MUERAN HUMANOS: Hospital Lullabies

Die in Berlin lebenden Argentinier von Mueran Humanos arbeiten von Beginn an mit starken dualistischen Gegensätzen. Schon die Frage, ob ihr bassknarzender, aber manchmal auch technoider Post Punk eher Rock oder Pop ist, muss unbeantwortet bleiben, denn schon in der Hinsicht schlägt das Pendel von Song zu Song anders aus. Auch die weibliche und männliche Seite des Duos offenbart sich nicht nur im wechselnden Gesang von Carmen und Tomás, sondern auch in den oft surreal anmutenden spanischen Texten und vielleicht auch auf atmosphärischer Ebene, auch wenn dies natürlich eine sehr subjektive Angelegenheit ist und darum kaum klar zu belegen wäre.

Trotz einer recht großen stilistischen Bandbreite verkörperte das selbstbetitelte Debütalbum seinerzeit eher die derbe, räudige Rock- und Punk-Seite der Band, die auf dem 2015 erschienenen Nachfolger „Miseres“ zwar keineswegs verschwunden war, einen Großteil des Feldes aber einer tanzbaren Dynamik und einem sauber produzierten Klangbild überließ. „Hospital Lullabies“ winkt schon im Titel mit Gegensätzlichkeiten: Kindliche Gefühle von Geborgenheit treffen auf die Welt des Kranken, doch da das Attribut „hospital“ im Spanischen auch „gastfreundlich“ bedeutet, schließt sich am Ende der Kreis. Und auch von der stilistischen Haltung her verknüpft „Hospital Lullabies“ viele Eigenschaften, die die beiden Vorgänger so unterschiedlich ausfallen ließen.

Rhythmen aus dem Fundus der Technokünste gibt es diesmal nur im Opener „Vestido“, doch die eindringlichen Beats sind trotz subtiler Steigerung derart monoton, dass ihre Steve Reich- und Terry Riley-artige Hypnotik sich fast einlullend auswirkt. Auf diesem Fundament haucht Carmen ihre Vocals beinahe wie ein sanfter Wind, um den sich auch der Text dreht. Es ist das einzige Stück auf dem Album, das klanglich fast an Postrock erinnert, doch an seine poppige Eingängigkeit knüpfen weitere Momente an: „Detrás de una flor“ hat ebenfalls diese Lullaby-Aura, doch der sanft-beruhigende Gesang kommt hier mit einem tanzbaren Pop-Feeling zwischen New Wave und Italo Disco zusammen, so dass ein veritabler Ohrwurm entsteht. In eine ähnliche Richtung geht das berührende „La gente gris“, das den Reigen mit einer wehmütigen Melodie abschließt. Wer nicht aufpasst, überhört am Ende noch den kindlich-alptraumhaften Unterton, der sich im Text noch deutlicher offenbart.

Mehr auf der Hand liegt das Alptraumhafte in den raueren und treibenderen Stücken wie dem kämpferischen „Los problemas del futuro“: Über einer energiegeladenen Musik zwischen Punk und EBM stößt Tomás kraftvolle (und zugleich erschöpft wirkende) Slogans heraus, bis alles in einem mantraartigen Refrain mündet, den beide Stimmen wie unter Hypnose singen. Bei einer Tanzveranstaltung würde der Song perfekt zwischen einen Klassiker von The Klinik (oder der etwas weniger rituellen Hunting Lodge) und eine solide Punknummer passen. Während das Up-Tempo-Stück „Alien“ trotz synthetischer Rhythmen eher wie eine retrofuturistische Hommage an psychedelischen Hardrock anmutet, ist „Guardia´n de piedra“ mit seinen versteckten Angstschreien vielleicht das unzugänglichste Stück. Einen Höhepunkt in Sachen Schrägheit bietet letztlich „Cuando una persona común se eleva“: Spacige Synthies, jede Menge Rasseln und sonstige Spielereien entführen uns zusammen mit Carmens kindlichem Sprechegesang in eine ganz eigene cartoonhafte Parallelwelt.

Eine solche zeigt auch Carmens gleichnamiger Film, der zusammen mit „Hospital Lullabies“ herauskam und wie ein eigenes Werk, aber auch wie ein kompletter Clip zum Album verstanden werden kann. Zwischen figurativer Körperbetontheit (Gesichter im Close-up, die manchmal an Carmens Modecover-Persiflagen aus ihrem Buch „Seventeen“ denken lassen, blutende Statuen, die an den surrealen Gothic Horror eines Jean Rollin erinnern und vieles mehr) kontrastieren mit einem ausgesprochen abstrakten Plot, der immer wieder mit Leerstellen arbeitet: Vieles wird nur unklar präsentiert, Andeutungen, in die sich ab und an Schockartiges mischt, flimmern nur kurz auf und sorgen gerade deshalb für eine schmerzhafte Eindringlichkeit. Vielleicht ist es gerade diese Eigenschaft, die den Film trotz seiner relativen Abstraktheit so passend macht zu dem neuen Album, auf das man wie gewohnt eine ganze Weile warten musste. (U.S.)

Label: Cinema Paradiso Records