Manchmal ist es eine besonders interessante Erfahrung, fremdsprachliche Musik zu hören, gerade wenn die Texte in einer Sprache gesungen sind, von der man immer ein paar Fetzen versteht, ohne dass man sich einen Reim auf den Gesamtzusammenhang machen könnte. Meist schnappt man noch ein paar Hintergrundinformationen auf, die Stimmung, die sich in Melodien, Rhythmen, Klangfarben und natürlich dem Gesang abzeichnet, tut ihr übriges, und schon kann man gar nicht mehr umhin, die Musik auch über ihre echten oder vermeindlichen Inhalte sprechen zu lassen. Dabei muss man aber selbst einen ordentlichen Teil der kreativen “Arbeit” leisten.
In “Corazon o Plomo”, dem neuen Album der katalanichen Comando Suzie geht man auf eine Reise, die am Pier eines mediterranen Hafens beginnt, der Seewind weht Erinnerungen herbei, oder sind es die Whatsapp-Nachrichtungen zweier Liebender? Kurz darauf flaniert man küssend durch die Hotspots von Barcelona und landet auf einem Neofolk-Konzert. Umweht von üppigem Myrrheduft erscheinen Fermando Rey und Catherine Deneuve und ziehen einen in die von Krankheit und Neurosen stickige Luft von Buñuels Tristana, doch schon bald fühlt man sich der Erde so fern wie der Stierstern Aldebaran. Liebe und Tod, wahre Schönheit, fliegende Funken flickern auf, und es ist ein bisschen wie wenn man ein Tagebuch in einer fremden Sprache ließt, das geöffnet auf einem Tisch liegt. Die Reise geht weiter nach Bilbao, nach Kopenhagen, Turin, Stockholm und Berlin zu Nicos Grab im Grunewald. Was am Ende bleibt, ist eine Feier der Lebensfreude, des Joie de vivre. Kein Score würde besser zu dieser imaginären Reise passen wie der von der Erinnerung an New Romantic durchdrungene Elektropop Comando Suzies, der feinsinnig ist in seiner entrückten Wehmut und in seiner kraftvollen Kantigkeit zugleich frei vom gelackten Bübchenstolz der meisten Synthiebands unserer Tage – eine Musik, über die wie bereits im Interview mit Raul Lopez, dem Sänger und Musiker hinter dem Namen sprachen. An “Corazon o Plomo” bastelte er bereits seit fast vier Jahren, und es ist als eine Art Sequel seines Debüts “El Hombre Sentimental” gedacht, dessen Themen um Liebeslust und Liebesleid hier nach zehn Jahren erneut angegangen werden.
Wer frühere Aufnahmen, v.a. das Vorgängeralbum “Principias y Salidas” kennt, wird Lopez Sound besonders in den ersten Tracks wie “Espigón”, aber auch später in “En La Frente” und dem Goth-angehauchten “Y todo saldrá bien” wiedererkennen, in den Refrains zum Mitsingen und den kraftvollen, z.T. monumentalen Synthies. Schnell merkt man jedoch, dass sich unter der eingängigen Oberfläche einiges mehr ereignet. Ungewöhnliche Objekte erzeugen Rhythmus im atemlosen “Nubecita y tormenta”, in “Huele a mirra” kontrastieren die nur leicht melodisch eingefärbten Spoken Words mit dem tanzbaren Takt, während chansongetränkte Synthies bunte Tupfer an eine Weiße Wand malen. Hoch klingelnde Synthies lassen sanfte schwarze Sterne am Firmament aufleuchten, wie es einem Song wie “Aldebarán” gebührt, und stets hat man das Gefühl, das in den Melodien etwas durch unsere Welt schleicht und sich umsieht. In einigen Stücken, vielleicht am meisten in “Belleza Real” macht Raul etwas ganz eigenes, indem er, meist am Ende der Strophen, sein Gesangstempo verschnellert und wie von einer inneren Notwendigkeit getrieben noch ganz viele Worte in die Verse packt und so in der Atemlosigkeit noch mehr emotionales Charisma entstehen lässt.
“Belleza Real” ist auch eines der Stücke, bei denen der Beitrag der anderen Musiker deutlich wird, zumindest schien das gesamplete Stimmenchaos, das unter der Oberfläche durchscheint und dem Popcharakter des Songs noch eine Portion Tiefe gibt, statt ihn in Hektik zu ertränken, auch die Handschrift Demian Recios (Ô Paradis) zu tragen, der als Mitmusiker einiges beigetragen hat. Vielleicht kann man hier auch eine Spur des Industrial finden, an den viele seltsamerweise wegen des Bandnamens denken, und in ausgewählten Momenten der Vergangenheit habe sich solche Spuren tatsächlich Bahn gebrochen. Im Downtempo von “Saltan Chispas”, dessen Worte wie die Wellen einer sanften Brandung hervorgestoßen werden, fügt sich die unprätentiöse Geige Aloma Ruiz Boadas (Current 93) perfekt ein. Der größte Beitrag kommt allerdings von Rauls Partnerin Eva Grace, die weitere Synthieparts beisteurt sowie das weibliche Element durch ihren Gesang, der sich in mehreren Songs als Backing Vocals einfügt und in “Aviones” einen größeren Raum erhält.
Schon beim versöhnlichen Abspann von “Joie de vivre” könnte man registrieren, dass viele Melodien aus “Corazon o Plomo” im Kopf bereits ein Eigenleben entwickelt haben und einen lange begleiten. Das freilich sollte nicht davon abhalten, das Album erneut aufzulegen. (U.S.)
Label: El Genio Equivocado