Mueran Humanos, die beiden in Berlin lebenden Argentinier Carmen Burguess und Tomás Nochteff, haben es nicht eilig, jedes zweite oder dritte Jahr ein neues Album unter die Leute zu bringen, sondern gewähren sich eine angemessene Zeit, und genau daran tun sie gut. Beide gehen oft unabhängig voneinander weiteren Projekten nach, musikalischen, aber auch solchen im Kontext des Theaters, der Poesie, der Bildenden Kunst und Illustration und sammeln schon so – vom Leben selbst ganz abgesehen – eine kreative Erfahrung, die sich auch als Entwicklung in ihren gemeinsamen Songs, ihrem Stil niederschlagen, die nicht an den Haaren herbeigezogen werden muss. Auch deshalb, zusätzlich zu ihrer forschen, rebellischen Punkattitüde, sind sie eine der originellsten Undergroundbands unserer Tage und werden sicher noch dann musikalisch relevant sein, wenn die immer noch andauernde Phase des sogenannten Postpunk einmal out sein sollte. Auf ihrem aktuellen Album “Reemplazante” ist diese Frische erneut zu spüren.
Über ihren Werdegang, bei dem es auch auch immer um die Verknüpfung von Gegensätzen – Rock und Pop, männlicher und weiblicher Gesang, erdige Bässe und stilisierte Elektronik, forscher Realismus und surreal anmutende Entrücktheit – geht, und die Alben “Mueran Humanos” (Blind Prophet / Old Europa Café 2010), “Miseress” (ATP Records 2015) und “Hospital Lullabies” (ATP Records / Cinema Paradiso Records 2019) schrieb ich kurz und bündig in meiner Besprechung des Letzteren: “Trotz einer recht großen stilistischen Bandbreite verkörperte das selbstbetitelte Debütalbum seinerzeit eher die derbe, räudige Rock- und Punk-Seite der Band, die auf dem 2015 erschienenen Nachfolger „Miseres“ zwar keineswegs verschwunden war, einen Großteil des Feldes aber einer tanzbaren Dynamik und einem sauber produzierten Klangbild überließ. [...] von der stilistischen Haltung her verknüpft „Hospital Lullabies“ viele Eigenschaften, die die beiden Vorgänger so unterschiedlich ausfallen ließen”.
Das vor kurzem erschienene “Reemplazante”, dass schon von der Optik her eine deutliche DIY-Signatur offenbart, knüpft einmal mehr an all das genannte an, muss keine künstlichen Veränderungen inszenieren und lässt doch einige ganz eigene Charakteristika entstehen. Zu denen gehört auch eine kleine aber deutliche Hinwendung wieder zum Rauen und Derben. Der cool-knarrige Opener “Desastre Personal” fällt da geradezu mit der Tür ins Haus. In fast bluesrockiger Räudigkeit werden hier die Saiten geschruppt, was dem hüpfenden Beat der Drummachine einen guten Teil seiner Leichtigkeit nimmt und diese in eine spannungsgeladene Dynamik verwandelt. Der Gesang, der wie hinter einer Rauchwolke für Momente keinem der beiden zuzuordnen ist und sich als Duett entpuppt, schleudert dem fiktiven Adressaten in nonchalanter Punkigkeit eine Warnung entgegen: Hier befindet sich der Eingang zur Psychohölle, aus der es kein Entkommen gibt, betreten auf eigene Gefahr. Sehr interessant, dass man solcherlei auch ohne lähmendes Downtempo ausdrücken kann. Was darauf in “A un Lugar Cerebral” folgt, ist das noch deutlichere Gegenteil jeder Paralyse, nämlich eine veritable Pogonummer im Uptempo, das mit der Zeit immer mehr klappert und bei der man glatt eine Gruppe ellbogenschwingender Psychbillies halluziniert. Carmens Shouts klingen auch hier, als würde kein Blatt vor den Mund genommen, doch man spürt darin eine Sensibilität, die in der Spoken Word-Passage kurz vorm finalen Lospreschen umso deutlicher wird.
