TEMPLE MUSIC: Soon You Will All Die And Your Lives Will Have Been As Nothing

Selten wurde ein Thema wie die Vergänglichkeit mit derart drastischen Worten umrissen wie auf dem vorliegenden Album von Temple Music, einer englischen Psychfolk-Combo, zu deren Nukleus der an vielen Instrumenten bewanderte Alan Trench zählt. Seit den Neunzigern spielt er mit seiner anderen Band Orchis eine Folkmusik, die sperrig und geschmeidig zugleich ist, und betreibt mit Cryptanthus eines der interessantesten Undergroundlabels der britischen Inseln. Temple Music ist sein Projekt mit Stephen Robinson und wechselnden Gästen. Hier gibt man sich strukturell ausladender und konzeptuell zum Teil recht radikal. Interessant ist, dass der Gesamteindruck von “Soon You Will…” trotz finsterer Songtitel kaum resignative Untergangsstimmung verbreitet, so wie sich das Album ohnehin einfachen Kategorisierungen entzieht.

Zu den wesentlichen Charakterzügen des Albums zählt seine starke, mitunter demonstrative Symbolkraft. Nach den ersten Tönen bereits meldet sich hörspielartig eine weibliche Stimme zu Wort und lässt eines der vitalsten Symbole schlechthin – den Springbrunnen – zerfallen, denn übersprudelndes Leben, Aufbruch und auf Dauer gerichtete Sprünge nach vorn haben wohl kaum Platz auf einem Album, bei dem die Vergänglichkeit auch das bereits Geschaffene sinnlos erscheinen lässt. Interessant: Beim Stichwort „Fountainhead“ dachte ein amerikanischer Kollege an die gleichnamige Fortschrittsutopie aus der Feder von Ayn Rand, einen Thesenroman, der die Fontäne zum Sinnbild für eine Technokratie sozial verkrüppelter Egos verklärt und der zum Teil wie eine unfreiwillige Satire auf die Fähigkeiten des Menschen erscheint. In dem Kontext, ob intendiert oder nicht, wirkt die morbide Dekadenz von Temple Music eher befreiend als deprimierend, und die wundervoll entrückten Gitarrenpickings scheinen dem Eindruck ebenso beizupflichten wie die kernigen Bassgitarren, die der krautigen Grundierung, die sich schon in der Wiederholungsstruktur einzelner Motive andeutet, eine punkige Vitalität beigeben. An sehr repetitiven Stellen musste ich an LaMonte Young oder Charlemaine Palestine denken, eher noch als an einschlägige Folker wie Comus oder die Incredible String Band, mit denen die beteiligten Musiker ganz sicher aufgewachsen sind.

Es gibt Momente reinen Wohlklangs, beispielsweise wenn eine flüsternde Frauenstimme mit lieblichem Glockenspiel interagiert, wenn die Gitarrenakkorde ornamentale Formen annehmen, oder wenn einem schlicht die außerordentlich gelungene Produktion bewusst wird. Das ganze könnte nun bei folkinspirierter Musik sehr schnell in regressiven Kitsch ausarten, aber Temple Music wissen dem „nur“ Schönen einiges entgegen zu halten. Neben Field Recordings, die nach Grillenzirpen klingen und sich mit der Zeit atonalisieren, stören gelegentliche Kratzgeräusche undefinierbaren Ursprungs das nie vollends ausgemalte Idyll. Aus Glockengeläut kristallisiert sich Flötenspiel heraus, doch inmitten der angedeuteten Nostalgie wird dem Instrument ab und an ganz plötzlich ein heftiges Trillern entlockt, das auch zu einer Free Jazz-Improvisation passen würde. Dronige Klangteppiche verdichten sich zu einem infernalischen Rauschen, das mich erneut an Orchis denken lässt, die ebenfalls immer das Süßliche zu konterkarieren wussten, und deren animistische Naturmystik im übrigen viel authentischer wirkt als unzählige Dark Folker, die sich am Neopaganismus des 19. Jahrhunderts orientieren und oft übersehen, wie sehr dabei die viktorianische oder wilhelminsiche Biederkeit jede angestrebte Ursprünglichkeit verfremdet.

Das Album besteht aus einem einzigen Track, ist jedoch in separate Abschnitte unterteilt. Ihre Titel spielen mit einem vagen Assoziationspotenzial, das an einigen Stellen mit ritualisierter Wiederholung von Motiven unterfüttert wird. Das in eine Art Rocksong mündende “House in the Snow” ist in dem Sinne eine lupenreine Gothic Tale, welche die Schönheit eines endlos erscheinenden Winterschlafs verklärt, ohne dabei ein Gefühl des Unbehagens zu suspendieren. “Soon Death Come” ist frostig und heimelig zugleich, und so anrührend wie die wohl aus der Zeit um 1900 stammenden Kinderfotos auf der Rückseite des Covers, auf die auch der Titel „Your Children Are Our Future“ anzuspielen scheint. Die Frage nach dem „wir“ eines solchen Satzes drängt sich auf, doch sie zu beantworten scheint unmöglich, und das gleiche gilt für die Funktion des allgegenwärtigen Pessimismus, der ähnlich wie seinerzeit Thomas Bernhard in einer berühmten Preisrede betont, dass alles lächerlich sei, wenn man an den Tod denkt.

Solchen Andeutungen kann Lebensekel zugrunde liegen, doch auch so etwas wie Zivilisationsverdrossenheit kommt als Movens in Frage, und wer weiß – vielleicht sind sie auch nur das Gespött von Untoten, die sich über die Eitelkeit von uns Sterblichen belustigen. Letztlich ist es eine der Stärken des Albums, das es keine einfachen Antworten gibt, und Temple Music spielen ja schließlich auch keine einfache Musik. Ihre Substanz ist jedoch unbestreitbar, und wer sich einmal davon gefangen nehmen lässt, der wird diesen kleinen musikalischen Kosmos mit Gewinn erkunden. (U.S.)

Label: Silken Tofu