Von den vielen Ländern, in denen es überraschend experimentierfreudige (und in Europa oft unbekannte) Musikszenen gibt, taucht der Iran in unserer Berichterstattung immer wieder auf. Über die Jahre erreichten uns Compilations zu experimenteller, ambienter und traditionell beeinflusster Musik, bekannte Vertreter der lokalen Musik wie Saba Alizadeh und Siavash Amini oder im Ausland lebende Acts wie 9T Antiope und Marjan Farsad zählen zu unseren immer wiederkehrenden Themen. Umso schöner zu sehen, dass die im vorigen Jahr erschienene Anthologie “This is Tehran?” nach wie vor Überraschendes zu bieten hat.
Wie der Titel impliziert, konzentriert sich die Sammlung auf die Musikszene(n) speziell der Hauptstadt Teheran, die innerhalb einer Handvoll Generationen von einer eher unbedeutenden Kleinstadt zur Megapole mit 15 Millionen Einwohnern heranwuchs. Innerhalb dieser Zeit wurde die Stadt Zeugin von zwei Revolutionen und manch anderen dramatischen Ereignissen, und in den Augen des Westens wandelte sich ihr Image vom opulenten Sehnsuchtsort, in dem noch in den 70ern dekadente Parties gefeiert wurden, zum Hort einer ebenso einseitig imaginierten Gefahr. Der Übergang von einem zum anderen, aber auch die Tatsache, dass beide Bilder der Wirklichkeit der Stadt in Teilen – aber auch nur in Teilen – gerecht werden, sind sehr anschaulich in Christian Krachts Roman “1979″ illustriert, aus der iranischen Literatur gibt es wahrscheinlich noch bessere Beispiele. Teil der vielfarbigen Milieus der Stadt ist heute auch eine große Kunst- und Musik-Community, und die Beiträge, die auf der im vorigen Jahr erschienenen Sammlung vertreten sind, geben einen bemerkenswerten Einblick in deren Bandbreite.
In der heterogenen Auswahl reihen sich traditionell anmutende Stücke mit Piano und Karmancheh (eine Spielart der Violine) wie das besinnliche Stück von Siavash Molaeian und Kasra Faridi oder jazzig eingefärbte Balladen wie Mina Momenis “Divar” an die verspielte und gleichsam epische Zeitraffer-Elektronik von Rojin Sharafi oder den dekonstruierten Triphop der Otagh Band, dem der tanzbare Underground-Techno mit Folkzitaten von Pedaram Babaiee in nichts nachsteht. Wie eine rasante Fahrt über weites Land präsentiert sich die galoppierende Uptempo-Nummer von Ehsan Abdipour, die nach eigener Angabe nur auf Synthies und Perkussion basiert, doch an manchen Stellen meint man schalmeiartige Bläser zu hören, die die verblüffende Nähe der alten Musik aus Ost und West in Erinnerung rufen – wie dem sei, der Sound basiert recht sichr auf Mixed Media. Nach nicht einmal drei Minuten endet das Stück, und man mag nicht glauben, dass es wirklich so kurz war.
Zu den weiteren Höhepunkten zählt der Beitrag des mittlerweile auch hierzulande etwas bekannteren Saba Alizadeh vom aktuellen Album, ein vordergründig bedächtiges Karmancheh-Stück, unter dessen Oberfläche sich eine enorme Wucht nur halb versteckt. Ferner der komplexe Score von Ata ‘Sote’ Ebtekar und Band, deren düstere Elektronik einen dystopischen Breitbandfilm untermalen könnte. Dann keineswegs zuletzt der von klassischem Piano begleitete Gesang von Parastoo Ahmadi – ich empfehle ihre leidenschaftliche Interpretation eines alten Liedes aus Shiraz (nicht nur) all jenen, die iranische Musik mit Sängerinnen wie Darya Dadvar oder Sara Naeini verbinden.
Warum das Fragezeichen im Titel? Vielleicht weil diese Musik AUCH Teheran ist und somit nur ein Teil der Riesenstadt. Aber ein sehr ungekannter, den es zu kennen lohnt.
Label: 30M Records