DANIELA FROMBERG / STEFAN ROIGK: Unfamiliar Home

Über die Verwerfungen, die euphemistisch als Modernisierung und Aufwertung von Wohnraum in urbanen Nachbarschaften bezeichnet und etwas sachlicher unter dem Begriff Gentrifizierung gefasst werden, ist in den zurückliegenden ein bis zwei Jahrzehnten viel berichtet worden, und wenn man nicht selbst bereits davon betroffen war oder Betroffene kennt, sind die Informationen darüber oft sehr sachlich und zahlenorientiert, es sei denn es wird direkt über erzwungene Ortswechsel oder über furchtbare Räumungsaktionen berichtet. Beides wahrt dann auf ganz unterschiedliche Weise eine Art Distanz.

Erlebnisberichte über den prozesshaften und zugleich alltäglichen Charakter solcher Entwicklungen findet man auch, aber man muss meist danach suchen. Ein interessantes künstlerisches Beispiel dafür sind das Multimedia-Duo Daniela Fromberg und Stefan Roigk, die in Berlin-Prenzlauer Berg vor einigen Jahren selbst von einer großangelegten Renovierung des Hauses, in dem sich ihre Wohnung befindet, betroffen waren. Ihre Auseinandersetzung mit dem Thema ist sehr stark auf den sinnlichen Charakter dieser Entwicklungen fokussiert und kulminierte 2018 zunächst in der im Konzert- und Projektraum Ausland präsentierten skulptural-architektonischen Klanginstallation “Unfamiliar Home”, später dann in der gleichnamigen LP,  der wiederum Fotos der Installation beiliegen.

Die Vorgeschichte reicht bis ins Jahr 2012 zurück, als sowohl das eigene als auch das Nachbarhaus für längere Zeit in eine Großbaustelle verwandelt wurden, was in verschiedenen Zusammenhängen zu einer massiven Beeinträchtigung wurde. Neben den allgegenwärtigen Geräuschen, die von den Arbeitenden wie von lauten Maschinen ausgingen, waren für längere Zeit die Fenster als natürliche Lichtquelle und Lüftungsmöglichkeit verdeckt, der Balkon nicht begehbar, zeitweise drangen neben den Geräuschen Wasser und anderes Material in die Wohnung. Auch juristischer Ärger fand statt. Für die Installation, deren skulpturale und architektonische Elemente auf alten Fensterflügeln und diversen Beton- und Holzbauteilen basierten, nahmen die beiden 400 Stunden an Audiomaterial auf und verarbeiten viele Details daraus in eine 12-kanalige Komposition.

Die vorliegende LP ist mit der klanglichen Seite der Installation m.o.w. identisch und wurde neu abgemischt. Das Material auf der ersten Seite beginnt zunächst mit einem rauschenden und grollenden Dröhnen, das eine latent bedrohliche Ausstrahlung entfaltet, aber bei entsprechenden Soundvorlieben durchaus auch als angenehmen empfunden werden kann. Unter der Oberfläche rumpelt es stetig, Donner und einzelne maschinelle Brummkaskaden ereignen sich in unregelmäßigen Abständen und der Eindruck entsteht, dass das Soundmaterial mit der Zeit dichter und massiver wird, aber vielleicht ist dies nur eine Illusion, ganz ähnlich den Gefühlen, die einen beschleichen können, wenn man tatsächlich störenen Geräuschen ausgesetzt ist. Manchmal meint man Vögel zu hören, doch das Quietschen von Riemen, die Geräusche von Bohrern oder Presslufthämmern und das Fallen von Putz erinnern einen daran, dass dies eine Baustelle ist, deren Geräusche im Grunde nur durch das wummernde Dröhnfundament in einem als musikalisch lesbaren Rahmen bleiben. Dieser mag als abmildernd empfunden werden, gleichwohl vermittelt er aber das Gefühl, dass in ihm etwas Exzerpthaftes eingefangen wurde, ein Ausschnitt von etwas potenziell Endlosem.

Auch die zweite Seite startet mit den brummenden Tönen und den sarkastisch kommentierenden Vogelstimmen, die – als deplaziert wirkender Teil des einstmals Vertrauten – diesmal klar erkennbar sind. Irgendwann jedoch scheint sich das vielgestaltige Gedonner und Gerappel, das dem einlullenden Droneeffekt auch hier eine ganze Zeitlang lediglich eine interessante Spannung verleiht, zu akkumulieren, und für Augenblicke könnte man fast seine Sozialisation durch Musique Concrete und Industrial vergessen und die eine große befreiende Eruption herbeisehnen, nach der nur Stille folgt. Die bleibt selbstredend aus, denn alles Störende löst sich wieder im allgegenwärtigen Brummen auf, aber vielleicht ist es dieser Moment, der einen beim Thema des Albums, dem Unvertrauten und Un-Heimlichen, ankommen lässt. Dieses Kippen kann freilich im Musik/Kunstgenuss ebenso schnell erfolgen wie im Alltag, wo man das Vertraute vielleicht zu sehr als selbstverständlich nimmt.

“Unfamiliar Home” ist in der Lage, eine ganze Reihe an Reflexionen anzuregen. Neben ethisch und politisch motivierten Fragen über Gentrifizierung und danach, was ein (vertrautes) Zuhause ausmacht und wie viele ungewollte sinnliche Störungen ein solcher Rahmen zulässt, sind dies auch Reflexionen darüber, was Geräuschmusik in unserer Zeit unter welchen Voraussetzungen kann und wo ihre Grenzen sind. Man könnte es – vielleicht etwas platt, aber auch nicht ganz ohne Berechtigung – als eine Art Schicksal solcher Produktionen ansehen, dass sie ihre stärkste dokumentierende und zugleich aufrüttelnde Wirkung zumindes in der heutigen Zeit bei einem Publikum erreichen würden, mit dem sie quasi nie in Berührung kämen: dem großen Bereich derer, die atonalen Geräuschen inmitten dunkler Dröhnung gerade keinen ästhetischen Genuss abgewinnen können. Während sich hier vermutlich recht unmittelbar ein eher unangenehmes Gefühl des Unvertrauten und Bedrängenden einstellen würde, neigt der tatsächliche Rezipient solcher Klangkunst wohl – falls der Rezensent da nicht allzu sehr von sich auf andere schließt – zu angenehmen Reaktionen.

Ist aufgrund dieses Dilemmas also nun Hopfen und Malz verloren? Keineswegs, denn m.E. schafft es diese Veröffentlichung mit ihrem deutlich mitgeteilten thematischen Überbau, die entsprechenden Sounds und ihre Rezeption aus dem L’art pour L’art-Gefängnis eines oft allzu behaglichen experimentellen Klanggenusses zu holen und all dies wieder “unfamiliar” zu machen. (U.S.)

Label: Edition Telemark