I-TAKI MAKI: Friedhof

Jemand, der in der Musik weniger auf Texte achtet, könnte sich beim neuen und mittlerweile sechsten Album des Duos I-Taki Maki, obwohl es den Titel “Friedhof” trägt, vielleicht irgendwann ganz plötzlich wundern, in was für einer zwiespältigen Welt er hier gelandet ist. Was die beiden in Berlin lebenden Italiener Mimmi und strAw hier mit mal heimeligen, mal fuzzig verzerrten Gitarrenparts, mit einem aufgeweckten Schlagzeug, das ein Faible für Downtempo hat, und v.a. mit einem sanften weiblichen Gesang auf die Beine bringen, ist eine Musik von überaus eingängiger Ohrwurmqualität, die in den weitläufigen Grenzbereichen zwischen Postpunk, Gitarrenpop, folkigen Ansätzen und einigem mehr ein ganz eigenes Terrain zu besetzen weiß.

Die andere Seite ihres kleinen Kosmos zeigt sich in einem konsequent auf die Widersprüche und Schattenseiten eines weithin etablierten Normalitätsverständnisses, auf unsere Vorstellungen von Zwischenmenschlichkeit und nicht zuletzt auf ganz konkrete gesellschaftliche Situationen gerichteten Blick. In den Lyrics kommt dieser ganz unmittelbar zum Ausdruck, manchmal in fast sachlichen Statements über emotionale Balancen und Disbalancen, bisweilen auch in mythologischer Einfärbung. Ist diesbezüglich der Groschen erst einmal gefallen, erkennt man die entsprechende Bitterkeit auch in den versteckten Seiten der Musik, in manchmal ganz plötzlich auftauchenden Aufwallungen einer verhaltenen Aggressivität, aber auch in ebenso plötzlich auftauchenden Momenten der Melancholie, die sich auf Zehenspitzen in die Melodien schleichen. Die Metapher des Friedhofs, die, wenn ich denn nichts überhört habe, so direkt nur im Titel vorkommt, kann als eine symbolische Heterotopie gelesen werden, als Ort, den die unerhörten Gefühle sich mit lichtscheuen, gespenstischen Gestalten teilen. Erst wenn man auch diesen Ort kennt, kann man ein vollständiges Bild seiner Umgebung zeichnen.

Mit angenehm gelöster, fast hippiesker Folkigkeit startet der Opener “Fleeting Birds”, ein Song, den man ähnlich den baladeskeren Arbeiten von Isobel Campbell und Mark Lanegan, optimal an einem sonnigen Nachmittag open air genießen kann. Doch das schlichte Bild des Vogels, den alle guten Vorsätze nur in die Gefangenschaft eines eisernen Käfigs geführt haben, und das sich wie ein abgeklärtes Geständnis des Scheiterns ausnimmt, dringt auf den Schwingen eines anheimelnden Gitarrenpickings und eines noch anheimelnderen Gesangs wie ein Trojanisches Pferd beinahe unbemerkt in das schöne Arrangement. Das folgende “Just Mad” bleibt mit seinem Text, in dem es um eine kosmische Konfrontation gehen könnte, viel stärker im Unbestimmten. Auch hier, im langen Intro mit dem spannungsgeladenen Zischen der Becken, kann man sich von der angenehmen Melodie des Gesangs verzaubern lassen, bis einen die letzten beiden Zeilen “you must just be mad/we must just be mad” beinahe plötzlich in die Tiefe der Schwermut ziehen, die an der Stelle auch in der Melodie spürbar wird, und zu der das rockige Instrumentalspiel des zweiten Teils wie ein Ausrufezeichen wirkt.

Man könnte viel zu den einzelnen Stücken sagen, doch mit ihrem warmen Sound, ihrem guten ausbalancierten Verhältnis aus Minimalismus und Fülle und ihrer Eingängigkeit bieten sie Zugänge aus unterschiedlichen Perspektiven. Nach “Never Ever”, einem fast poppigen, sich in der Fülle stetig steigernden Ohrwurm ist “The Bank” einer der Höhepunkte des Albums – ein verwegener Bluesrocksong mit groovigem Pulsieren und herrlich ätzenden Gitarren, der sich recht unmittelbar als Hymne des Mitgefühls entpuppt und als solche im etwas zurückgenommeneren “El Paso Stars” eine Fortsetzung findet. Die drei abschließenden Stücke scheinen den Fokus in die historische und mythologische Totale auszuweiten: Während “Golden Rings” und “Stolen Land” wie auf eindringliche Szenen reduzierte Auszüge größerer mythischer Erzählungen vor der Kulisse eines Gesangsdialogs der Sängerin mit sich selbst, eines wehmütigen klingelnden Saitenspiels und handclapartiger Takte anmuten, offenbart sich “Roma” als recht deutlicher Abgesang auf das römische Weltreich, dessen Zentrum – oder dessen archäologischer Friedhof? – recht nah an der ursprünglichen Heimat der beiden liegt. Nicht erst seit Christian Krachts Roman Imperium wissen wir, dass es solche zwiespältigen Machtgebilde im Großen wie im Kleinen auch in jüngeren Zeiten gibt, was die knapp zweitaußendjährige Brücke zu unserer Zeit schlagen sollte, in der das Album verwoben und verwurzelt scheint.

Ein Album der Gegensätze also und der doppelten Böden, bei dem man beim mehrmaligen Hören immer mehr zum Entdecken findet und das sich – übrigens – auch live bestens macht. (U.S.)