LORENZO ABATTOIR: Disincarnazione

Wie könnte man sich eine Musik vorstellen, die sich unter einem Titel wie “Disincarnazione”, also Entkörperung oder Entfleischlichung präsentiert? Wahrscheinlich würden sich viele zuerst eine fast schon ätherische Musik vorstellen, weit entfernt von jeder wirklich griffigen Materialität, die ähnlich einem kaum spürbar Duft v.a. ihr eigenes Verschwinden illustriert. Eventuell würden einige auch auf eine Musik kommen, die sich in kathartischer Weise ihrer eigenen Materialität entledigt und dabei in einer finalen Eruption fast gewaltsam noch einmal ihre ganze Sinnlichkeit aufbietet. Diese wären mit ihrer Idee näher an dem hier vorgestellten Projekt.

Lorenzo Abattoir, unserem Lesern unter anderem durch seine Zusammenarbeit mit Hermann Kopp bekannt, arbeitet seit einigen Jahren an verschiedenen Versuchen, im Rahmen seiner Aufnahmen das Verhältnis zu seinem eigenen Körper zu transformieren und zwei Dinge, die man vielleicht nicht sofort miteinander in Verbindung bringen würde und die doch näher beieinander liegen als man vielleicht denkt, stärker in den Vordergrund zu rücken: die eigene tierhafte Seite sowie das, was man in der westlichen Tradition Seele nennt. Animal und Anima sind im lateinischen deshalb verwandte Begriffe, weil man das Tier mit vorrationalen, triebhaften Mechanismen in Verbindung bringt, die zum Terrain der Seele gezählt werden.

Eine der zentralen Klangquellen auf “Disincarnazione” ist der Atem, aufgenommen im Close-up eines oft intim nahen Mikrofons und in unterschiedlichen Graden amplifiziert. Rauschend, keuchend, krächzend bewegt sich die Atemluft im Opener “First Act” vor und zurück, begleitet von schmatzenden Geräuschen. Irgendwo zwischen Audrey Chen und Rudolf Eb.er erzeugen diese Klänge immer wieder Illusionen, scheinen voller, lauter, intensiver zu werden, kommen für Momente nah an das Brüllen eines Löwen. Ist “Teofagia” ähnlich im HNO-Bereich ausgerichtet, kommen etwa bei “Broken Materials and Wrong Behavior” und “Empty Orchestra” weitere, hölzern und metallen klingende Sounds dazu, die einen rasselnden oder heftig keuchenden Atem begleiten und mit diesem eine streckenweise beängstigende Stimmung erzeugen.

Dass disincarnation in englischsprachigen buddhistischen Diskurs ein gängiger Begriff für das Verlassen des (temporären) Körpers vor dem Bardo und der Wiedergeburt des (in dem Zusammenhang meist nicht Seele genannten) Geistesstromes ist, fiel mir besonders bei dem Track “Canti di Gola” ein, dessen kehlig-grollender Gesang an die rituellen Gesänge tibetischer Mönche erinnert. “A Screaming Song” schließt das Album dann mit in unregelmäßigen Abständen herausgestoßenen Schreien ab.