We are an army of two and we take no prisoners. Interview mit Mueran Humanos

Im Vorwort zu Jeanette Leechs „Seasons They Change“ beklagt Greg Weeks, dass viele neue Entwicklungen in der Musik rein regenerativer Art sind und letztlich zu einem ungenießbaren Aufguss einst aufregender Innovationen führen. In der jüngst auf diesen Seiten veröffentlichten Rezension des Debüts von MUERAN HUMANOS, den zwei in Berlin lebenden Argentiniern, wurde darauf hingewiesen, wie frisch, unverbraucht und originell dieses Album ist – wie sehr ihre durchaus von den 80ern inspirierte Musik im Spannungsfeld zwischen Post Punk und SUICIDE einem eigentlich verbrauchten und erschöpftem Genre neues Leben einhaucht, auch dadurch, dass Carmen Burgues und Tomás Nochteff nicht versuchen Klone zu sein, die sich daran machen, in einem gewissen zeitlichen Kontext entstandene Musik ohne Brechungen und eigene Ideen in das Jetzt zu transportieren. Oder wie es weiter unten heißt: „Wir sind nicht im Revivalgeschäft.“ Im folgenden Interview geben die beiden einen offenen Einblick in die Entstehungsgeschichte der Band, in Konzeptionelles und in eine Vielzahl weiterer Projekte, die illustrieren, dass die Interessen der beiden weit über die Musik hinausgehen.

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Über eure Bandgeschichte ist nicht sehr viel bekannt – nur dass ihr aus Argentinien kommt und eine Zeitlang in Barcelona gelebt habt. Wie habt ihr euch getroffen, und wie entstand die Idee, MUERAN HUMANOS zu gründen?

Carmen: Wir lebten als Pärchen zusammen in Buenos Aires, seit wir uns 2004 zum ersten mal trafen, aber wir spielten damals nie zusammen, da jeder seine eigene Band hatte und wir uns fast als Feinde betrachteten. An einem bestimmten Punkt hatte ich alles verloren, meine Band, meine Familie, ich verlor jeden Kontakt und hatte keinen Ort zum Leben. Jemand gab mir ein Apartment um darauf aufzupassen, und ich konnte mich dort einschließen, Tomás war die einzige Person, die mich besuchte. So kehrte ich Buenos Aires den Rücken, bevor ich die Stadt auch physisch verließ, und er war die einzige Person, die diese Einsamkeit betreten durfte. Obwohl sich seitdem vieles in eine positive Richtung verändert hat, trifft das irgendwie immer noch zu. Dann verließ Tomás das Land und ich blieb noch für eine Weile um das Chaos in meinem Leben zu beseitigen und nach einer Weile ging ich dann auch. Tomás wartete dann am Flughafen in Spanien auf mich und seitdem sind wir zusammen. Wir haben dann versucht zusammen zu spielen und so entstand Mueran Humanos. Es war ein triumphaler Zufall. Nichts war geplant.

Tomás: Wir begannen in einem leeren Haus zusammen zu leben, das wir nur verließen, wenn es unbedingt nötig war. Das haben wir ein paar Jahre so gemacht, komplett ohne Möbel, ohne Internet, TV, Radio, wir kauften keine Magazine, Zeitschriften oder Bücher, wir gingen nicht ins Kino oder zu Konzerten, nichts, wir brachen unseren kompletten Kontakt zur Außenwelt derart ab, dass sie sozusagen nicht mehr für uns existierte. In der Situation entstand alles, was MH heute ist, Artwork, Videos, Musik, Lyrics. Wir traten zum ersten Mal in einer Galerie mit einer Installation mit Video, Musik und einer Leiche auf. Zu dieser Zeit war die Musik abstrakter als jetzt, wir machten eine Zeitlang keine Songs, wir probierten die ganze Zeit über verschiedene Dinge aus. Eines Nachts tauchte ein Song auf und wir fingen an zusammen Songs zu schreiben und mehr live zu spielen. Wir machen immer noch viele verschieden Dinge. Wir entscheiden, was wir zeigen und was nicht. Du siehst dir eine Rockband an, aber es gibt andere Dinge dahinter.

