Es gibt wenige Aussagen, die weiter vom Hyperbolischen entfernt sind, als der Hinweis auf die unglaubliche Wichtigkeit von Daniel Millers Label Mute für die (nicht nur) elektronische Musik der letzten Jahrzehnte. Miller löste (scheinbare) Widersprüche auf, veröffentlichte z.B. Non+Smegmas 7” neben seiner Faketeeniepopband Silikon Teens, setzte „Music For The Masses“ neben Laibachs “Opus Dei”, um nur ein paar wenige Beispiele aus dem ersten Jahrzehnt der Labelgeschichte zu nennen.
Millers musikalisches Debüt, für das er sein Label 1978 ursprünglich gegründet hatte, als The Normal mit dem von JG Ballards Roman Crash inspiriertem „Warm Leatherette“ (mit der B-Seite „TVOD“) ist ebenfalls bzgl. des Einflusses auf verschiedenste Spielarten elektronsicher Musik nicht zu unterschätzen. Miller widmete sich trotz ein paar Veröffentlichungen (u.a. als Duet Emmo mit Bruce Gilbert und Graham Lewis von Wire) in den dann folgenden Jahrzehnten primär der Labelarbeit.
Zusammen mit Soundmann Gareth Jones, den Miller erstmalig bei der Arbeit an Depeche Modes „Construction Time Again“-Album 1983 traf, hat er in den vergangenen Jahren unter dem Namen Sunroof vereinzelte Remixe (etwa für Goldfrapp oder Can) gemacht, (erst) jetzt erscheint das Debütalbum der beiden. Miller und Jones hatten sich die Jahre über immer wieder zu gemeinsamen Sessions an modularen Synthesizern getroffen, kamen aber erst 2019 auf die Idee, Material für ein Album aufzunehmen. Dabei machten sie sich ein paar konzeptionelle Vorgaben: “We said we’d work in a number of different physical spaces but always together, in the same room. We were keen to do shorter pieces because we were both very inspired by Chris Carter and Martin Gore’s electronic music projects, where the pieces were very concise and compact.“ Die beiden versuchen, eine Unterscheidung zwischen Improvisation und Jamsession zu machen: „With modular systems, you can just go on and on forever and never actually complete anything. Sometimes that’s okay – part of the joy of a modular is that you can just keep going indefinitely. But with this we were keen to actually finish something, so setting that timeframe became a really important rule for us”. Dabei betont Jones, dass für ihn die Attraktivität der Arbeit an und mit modularen Synthesizern gerade darin liege, dass sie “spontan und flüchtig” ist.
Unter dem bezeichnenden Titel „Electronic Music Improvisations Vol. 1“ erscheinen in der offenbar wiederbelebten Parallel Series von Mute die insgesamt acht modularen Stücke, die als Tracktitel lediglich ganz lapidar das Datum der jeweiligen Aufnahme tragen. Mein Favorit ist vielleicht der getragene, leicht düstere Opener, mit seinen wellenartigen Sounds, der dann im weiteren Verlauf so etwas wie Rhythmus entwickelt, um dann in leichten Dissonanzen untertzugehen. Dagegen ist das zweite Stück (eines von dreien, das den Titel “30.5.19″ trägt) verspielter und leichter. Auf dem dunklen dritten Track meint man, Wind wehe, andere Stücke lassen an einen Computermeltdown (der siebte Track) denken oder an Klaus Schulze (der Abschlusstrack). Es ist durchaus erfreulich, dass sich im Titel des Albums die Fortsetzung schon ankündigt. (MG)
Label: Mute