Auch wenn (Auto-)Biographien oft den Eindruck vermitteln (wollen), die Vergangenheit ließe sich aus der Distanz problemlos wiederherstellen, ganz so, als könne man eine diffus-amorphe Masse von scheinbaren Erinnerungen in eine klar abgrenzbare Chronologie bringen, so handelt es sich dabei doch eher um eine dem Wunsch nach besserer Lesbarkeit und Kontrolle geschuldete Re-Konstruktion. Das berühmte Zitat L.P. Hartleys „The past is a foreign country; they do things differently there” ist mehr als zutreffend,
Martin Weinreichs Herangehensweise auf seinem Debütalbum „Points of Entry (1989-1995)“ ist dann auch eine andere: Unter dem Motto „Channeling confusion and fear 1989 – 1995 | This attempt to fix the trajectory was completed in 2020“ wird das Album verstanden als „ein elektroakustisches Tagebuch im Nachhinein – mit Einträgen über Entdeckungen, Verwirrung, vage Erwartungen und einige hartnäckige Geister, die sich bisher geweigert haben, zu gehen. “ Weinreich verweist im umfangreichen Booklet u.a. auf Mark Fisher, ordnet jedem Track ein Foto sowie Zitate (Auszüge aus Rezensionen etc.) zu, nennt Musiker, die er als „enablers“ versteht: von Cypress Hill zu Morbid Angel, Skinny Puppy zu Tricky, Public Enemy zu Throbbing Gristle, um daraus ein assoziativ-fragmentarisches Album zu konzipieren. Der Plural im Albumtitel weist vielleicht schon auf die zahlreichen, unterschiedlich(st)en Zugänge hin. Hier wird collagiert, werden Cut-Ups vorgenommen. Das ist (T.S. Eliot plagiierend) “a heap of broken images and sounds”.
Der erste Track „A Point Of Entry (13/03/1989) verweist auf einen Auftritt Front 242s: Man hört Beats und französiche Sprachsamples. „Two Instances Of British Funk“ spielt auf den „Grizzly, Essex funk“ von Nitzer Ebb an, „Chicago Trax (Deities/Rabies)“ evoziert Skinny Puppy, „Steady Diet (01/07/1992)“ ist mit Stimmenfragmenten ein atmosphärischer Dark Ambient-Track, auf „If You Want To Become“ ist Lungfish der Referenzpunkt. Es gibt das dissonante „Soul“, „Industrial Introduction“ thematisiert Videoaufnahmen von Throbbing Gristle. Auf 15 Stücken, die zwischen 30 Sekunden und sechs Minuten lang sind, bekommt der Hörer mehr Fragen als Antworten. Weinreich spricht von „processing, editing and composition“ und mit dieser Heransgehensweise erzeugt er etwas (im positiven Wortsinne) Rätselhaftes. Seine Methodologie spiegelt sich dann auch vielleicht in dem im Booklet zu findenden Zitat aus Thomas Ligottis Kurzgeschichte “The Troubles of Dr. Thoss” wider: „any cultural source of published material would do as long as its pictures spoke the language of dark lines and vacant spaces.“ (MG)
Label: Hauch Records