Was könnt ihr uns über die alternative Musikszene in eurem Land erzählen – welche Bands waren das, in denen ihr gespielt habt, und gibt es etwas in eurer Musik, das ihr als typisch argentinisch bezeichnen würdet?

C: MUJERCITAS TERROR ist die einzige Band, in die ich jemals fest involviert war, ich konnte nicht einmal wirklich ein Instrument spielen, aber sie nahmen mich trotzdem auf. Ich bin immer noch ihr treuester Fan. Ich denke nicht, dass es etwas speziell Argentinisches in unserer Musik gibt. Die Dinge, die ich an Argentinien liebe, sind zu unpopulär, um sie “typisch” zu nennen. In gewisser Weise haben wir eine neue Szene mitbegründet, die sehr klein ist, und mit MH gehen wir diesen Weg weiter. Tomas spielte in einer Kultband namens DIOS.

T: Es gibt gute Bands in Argentinien, aber die besten haben es nie zu etwas gebracht. Es gibt kein Geld in der Underground- oder Experimentellen Musik, auch wenn es ein großes Publikum für so etwas geben mag, gibt es keinerlei Infrastruktur, und so neigen die Leute dazu, das Handtuch zu werfen und am Ende nichts aufzunehmen. Das beste daran ist, wenn die Leute entgegen aller Widrigkeiten weitermachen. Wir betrachten uns als Außenseiter, von Natur aus, aber auch weil wir es sein wollen, und so können wir auch nicht exemplarisch für eine Mainstreamkultur stehen, ob aus Argentinien oder von anderswoher. Wir haben vorher in Bands gespielt und fühlen uns mit einer kleinen Gruppe an Leuten verbunden, Bands wie TRAVERSI und Mujercitas Terror. Diese Leute sind der größte Einfluss in unserem Leben, sie sind uns von allen Menschen am nächsten… Aber das ganze ist zu klein, als dass man es als Bewegung oder als eigenen Stil bezeichnen könnte.

Ich habe immer gedacht, dass die geografische Isolation unseres Landes und unserer Kultur uns eine gewisse Freiheit gibt, unser eigenes Ding zu entwickeln. Mir ist auch klar, dass der größte Teil der musikalischen Gegenkultur englischsprachig ist, und ich nicht. Also habe ich mich von Beginn an davon abgegrenzt, auch wenn ich dort durchaus meine Inspirationen ziehe. Aber dies ist wohl ein höchst fremdartiges Konzept in unserem Land, die meisten Bands sind nur Klone englischer oder amerikanischer Gruppen, die mit dem, was sie vorfinden, konform gehen, so wie überall sonst auch. Also ja, aus Buenos Aires zu sein, hat einen großen Einfluss auf das, was ich mache, aber zugleich sind wir nicht die typisch argentinische Band.

In unserer Rezension haben wir euch mit dem übergreifenden Genrebegriff des Postpunk in Verbindung gebracht. Seid ihr (als Musiker, die sicher unterschiedliche Einflüsse verarbeiten) mit einer solchen Beschreibung einverstanden?

C: Nun, “Postpunk” geht für mich in Ordnung, auch wenn ich nicht sagen würde, dass es wirklich die Musik beschreibt, die wir machen. Es gibt noch andere Schubladen, die es einem erleichtern, mehr Konzerttickets zu verkaufen, so wie “Electronic Noise Pop” oder “Industrial Dance” oder “Space Punk, Synth Wave, Post Wave, Witch House, Kraut Punk oder am allerschlimmsten: “Indie Noise”… Es ist mir eigentlich egal.

