V.A.: Visions of Darkness (2CD-Edition)

Compilations, die eine Reihe verwandter Genres aus einem bestimmten, auf dem Musikglobus noch eher unerforschten Land abdecken, bilden unter neuen Tonträgern längst ein Segment für sich, und auch wenn solche Zusammenstellungen der Musik oft etwas von der verdiente Aufmerksamkeit bringen, besteht andererseits immer die Gefahr, dass sich nur die überschaubare Gruppe derer angesprochen fühlt, die aus Interesse am Fremden gerne mal über den eigenen Tellerrand schauen wollen. Für Leute, die einfach interessante Musik in vertrauter Machart suchen, stellt dieser Fremdheitsbonus oft eine Hürde dar, und gerade in den düsteren Szenen ist stereotypes Denken da weit verbreitet. Selbstverständlich ist das schade, und die vorliegende Sammlung dunkler Elektronik aus dem Iran hat einiges auf veritablem Niveau zu bieten.

Ganz passend für einen Sampler mit dem Titel “Visions of Darkness” nehmen nächtliche Soundscapes ambienter Prägung einen großen Raum ein – Acts wie Nojan, Alphaxone, Anunnaki Signal, Reza Solatipour und Hossein RangCha produzieren Dark Ambient in Reinkultur: je nach Ausrichtung als entspannte Dröhnung, leicht verzerrt oder an der Grenze zur Neoklassik. Andere wie DSM und Ali Phi variieren dies in eine rituelle Reichtung, die in Saint Abdullahs “Unforgotten Promises” mit hektischen Stimmsamples und metallenem Geprassel ihre Vollendung findet. Zu den Höhepunkten der Sammlung zählen die Tracks des auch hierzulande nicht unbekannten Morego Dimmer: Als Xerxes the Dark kreiert er mit Regensamples, Glockenläuten und düsteren Gesängen ein Szenario, das zwischen Lustmord und Rainson d’Etre angesiedelt ist. Während dieser Beitrag immer wieder in Death Industrial zu kippen droht, wirkt sein an Cello erinnerndes Dronestück mit Nyctalllz organischer, aber kaum weniger finster und bedrohlich.

Neben Soundscapes zwischen orientalischen Folkeinflüssen (Limen) und krautig-psychedelischer Elektronik (XSIX, Soheil Soheili, S.S.M.P., Crows in the Rain, Downtown of HongKong) sowie staubtrockenen Gitarrenwänden (Rhonchus) bilden experimentierfreundig kollagierte Kompositionen einen weiteren Schwerpunkt: Narcissa Kasraï vom Kasraï MusicLab baut einen filigranen Irrgarten aus papiernen Sounds, in dem man erst mit der Zeit Orientierung findet. Während idft mit ihrem bestialischen Knurren und Schmatzen weitgehend unidentifizierbar bleiben, changieren PooYar zwischen schwermütigen Pianoparts und einer Plethora an gesampleten Sounds, bei denen ein wahrer Urwald voller Vögel die Oberhand hat. Der abschließende und zugleich längste Track von Mehdi Behbudi & Vahide Sistaani fällt mit deinen entspannten Spoken Words in Farsi über monumentalem Dröhnen und etlichen Samples eher in die Kategorie Hörbuch.

So begeistert “Visions of Darkness” nicht nur durch die Qualität, sondern auch durch die Bandbreite der Musik, für deren Feinschliff übrigens Martin Bowes (Attrition) verantwortlich zeichnet. (U.S.)

Label: Unexplained Sounds Group / Cold Spring