Wahrscheinlich sind die beiden Betreiber von Temple Music so weit von jeder Diskussion über wiedererkennbare Stile oder gar Genrezugehörigkeiten entfernt, dass sie über jegliche Verwunderung über ihre stilistische Wechselhaftigkeit nur ebenfalls mit Verwunderung reagieren würden.
In der Vergangenheit haben Alan Trench und Steve Robinson immer wieder spontane Wandlungen vollzogen, brachten deftige Space Rock-Alben heraus, Werke von beinahe hörspielartiger Abstraktion, rituelle Dröhnung, rumpeligen Postpunk und verdrehte Psychedelic-Alben, die vielleicht am ehesten zwischen all diesen Extremen verortbar sind. Dass einem mit der Zeit auch Verbindendes auffällt, seien es ein immer wieder rituell-esoterischer Schwerpunkt, eine mal deutlichere, mal weniger manifeste folkige Schlagseite oder letztlich Alans unverkennbare, auch von Orchis und anderen Projekten her bekannte elektrifizierte Gitarrensounds, steht freilich auf einem anderen Blatt.
All diese Wechselseitigkeit verdankt sich sicher auch den vielfachen Interessen der beiden, was man besonders an den Hintergründen des bereits vor einigen Monaten herausgekommen und nach wie vor aktuellen Albums “Primitive Mercenaries” sehen kann. Hier waren laut eigener Angabe weibliche Rembetika-Sängerinnen aus Alans griechischer Wahlheimat, die Ideen des Vortizismus und ein Gemälde des diesem einmal nachegestandenden Duncan Grant sowie Robinsons ebenfalls vortizistisch inspirierter Lieblingsplatte “Hex Enduction Hour” von The Fall einflussgebend – ein für Uneingeweihte wahrscheinlich eher diffuser Mix, der aber zumindest durch eine kämpferische Protesthaltung verbunden ist.
Recht diffus und offen wirkt auch der Auftakt des Openers “Politissa”, in dessen dumpf-verrauschter Textur Gitarren und eine säuselnde Frauenstimme zu hören sind. Bei dieser handelt es sich vermutlich um ein Sample der titelgebenden Sängerin, die im Athen der zwanziger und dreißiger Jahre als Protestsängerin berühmt war und bürgerlich Marika Frantzeskopoulou hieß. In diesem Track passiert einiges, das man zunächst nur verschwommen wahrnimmt, doch irgendwann scheint sich eine Tür zu einem Raum zu öffnen, in dem man klarer sieht: Lautes, beschwörendes Geflüster erscheint auf der Bildfläche und eine ekstatische Perkussion. Der Track gibt sich mehr und mehr kraftvoll und tageslichttauglich, und bleibt doch so unkalkulierbar wie zu Beginn.
Im Verlauf des Albums setzt sich eine mitunter einfach gestrickte akustische “Folk”-Struktur durch. In “Yellow Eye” interagiert eine sanfte Akustikgitarre mit einem strömenden Harmonium, einer trillenden Flöte und der typisch langgezogenen E-Gitarre Alan Trenchs. Die Entrücktheit, die hier entsteht, lässt immer auch Raum für Chaos und Entgrenzung. Alans kräftiger Gesang, der in vielen seiner Releases eher im Hintergrund bleibt, verwandelt das anfangs eher rituelle und leicht asiatisch angehauchte “Bitter Bud” mit seinen filigranen Metallsounds in eine Art soliden Neofolksong – das wäre ähnlich wie der ausladende Titelsong eine Art proglastiger Dark Folk mit verrauschten Sounds, der in den späten 80ern vielleicht ein paar räudigere Pfade eingeschlagen und somit eine etwas sprödere, unverkitschtere Richtung durchgesetzt hätte.
Natürlich ist die Musik viel zu unberechenbar für solche klaren stilistischen Strukturen, und der Song “Nets” bringt all diese Überlegungen endgültig an ihre Grenzen – mit rauen Noiserockgitarren, die sich über das freundliche Picking layern und hektischen Beats aus der Asservatenkammer eines hybriden Crossovers. Alans vom Wind herangewehter Gesang bleibt in seiner melancholisch eingefärbten Space Rock-Attitüde von all dem unberührt. Noch mehr aufgelöst in Winden hoch am Firmament ist das abschließende “Dialogue in a Harem”, das all die melodischen und rhythmischen Strukturen des Albums, seine revoltierenden Stimmungen und seinen Hauch von Mystizismus in ein großes, mehrfarbiges Dröhnen auflöst, in welchem auch die Stimme einer weiteren klassischen Rembetissa - Kyria Koula – zu hören ist.
“Primitive Mercenaries” ist ein Album, das auf verschiedenen Ebenen rezipiert werden kann. Es ist reich an historischen Bezügen, die weit über das rein Musikalische hinausgehen. Dass die meisten dieser Referenzen aber eher andeutungshaft in der Luft hängen und für viele wahrscheinlich nur vage erkennbar sind, tut dem ganzen keinen Abbruch, denn die Songs funktionieren alle auch aufgrund ihrer unmittelbaren Attraktivität. Zudem zeigt “Primitive Mercenaries” erneut, dass man bei Temple Music immer wieder auf Überraschungen gespannt sein darf. (U.S.)