Wide Eye geben zwei Stücken eine Extraschicht dunklen Synthiewave und legen ihnen eine raue Schale um. Box and the Twins träumen “The Field Where I Died” in verwaschenen, grobkörnigen Bildern als nachtschwarzes Szenario nach. Tellavision holt “Ave Maris Stella” dem Anschein nach mit entspannten Rhythmen auf den Boden der Erde, doch wer weiß, vielleicht trügt der Schein? Elkks mischt zuguterletzt einen räudigen Road Movie aus “To Recall”.

Obwohl “Fascination” eher als Compilation gedacht ist, hat es alle Qualitäten eines Debütalbums, bei dem die Remixe nur ein weiterer Apetithappen sind, um die für viele vielleicht noch unbekannte Musikerin kennen zu lernen. Ich vermute stark, dass man ihren Namen in Zukunft öfter hören und lesen wird. (U.S.)

Label: Reptile Music