T: Ehrlich gesagt hasse ich es, kategorisiert zu werden, ich fühle mich unter keinem Genrebegriff wohl. Ich glaube auch nicht wirklich an Postpunk als Genre, für mich waren diese Musiker nur ein Haufen Punkbands, die etwas neues ausprobiert haben, einige mögen wir, andere nicht so. Unter zeitgenössischem Postpunk versteht man meist Leute, die den Stil aus dieser Ära kopieren wollen, und das ist definitiv nicht, was wir wollen. Wir sind nicht im Revival-Geschäft. Mark Stewart von THE POP GROUP kam zu einer unserer Shows und half uns mit dem Album, weil wir ihn in der Art, wie wir auf Dinge zugehen, an diese ganze Zeit erinnerten. Er sagte, dass wir für ihn wie die früheren Punks wären, die versucht hatten, die Dinge voran zu treiben, die ihr eigenes Ding gemacht hatten, statt zu kopieren. Es ist nicht so, dass wir uns entschieden hätten, einen bestimmten Musikstil zu spielen, was wir machen ist unvermeidbar, wir könnten nicht wirklich etwas anderes machen. Wir arbeiten mit den Mitteln, die wir haben: Einen Bass, einen billigen Synthesizer und alte Drummachines. Wir benutzen Tapes, da wir keinen Sampler oder richtigen Computer besitzen, all dies kann der Grund sein, dass unsere Songs wie alte Aufnahmen klingen, wir versuchen nicht zu klingen, als hätten wir das Jahr 1978… Könnten wir uns teure Synthies und große Sampler und einen Computer für sechstausend Euro leisten, um größer als alles andere zu klingen, dann würden wir das wohl auch.

Der Name Mueran Humanos klingt wie ein antihumanistisches Statement. Woher kommt eure Faszination für die morbide Seite der menschlichen Natur?

T: Wir interessieren uns sehr für doppelbödige, vielfältige Bedeutungen und Mysterien. Wir benutzen Kollagen, Cut-ups, Improvisation, veränderte Bewusstseinszustände und esoterische Einflüsse, um kreativ zu arbeiten. Es gibt nichts Lineares in Mueran Humanos. Das fängt schon bei dem Namen an, der im Spanischen grammatisch nicht sehr korrekt klingt und auf vielfache Weise interpretiert werden kann.

Ich hatte jahrelang ein Fanzine herausgegeben, anonym, das „Mueran Humanos“ hieß. Als wir mit der Band anfingen, mochte Carmen den Namen und so machte sie den Vorschlag, ihn zu verwenden. Für uns steht er im Bezug zu der Schönheit natürlicher Kräfte – Gletscher, Tsunamies, Erdbeben, Tiger, Elefanten, Schwarze Löcher. Ich mochte zu der Zeit auch, dass der Name so unmodern klang. Die Menschen scheinen von der Tiefe und Wichtigkeit oberflächlicher Dinge fasziniert zu sein, es ist wie eine Art, intelligent auszusehen. Sie scheinen Romantik und künstlerischen Ehrgeiz zu verachten. Oberflächlich und normal und bedeutungslos zu sein, wird als cool erachtet, Innovation und Persönlichkeit werden für tot, passé, prätentiös, kindisch und falsch erklärt. Es ist ok, Sachen zu wiederholen, es ist ok, bedeutungslos und oberflächlich zu sein. Wir streben nach dem Gegenteil, wir kümmern uns. Der Name ist also das Ergebnis davon, dass wir unsere Einstellung bis auf die absolute Spitze treiben, uns über die ganze kulturelle Landschaft lustig machen, es ist eine Provokation um zu zeigen, dass wir keine Angst davor haben, lächerlich oder nicht angesagt zu sein. Unser Name ist verwirrend, ruft viele Dinge gleichzeitig hervor. Es ist wie ein Schild an der Tür, auf dem es heißt: „Hier drin ist nichts so, wie es scheint.“