Nach dem fast abrupten Ende, das auf die erwartbare Karambolage verzichtet, ist Zeit für ein paar der gelösteren Stücke, die die zugänglichere Seite des Albums repräsentieren. “Cadenas de la Infancia” kommt gleich zu Beginn poppig daher mit seinen griffig klappernden Elektrobeats, aber in den ausladenden Synthiflächen wird auch etwas monumental episches transportiert. Sehr nah am Ohr und auch nah am Sprechgesang gibt sich der ernste, nüchtern genügsame Gesang. Hier wird nichts gewollt, sondern gewusst wie es ist. “El Camino del Dolor”, das vor ein paar Jahren bereits als Single erschienen ist und mit Unterstützung des Drummers Matthia Speck aufgenommen wurde, ist eine filigran wavige, heisere Popballade, in deren Szenario aus hauchfeinem Ambient, leichten Downtempotakten, sanftem Gesang und einem melancholisch gefärbten Idyll, das in den Textzeilen anklingt, irgendwann so etwas wie ein Kameraschwenk nach oben stattfindet, wie wenn man fast unmerklich mit einem Flugzeug abhebt. Zur Veröffentlichung der Single schrieb ich seinerzeit ” ein trotz seiner Länge von nur gut fünf Minuten beinahe episch anmutender Track, der vordergründig die eingängigere Seite der Band repräsentiert, tatsächlich aber auf der Basis sensibler Vocals, Synthie, Percussion und dezenten Bassparts eine enorme Tiefe entfaltet “, woran sich bis heute nicht viel geändert hat.
Den Titeltrack umgibt eine merkwürdige tragische Aura, vielleicht weil das bisschen, was ich vom Text verstehe, wie ein mehrfach gebrochener Nachruf anmutet. Mit seinen kantigen Synthiequadern, seinen pochenden Takten und seinem fordernden Duettgesang repräsentiert dieser Song wieder die rauere Seite des Albums, die einem sprichwörtlich die Pistole an die Brust drückt und einen gleichsam in den staccatohaft maschinellen Takt einsteigen lässt, bevor dann doch noch Organischeres in die Melodie und die Instrumentierung hineinkommt und mit angenehmen Saitenspiel die harten Synthies durchblutet. Was am Ende bleibt, ist eine fast filmsoundtrackartige Atmosphäre und der Widerhall von etwas Klassischem, dass einen empor hebt.
Die abschließenden Tracks stehen eher im Zeichen des eingängigen und poppigen, dass hier aber durchweg in einer gebrochenen Form auftaucht. Die von Bassgewummer umhüllten, verspielten Takte in “Pertenecer” haben einen leichten sway, originelle Melodieansätze tauchen gerade in den richtigen Momenten auf den Plan, wenn man sie nicht erwartet. Doch überwiegt, vielleicht durch den sanften Gesang, ein Gefühl des Umschmeicheltseins, fast wie bei einer Easy Listening-Ballade, wenn all das nicht derart hypnotisierend wirken würde. In “Dentaduras” gibt sich Tomás’ Stimme, die manchmal sogar ins Flüstern kippt, vielleicht sanfter als je zuvor, was auch der Tatsache geschuldet sein mag, dass sie etwas nach hinten gemischt ist, und sich zwischen den Säulen wuchtiger elektronischer Takte bewegt. Synthietupfer nach SciFi-Manier dagegen hüpfen elektrisiert am vorderen Bühnenrand herum. Auch durch dieses Szenario, das fast bekömmlich sein könnte, weht einen gewisser Anflug von Beklemmung, was durch die wenigen Wortfetzen, die ich verstehen kann, bestätigt wird. Ist das schon ein Vorgeschmack des verführerischen Sees in dessen schwarze Wasser man im abschließenden “El Lago” eintaucht, vielleicht um in zurückgenommenen Tempo vollends darin zu verschwinden?
Obwohl “Reemplazante” eine durchaus kurzweilige Angelegenheit ist, offenbart das Album viel von der Vielgestaltigkeit von Mueran Humanos, die sich über die vergangenen Jahre ihren ganz eigenen Stil etabliert haben, den sie immer wieder subtil variieren. “We are an army of two and we take no prisoners”, sagten die beiden vor einigen Jahren in unserem Interview, und es ist schön zu sehen, dass diese forsche Energie auch in ihrem wie es scheint sehr persönlich gefärbten neuen Longplayer noch lebendig ist. (U.S.)