Unter all den Gruppen, die irgendwie dem weiteren Umfeld des Postindustrials entsprungen sind, nimmt/nahm das aus Jürgen Weber und Frl. Tost bestehende österreichische Duo Nový Svět eine Sonder- und Ausnahmestellung ein: Zu sehr überschritt man enge Genregrenzen, zu sehr bediente man sich aus einer schier unüberschaubaren Menge verschiedenster Musiken, um daraus für jede Veröffentlichung eine ganz eigene wie eigenwillige Mischung zu erschaffen – sowohl auf den Vollzeitalben als auch auf den vielen kleinformatigen Arbeiten: Da entstand eine wilde Mischung aus Folk, Industrial, Ambient und vielem mehr. In irgendinem Interview wurde einmal, sicherlich durchaus selbstironisch, von „Combat Folk“ gesprochen. Über die Motivation sagte Jürgen Weber einmal: „NOVY SVET is a very personal mission.“
Aber die Existenz Nový Světs war trotz der Fülle an Aufnahmen geprägt von Enden, von (scheinbarem) Ableben. In Interviews sprach Jürgen Weber immer mal wieder davon, er wisse nicht, ob es noch weitere Alben geben würde und dann hielt man den vorzeitigen Schwanengesang „Fin Finito Infinito“ in den Händen, dann gab es 2008 das völlig elektronische „Todas Las Últimas Cosas“, das das Ende einleiten sollte – das dann aber zumindest durch Veröffentlichungen von Archivmaterial doch noch verzögert wurde: Drei Jahre danach erschien mit „Into Your Skies“ ein komplett auf Englisch gesungenes und primär mit Akustikgitarre eingespieltes Album, zwischen 2012 und 2014 gab es drei Tapes mit Ambient-Arbeiten und schließlich 2015 ein mit schlicht „Mono“ betiteltes Tape. Es erschienen als weitere Lebenszeichen schienbar neue Aufnahmen auf drei Split 7”s (mit Spettro Family, German Army und Susa24 – wobei letzteres Projekt wohl eines der vielen Pseudonyme war, unter denen Jürgen Weber in all denen Jahren agierte). Auf dem Soundcloudaccount Webers findet sich jetzt eine Liveaufnahme vom 05.05.22, über die es heißt: “the band split up the same night”.
Dabei hat das jetzt veröffentlichte Album „Desde Infiernos De Flores“ (natürlich) eine für Nový Svět so typische Geschichte hinter sich: Zwischen 2004 und 2005 erschienen auf dem Band-Minilabel Nekofutschata mit „Là-Bas(s) Communion“ und „Siderant – A Beat Monkey Meditation“ zwei Maxis, die die ersten zwei Teile einer Trilogie darstellen sollten, und Material enthielten, das zum Teil auf dem Album „Desde Infiernos De Flores“ erscheinen sollte, das dann allerdings (bis jetzt) nicht veröffentlicht wurde.
Jetzt erscheint es doch auf dem Label Quirlschlängle des deutschen Duos Brannten Schnüre (das sicher durchaus von Nový Svět beeinflusst worden ist). Als Bandname fungieren lediglich die Initialien der Band, als Albumtitel die Anfangsbuchstaben der einzelnen Wörter des urspünglichen Titels – ergänzt mit dem in Klammern gesetzten „(Redux)“. Dieses Redux lässt sich auf vielerlei Weise lesen: etwa bezogen auf die minimalistische Präsentation (Tracktitel oder weitere Informationen sucht man vergeblich) oder aber auf die auf diesem Album enthaltene Musik, die zurückhaltender, reduzierter als viele andere Aufnahmen Nový Světs sind. Man vergleiche diese Aufnahmen etwa mit dem erupriven, von Drogen geprägten „Chappaqua“ (insbesondere „Stardust“), dem recht rabiaten 9/11-Album „Nuevo Babylon“ oder frühen Songs wie „Puro Rumore / Puro Amore“. Auf “Desde Infiernos De Flores” singt, spricht Jürgen Weber, zum Teil aber fast nur noch flüsternd. Das Album beginnt kaum wahrnehmbar mit Brummen, einem Kratzen und Schaben, Fliegensummen, ein paar Beats, einem Sprachloop. Auf 19 Tracks, die zum Teil von oben genannten Maxis bekannt sind, hört man ab und zu etwas Perkussion, das Scratchen von Platten, da erklingt plötzlich ein Loop von einem Sample, das auch schon Ministry verwendeten („I discovered Jesus was the devil“), man hört Feldaufnahmen von zirpenden Grillen und zwitschernden Vögeln, ab und zu etwas Bass oder die Trompete Flavio Rivabellas, man vernimmt das in Nový Svět Aufnahmen so häufig zu findende „corazón“, ergänzt durch Begriffe wie „sangre“ „tortura“ oder „amor“. Hier wird wieder einmal ein Netz aus Liebe und Schmerz gesponnen.
Dass dieses Album der Hölle der Nichtveröffentlichung entrissen worden ist, ist mehr als erfreulich, denn dieses Album zeigt, wie es gelingen kann, eine seltsam-autarke Musik zu kreieren, die kaum fassbar ist. Vielleicht ist dieses verspätet veröffentlichte Album das atmosphärisch dichteste der Bandgeschichte. Limitiert auf 350 Exemplare. Wer noch tiefer in den Kosmos der Band eintauchen möchte, der kann auf oben erwähnter Soundcloudseite noch weiteres unveröffentlichtes Material erkunden. (MG)
Label: Quirlschlängle