C: Ich mag das politisch Unkorrekte unseres Namens, auch die Übertreibung, die man darin sehen kann. Zu oft musste ich extreme Gefühle unterdrücken, um standardisierte Erwartungen nicht zu verletzen. Wir sind exzessiv, wir mögen exzessive Menschen und alles, das zum Extrem getrieben wird. Ich mag alles, was eine falsche Moral attackiert. Ich hasse leere Bilder und “nette” Dinge ohne Inhalt. Ich hasse auch diesen furchtbaren Fotografen, der heute Morgen versucht hat, mich in meinem Passfoto so miserabel aussehen zu lassen. Die Schönheit hat viele Feinde. Aber die Kinder sind wie wir. Mueran Humanos ist für uns ein Tor, durch das die Feinde keinen Zutritt haben.

Habt ihr einen Bezug zu der losen Gruppe der sogenannten “Antinatalisten”, die denken, dass es besser wäre, nicht geboren zu sein?

T: Ich habe keine Ahnung, wer diese Leute sind, aber wenn es wirklich das ist, was sie denken, warum reden sie darüber? Warum töten sie sich nicht selbst? Ich weiß nichts über ihre Einstellung, aber was ihr in eurer Frage sagt, erinnert mich schon etwas an Poser. Für simple Menschenverachtung interessiere ich mich nicht, und das hat auch mit uns nicht wirklich etwas zu tun. Wie wir leben, welche Leute wir kennen und wo wir herkommen.. Wir wären gewiss vor vielen Jahren gestorben, wenn wir das Leben nicht lieben würden.

In dem Zusammenhang würde es mich interessieren, ob ihr mit dem Werk des amerikanischen Autors Thomas Ligotti vertraut seid. Wegen seiner pessimistischen Philosophie und der Tatsache, dass Marionetten in seinen Texten vorkommen, fragte ich mich, ob ihr von ihm gehört oder vielleicht auch eines seiner Bücher gelesen habt?

T: Nein, aber ich kenne seinen Namen im Zusammenhang mit CURRENT 93. Was ich über ihn weiß, klingt alles sehr interessant, und ich sollte mich einmal mit ihm beschäftigen.

Da wohl die wenigsten unserer Leser Spanisch verstehen, lass uns doch kurz über einige eurer Songs sprechen. “Leones en China” scheint ein politisches Thema zu haben (zumindest der Filmprojektion bei eurem Konzert nach zu urteilen). Um was geht es in dem Song?

C: Der Song ist nicht bewusst politisch, aber die Assoziation ist naheliegend, da Flugzeuge, Geschosse darin vorkommen und dem Text ein generell apokalyptisches Szenario zugrunde liegt. Ich habe diesen Zusammenhang auch recht spät erst bemerkt.

“In China we children live in caves/In China the buildings are upside down/In China the sea has bones/And all airplanes are black/In China there are lots of horses hiding/And the moon is a painting/In China flowers are invisible/And the trees are made of worms/In China stones live in houses/And people’s teeth are nails/ In China Death wears white/And in China’s gardens bullets bloom”

Es geht nicht ausdrücklich um Politisches in “Leones En China”, auch nicht direkt um China. Auch hier spielen wir mit Bedeutungen und hantieren mit Symbolen, stellen Bilder einander gegenüber und lassen sie kollidieren, verzerren und pervertieren sie. Auf diese Art machen wir am liebsten unsere Lyrics, unsere Bilder, unsere Musik. Aber du kannst damit machen, was du willst, es ist ein Geschenk aus unserer Welt für eure, ein Geschenk und vielleicht auch ein Virus. Du kannst frei sein in Mueran Humanos, das ist es worum es eigentlich geht.

Meiner Meinung nach ist “Corazon Doble” der stärkste Song auf eurem Album. Was hat es auf sich mit der Kraft der zwei Herzen?

