SNAKES: No More Songs About Wildflowers

Wenn man eine Musik spielt, die in der Tradition eines Landes verwurzelt ist und im 20. Jahrhundert immer wieder neu belebt wurde, kann man oft gar nicht umhin, Klischees zu bedienen oder sich diesen gegenüber irgendwie zu verhalten. In einer Zeit, in der unverhohlene Nostalgie peinlich wirkt, Ironie in ihren gängigsten Formen allerdings ebenso abgegriffen anmutet, kann das Spiel mit überlieferten Motiven, seien sie musikalischer oder textlicher Art, grandios scheitern oder auf eine originelle Performance hinauslaufen, die der Musik mehr neues Leben einzuhauchen vermag als jeder rückwärtsgewandte Aufguss.

George Cessna hat sich, ähnlich wie sein Vater Slim, mit zahlreichen Spielarten der Americana-Musik von Country und Western über Folk bis Rock’n'Roll wie mit einer zweiten Haut zu arrangieren, für die er wiederholt passende Kostüme auswählt, und mit seiner Band Snakes entwirft er immer wieder neue Facetten solcher Musik. Was durchgehend bestehen bleibt, ist das Gefühl, dass ihm die verwendeten Stereotypen bewusst sind und er die Twangs, die Blue Jeans und die Yellow Roses so noch überzeugter in seine Songs einbaut, weil er weiß, was er tut.

Auch auf dem vorliegenden Album ist dieses Ringen zu spüren. Auf den ersten Blick ist „No More Songs About Wildflowers“ eine klare Absage an jede Nostalgie, schon vom Titel her, und auch der schmissige Sound ist diesmal rauer als je zuvor und zeitweise geradezu punkig. Auf den zweiten Blick allerdings ist diese Absage ans pastorale Idyll, dem Cessna niemals wirklich frönte, eine gebrochene, denn Wehmut zieht sich durch die Balladen und die wild dahingaloppierenden Stücke, v.a. dann, wenn das weite Land und die Fahrten von Ort zu Ort besungen werden und man sich wie in einem grobkörnigen Roadmovie fühlt. Flüsse, Wüsten, Städte erwähnt der von Denver an die Ostküste gezogene Sänger, Fahrten durch den Staub der Provinznester, aber auch die frühen Morgenstunden, den ersten Kaffee und den von magischem Realismus erfüllten Aufbruch ins Ungewisse, und keine Ironie – z.B. ein „Banjo Song“, in dem kein Banjo zu hören ist, sondern verzerrte Gitarren – verhindert, dass all die mythischen Reisen durch den Kontinent, von den großen Roundups bis Jack Kerouac, hier nachhallen. Auch wenn musikalisch Welten dazwischen liegen mögen, musste ich manchmal an Birch Book denken, bei dem es ebenfalls um das Wandern, das Suchen und Fliehen und vielleicht nie Ankommen geht – dessen fragile Folksongs, die bezeichnenderweise sehr wohl “about wildflowers” sind, aber weitaus idiosynkratischer sind und ansonsten zwar viel Amerikanisches, aber wenig Populärkultur verarbeiten.

Auch die Musik und ihre Stimmung rangiert in einem Zwischenbereich, in welchem Nostalgie wender bejaht noch verneint wird: Viel Pathos, gebrochen und gerade deshalb so lebendig, findet sich in den Solos und Twangs, in den Orgeln, die immer gerade an den richtigen Stellen einsetzen, den Uptempo-Passagen, bei denen man The Cramps und Raymen rauszuhören meint, oder wenn sich die Stimme überschlägt wie beim Leadbelly-Cover „Goodbye Irene“. Doch es ist ein Pathos, das nicht aufgesetzt wirkt und den Songs nichts von ihrer Lebendigkeit nimmt. Ob Cessna jr. den rauen Klang und das Tempo in Zukunft beibehalten wird bleibt abzuwarten. So oder so könnte sich seine Musik einmal als wegweisend für neue Americana erweisen.

Label: APT 66 / Grimoire Records