V.A.: Too Much Future

Als die Punks der DDR den von den Sex Pistols popularisierten Schlachtruf “No Future” in ein vielleicht noch trotzig-nihilistischeres “Too Much Furture” ummümzten, ging es nicht um eine auf Rückwärtsgewandtheit basierende Irritation angesichts doch noch möglicher Progressivität. Was in den drei Wörtern eher anklang, war die Einsicht, dass keine Zukunft wohl noch besser sei als eine am Reisbrett entworfene Zukunft der Bürokraten und Technokraten, die man sich als kreativer Rebell nur grau und trist vorstellen konnte.

Westdeutsche Punks, v.a. die außerhalb West-Berlins, haben sich im Schnitt wenig für die DDR interessiert – der Gedanke an eine tendenziell linke Jugendkultur, die sich mit einer Wut und Energie, die einem vertraut war, gegen ein ebenfalls linkes Regime wandte, hinterließ bei vielen einen ambivalenten Beigeschmack. Doch wenn sich Bands Namen wie DDR Terrorstaat gaben, wie Grabnoct von roten Fahnen sangen, die “euch töten und fressen, alles weitere vergessen” oder wie L’Attentat ihren “Friedensstaat” in den trostlosesten Farben – “ich lebe, wo die Schizophrenie regiert, dort wo dich jeder Spießer anschmiert, dort wo man Mauern baut, wo sich keiner was zu sagen traut” – zeichneten, dann war das nur die am repressiven Ernstfall geschulte Version der Verzweiflung, die auch westdeutsche Punks in ihre Songs über linke Spießer oder den Verrat durch die Sozialdemokraten packten. Der allumfassenden Entmündigung setzte man den Glauben an das Vitamin A, die Anarchie, entgegen – ein Idealismus der gebrochenen Art, der sich in den Texten oft hinter Wut und Verzweiflung verbirgt und erst bei genauerem Hinhören vernehmen lässt.

Die in den 80ern gewachsene Punkszene der DDR ist ein vielfarbig schillernder Kontinent, der immer noch auf seine Entdeckung wartet. Ein wichtiger Schritt dahin haben Maik “Ratte” Reichenbach und Henryk Gericke, selbst Punk-Veteranen aus Bands wie Halbgewalkte Anarchistische Untergrundorganisation (H.A.U.), L’Attentat und Die Leistungsgleichen, nun mit der Herausgabe des vorliegenden Samplers getan. “Too Much Future – Punkrock GDR 1980-1998″ enthält auf drei LPs oder zwei CDs 48 Songs von insgesamt 38 ostdeutschen Punkbands unterschiedlichster Ausprägung. Ein roter Faden des Ganzen ist die auffallende Obskurität der meisten Acts: Zaungästen und Spätgeborenen mag tatsächlich nur Schleimkeim ein Begriff sein, Namen wie Namenlos, L’Attentat oder Müllstation sind ebenfalls noch einem Pubikum jenseits der Spezialinteressen einigermaßen bekannt, bis heute etablierte Musiker wie Die Skeptiker, Dritte Wahl oder Kaltfront dagegen sind nicht vertreten.

Viele der anderen Combos dagegen waren entweder schon zu Lebzeiten nur kleinen lokalen Szenen etwa in Berlin, Halle oder Leipzig bekannt oder wurden von Jahren des Vergessens aus der kollektiven Erinnerung gelöscht. Grund für diese echte Nischenexistenz ist die Tatsache, dass das Veröffentlichen legaler Tonträger damals VEB-Sache war, und die – übrigens von V-Leuten durchsetzte – Punkszene den Entscheidungsträgern suspekt war. Illegal produzierte Tapes, die oft nur im engsten Kreis zirkulierten, waren dementsprechend v.a. in der ersten Hälfte der 80er, bevor man heranging, die “anderen Bands” durch Charmeoffensiven ans System zu binden, die Regel. Nicht wenige der vertretenen Acts machen quasi aus der Not eine Tugend und setzen der für Punk typischen urigen Lofi-Attitüde noch eins drauf, was der mitreißenden Energie nie schadet und ihr manchmal sogar, trotz bisweilen unverständlicher Texte, einen Bonus beigibt. Dies dann auch ganz gleich, welcher Ausprägung des Punk die jeweiligen Bands huldigen. Neben gekrächzten Parolen (Gefahrenzone, Betonromantik), rituell anmutendem Gehämmer (Menschenschock, Restbestand), heiligem Zorn (Grabnoct mit ihrer furiosen Shouterin), ans englische Pendant erinnerndem Urbanismus als Apokalypse (Skunks) gibt es einige Grenzgänger, die etwas machen, das beim Punk von Anfang an dazu gehörte, nämlich noch etwas mehr als nur Punk ins Spiel bringen.

Aus “Messestadtpunk”, dem furiosen Freakout der Leipziger Wutanfall, hätte auch ein veritabler Noise Rock-Song werden können, und in vielen Stücken gibt es, oft sicher ohne bewusste Absicht kleine oder größere Winks in Richtung dessen, was Postpunk und NDW genannt wird: Im nach hinten gemischten Gesang von Namenlos, in der Basslastigkeit von Rosa Extra, in der monotonen Melancholie von Kein Talent, im spielerischen Dadaismus, der in “Die Sterne sind Schwanger” von Konstruktives Liebeskommando durch die kurzen Atempausen der überbordenden Wut dringt. Auch in der Schrillheit von Die Letzte Diagnose, deren Beitrag von einer gewissen Abstraktion durchdrungen ist und die Brücke zu etwas experimentelleren Ansätzen schlägt. Diese finden sich z.B. in der sich langsam voranschlingenden “Schlange” von Planlos, in einer ultra-lofi dekonstruierten Hymne von Die Leistungsgleichen und in dem von einer Staubwolke eingehüllten Song “Stalin” der Band Fraktion.

Dem gegenüber stehen Lieder zum verzweifelt-leidenschaftlichen Mitsingen, die natürlich – “Ronny muss zur Armee” von Vitamin A ist so ein Song – oft eine resigniert-melancholische Note haben, aber es gibt auch genügend Stoizismus zum Durchhalten wie in der der Verweigererhymne “Bahnhofsbank” von Die ambulanten Musikanten auf dem Weg ins Hospital, und die Fanatischen Frisöre zielen mit ihrem kämpferischen Titel “Nieder mit der Apathie” sogar direkt ins Serotoninsystem ihres Publikums und beschwören den Aktivismus trotz aller Sackgassen. Dieser oft tragisch und immer vital anmutende Zorn, der sich durch die Sammlung zieht, verbietet es einem Quereinsteiger, eine Bewertung abzugebem, gleichwohl der Rezensent beeindruckt ist von dieser Kultur, die m.o.w. direkt vor der Haustür gewachsen ist.

Abgerundet wird das Projekt übrigens von einer zehn Songs umfassenden Lifeaufnahme der Bigband Ex-Cert aus dem Jahr , die sich aus Musikern von Namenlos, Planlos, Wutanfall und L’attentat zusammensetzte. Hauptstadtkinder und Reisefreudige dürfen sich den 9. Oktober notieren, denn dann sind L’Attentat, Planlos und Betonromantik live auf einer Release-Party im Kreuzberger Lido zu sehen.

Label: Majorlabel / Iron Curtain Radio