T: Der Song gehört zu denen mit den etwas direkteren Lyrics, es geht um den Höhepunkt der Ekstase, wenn man sieht, dass seine Zukunft sich unvermeidlich auflösen wird und du betrachtest es auf eine ruhige, melancholische Weise. Aber du siehst auch, dass es ein Leben danach gibt und du machst dafür Pläne. Es ist ein trauriger/fröhlicher Song über reine Liebe. Den Titel haben wir von einem Buch von Marcel Schowb, das uns sehr gut gefiel. Er gebraucht diesen Ausdruck im Sinne eines Dualismus, man ist eine Sache und gleichzeitig das Gegenteil. Wenn man so will, ist es ein sehr gnostisches Konzept und ich kann damit was anfangen. Im Kontext dieses Songs kann es aber auch auf romantische Weise interpretiert werden: Zwei Herzen werden zu einem doppelten, wie unsere Band.

C: Für mich hat der Song eine sehr klare Bedeutung, er zeigt, dass eine wirklich starke Einheit stärker sein kann als der Tod. Zu den Texten, die mich am meisten beeindruckt hatten, gehört “Sara” von der deutschen Band SAND. Es ist ein sehr mysteriöser Song, der Sänger fragt “-is´that you Sara?, und eine fast unverständliche Stimme antwortet “no, its the storm”. In unserem Song heißt es: “When a strange morning shatters our windows/When you leave/ Wait for me on the other side of the storm”.

“Festival de las Luces” hat einen recht freundlichen Klang und impliziert etwas Religiöses, das nicht unbedingt negativ konnotiert scheint. Doch der Clip dazu mit den verbrannten Puppen spricht eine andere Sprache. Was für eine Art Opferritual wird dort an den Schaufensterpuppen durchgeführt?

C: Dieses Lied ist eine Feier seltsamer Geschehnisse und es ist seltsam, dass du, ohne den Text zu verstehen, die „religiösen“ Elemente wahrnimmst, da das Lied von drei Nonnen handelt, in einem Teil des Textes heißt es:

“…Party’s over/It came to an end/I’m walking happily/On my way home/ When I see them/Right over there In the light/They’re looking at me/ and In a car/They’re taking him away…/It’s raining houses/It’s raining cars/It’s raining letters/It’s raining blood…”

T: Das Video wurde in einziger Nacht gedreht. Nach einem Auftritt in Spanien tranken wir in einer Bar und ein Freund sagte zu uns: „Ich habe diese Schaufensterpuppenköpfe und ich habe sie für euch aufgehoben.“ Wir gingen also zu seiner Wohnung um uns das anzuschauen und als wir sie sahen, gefielen sie uns gar nicht und deswegen sagten wir uns: „Lasst sie uns verbrennen.“ Wir gingen also aufs Dach und wir zündeten sie an und er filme es und das war’s. Wir waren alle betrunken und es war ganz normal und spaßig und die Polizei ist nicht aufgetaucht.

Was waren die Gründe für euch, nach Deutschland zu ziehen? Wie es scheint, habt ihr ja schon eine beachtliche Anhängerschaft in der Hauptstadtregion…

C: Ja, wir sind froh hier zu sein. Es gibt hier Leute, die singen unsere Lieder mit, obwohl sie kein Spanisch verstehen, das ist wirklich großartig.

T: Ja, wir haben hier ein echt nettes Publikum. Wir haben 2008 in Barcelona gelebt, aber wir haben nie wirklich Verbindungen zu der Stadt geknüpft. Als wir für drei Wochen hierher kamen, fanden wir einen viel freundlicheren Ort für die Dinge vor, die wir machen, und so blieben wir und sind sehr glücklich damit. Ich fühle mich außerdem zu vielen Dingen aus der deutschen Kultur hingezogen, ich mag Grosz, Nico, Neubauten, Kraftwerk, DAF, Cluster, Sand, Murnau, Herzog, etc. So macht es auf eine seltsame Weise auch Sinn für mich. Ich mag Berlin. Es macht mir nichts aus, dass es hier keine Sonne gibt, ich mochte die Sonne sowieso nie.

