2008 begann der Künstler Marcus Vergette, an verschiedenen Küstenorten Grossbritannien Vorrichtungen mit Glocken zu installieren. Die Installationen waren so beschaffen, dass die Bewegung der Gezeiten das Volumen, das Tempo und weitere Eigenschaften der Glockenklänge bestimmten. Diese Arbeiten wurden auch immer wieder als ein künstlerische Statement für Demokratie betrachtet, denn Vergette sah die Werke nicht als sein Eigentum an, sondern übertrug sie den jeweiligen Gemeinden.
Dieses Einbinden der kling(l)nden Objekte in größere, überpersönliche Zusammenhänge spielt auch in seinem darauf nun aufbauenden Albumprojekt “Tintinabulation” – eine altmodische englische Bezeichnung für ein helles Glockenbimmeln, die wahrscheinlich nur noch wenigen bekannt wäre, hätte ein amerikanischer OnomatoPOEt sie nicht in einem Gedicht verewigt – eine Rolle, denn hier verknüpft er den Klang von dreien dieser Installationen, der in unterschiedlichen Momenten aus unterschiedlichen Perspektiven mitgeschnitten wurde, mit anderen Sounds der Umgebung und letztlich mit dem Beitrag einer ganzen Reihe weiterer Musiker.
Das Titelstück wird von einem aufweckenden Donner eingeleitet, der kaum zu den sanften Vogelstimmen passen will, die in umgeben. Es folgen ratternde Schläge, aus denen sich allerhand Rumpeln, aber auch etwas erdiges, celloartiges herausschält. Eine vielschichtige, schwer zu greifende Atmosphäre entsteht, die durch Momente des Wartens viel Spannung in sich trägt, aber auch etwas, das zum bleiben animiert. Der Künstler wollte mit diesem Stück wohl auch die Idee einer Welt mit Vögeln und einer Welt ohne Vögel gegenüber stellen, und es ist interessant, dass deren Gesang vor allem dann verschwindet, wenn er von anderen Geräuschen übertönt wird. Bald werden die zwitschernden Vögel und ebenso die Glocken ohnehin von Sounds abgelöst, die sehr menschlich klingen: Bassaiten, die ein gewisses Jazzfeeling einbringen, das durch leichte Takte und aufschreckende hohe Pianoklänge untermauert wird.
Viel mehr Bewegung findet sich im zweiten Stück “Ferry”, das weniger statisch bleibt als der Gong und die zu Beginn smoothen Striche eines Saxophons suggerieren. Plätscherndes Wasser und das Tuckern eines Motors verdeutlichen, dass es hier tatsächlich um eine Fahrt mit der titelgebenden Fähre geht, die dann bald ihr Tempo erhöht. Hier geht es bald schneller zu Sache, zwei Saxophone trillern, als würden Sie über einen Hügel klettern, angefeuert vom zügigen Klackern des Motorengeräuschs. Alle Klangquellen scheinen im Einklang, und doch unabhängig nebeneinander zu existieren, doch vielleicht hängt all dies auch an unsichtbaren Fäden zusammen. Nach einem fast hektischen Finale sind Menschen und Vögel zu hören, und die Glocken mischen sich ganz heimlich in die restlichen Klänge.
Im abschließenden “Wax and Wane” sind die Glocken am deutlichsten zu hören, allerdings nicht als besinnliches Bimmeln, sondern durchdringend metallisch und zum Teil in Intervallen, die an pathetisch-ernste Kirchenglocken erinnern. Als solche bilden sie einen Gegenpart zu den folkigen Streichern und Gesängen, die mit Versen über die Gezeiten, ganz passend untermalt von sanften Wellen, den Kreis von time and tide schließen. (U.S.)
Label: Nonclassical