Ihr habt auf dem Berliner Teufelsberg in einer alten Sendestation gespielt, es gibt einen Mitschnitt von dem Song “Monstruo”. Würdet ihr sagen, dass die Akustik des Gebäudes und seine Geschichte von gleicher Bedeutung für Darbietung waren?

T: Ja, der Teufelsberg ist ein Ort, an dem sich viele Ströme der Geschichte überkreuzen, vielleicht ist es so etwas wie eine Art spirituelle Kreuzung: die Nazis, das CIA, die Sowjetunion. Auch die Architektur, die Akustik, die Natur drum herum, alles dort ist faszinierend, auch der Name des Ortes und die Tatsache, dass es der höchste Punkt in der Berliner Region ist, dass es ein Wald ist, der auf Weltkriegstrümmern wächst etc. Wir gingen da wie an eine psychofone Aufnahmesession heran. Wir wollten Medien sein und was auch immer da war sich selbst ausdrücken lassen. Deswegen ist der Auftritt so nackt und improvisiert. Wir spielen mit dem Ort, nicht nur an dem Ort. Wir benutzen ihn wie ein Instrument und lassen den Ort uns wie Instrumente benutzen.

Ihr habt die Einfachheit dieser Performance betont, und dass nachträglich keine Effekte hinzugefügt worden sind. Ging es euch dabei auch darum zu demonstrieren, wie wirkungsvoll elektronische Musik ohne viele technische Spielereien sein kann?

T: Uns war es wichtig, dem Ort die Möglichkeit zu geben, sich selbst auszudrücken, deshalb reduzierten wir das Equipment und die Show auf ein Minimum. Es war eine ausgezeichnete Gelegenheit, Ideen anzuwenden, die wir zum Thema Musik, Resonanz, Psychoakustik im Kopf hatte, und das in einer Weise, die viel einfacher ist, als wir normalerweise vorgehen. Es wäre Zeitverschwendung, einfach dorthin zu gehen und einen Geräuschwall zu erzeugen, du kannst all das Reverb, das du haben willst, mit einem Pedal für fünfzig Euro zustande bringen, was für ein Sinn sollte es also machen, dafür an diesen Ort zu gehen. Aber wenn du einen Geist einfangen willst, musst du nur still und leise sein und dich öffnen. Das haben wir getan.

Carmen, du bist hauptberuflich als Illustratorin und bildende Künstlerin aktiv. Kannst du unseren Lesern kurz deine Arbeitsweise beschreiben? Spielt das Artwork für dich eine ebensolche Rolle in Mueran Humanos wie die Musik?

C: Ich benutze Kollagetechniken, wenn ich bestimmte Motive male oder zeichne. Während dieses Prozesses agieren die Farbe und das Zeichnen, obwohl ich die Kollagetechniken benutze um die Formen zu erschaffen; egal ob digital oder mit Papier: Ich benutze die gleiche Technik von sich überlagernden Schichten. Manchmal mache ich das auch mit Puppen. Musik, Bilder und Texte sind für mich alle gleich wichtig. Wir sind zu einer Band geworden, die Songs schreibt, aber wir haben damit angefangen Soundscapes in Installationen mit Video, Objekten etc. zu integrieren. Ich würde gerne mehr solche Sachen mit Mueran Humanos machen. Mir gefällt es, abzurocken, aber ich vermisse den anderen Teil. Für mich sind die Bilder, die wir bei Gigs benutzen und das Artwork ein ebenso wichtiger Teil von Mueran Humanos wie wir.

Zu einem deiner Bilder schriebst du “there’s a girl on fire, standing in a closed space, she’s burning alive but I can’t tell if she’s suffering or having a good time.” Diese Ambivalenz scheint viele deiner Arbeiten zu charakterisieren. Ich bin manchmal nicht sicher, ob die entstellten Figuren schlicht Opfer sind, oder ob sie eher Schmerz (bei anderen) bewirken sollen. Siehst du das ähnlich?

C: Ja. Ambivalenz an sich ist etwas Mysteriöses und fasziniert mich. Vampire zum Beispiel sind die Opfer eines Prozesses, aber ich interessiere mich nicht für den Moment de Schmerzes oder die Familie, die sie zurücklassen, wenn sie ihr Menschlichkeit verlieren. Ich interessiere mich nur für den Part, in welchem sich jemand mit dem versöhnt, was er ist. Im Falle dieses Motivs, ihre Geste zeigt etwas, das unmöglich erscheint: Lust zu empfinden, während sie von den Flammen verzehrt wird. Was die Mädchen aus der Reihe „Seventeen“ angeht, sie alle haben ihren Frieden mit dem, was sie sind. Es gibt nur eine Ausnahme, und sie ist auch die einzige, die in meinen Augen wirklich Schmerz ausdrückt. Ich fand die anderen nur witzig, sie bringen mich zum lachen.

Du hast Illustrationen für eine spezielle Weihnachtsausgabe des Magazins “Quimera” angefertigt. Einer der Artikel lautet “Deconstruir la Navidad”. Was kannst du uns über dieses Heft erzählen, und enthalten deine Beiträge auch ein persönliches Statement zur Religion?

C: Sie hatten mir angeboten, alle Kurzgeschichten im Heft zu illustrieren. Es ist eine Sammlung von Geschichten, die alle an Weihnachten spielen, und alle haben nicht gerade einen engelhaften Charakter. Ich hatte mir die Geschichten nur durchgelesen und jede davon frei interpretiert. Eine ist pornografisch, und generell ist der Inhalt des Heftes eher “für Erwachsene”. Ich denke, meine Kollagen bringen etwas Esoterisches und vor allem Humor hinein.

Vor kurzem starb das Model Isabel Caro an Anorexie. Zur Zeit wird in den USA heftig darüber diskutiert, dass schon Siebzehnjährige den Arzt aufsuchen, um eine Botox-Injektion zu bekommen. Beziehen sich dein Artwork und die anderen “Seventeen”-Bilder auf solche Entwicklungen?

C: Ich kann mir gut vorstellen, dass ein Mädchen sich selbst auflösen kann in einer Modewelt, die frivol und zugleich faszinierend ist. Ich kann verstehen, dass sie diese Welt überwältigen kann. Wenn man es zulässt, dass man mit Dummheit gefüllt wird so wie bei einer Ente, die mit schmutzigem Essen vollgestopft wird bis ihre Leber platzt und Pastete aus ihr wird. Ich denke, dass wir geboren werden, uns aber etwas fehlt. Es ist für Frauen schwierig sich in einem Geschäft frei zu bewegen, für das sie der Köder sind.

Euer Album erschien vor kurzem bei Old Europa Café, eines der umtriebigsten Labels der “Industrial”-Szene. Wie seid ihr in Kontakt gekommen, und denkt ihr über das Industrial-Phänomen im allgemeinen?

C: Wir sind sehr stolz und glücklich auf OEC zu sein. Wir haben eine eher losen Bezug zu dieser Szene, letztes Jahr spielten wir auf der Finissage einer Genesis P. Orridge-Ausstellung hier in Berlin, was für uns als Fans eine große Freude war. Dieses Jahr werden wir auf einem Festival namens “Congresso Post Industriale” in Venedig spielen, das von OEC organisiert wird. Blind Prophet Records, unser anderes Label, ist ebenfalls in diesem Bereich unterwegs. Wie dem auch sei, wir stehen in Kontakt zu verschiedenen Szenen, wo immer man sich für uns interessiert und uns einlädt, ob das nun Galerien oder Noise-Events sind wie Dienstbar oder Salon Bruit. Wir spielten auch in Hausprojekten wie Köpi und Subversive, dann so etwas wie The Almighty Wire und Endorcism, das war eine Witch House-Nacht… Wir gehören nicht wirklich zu irgend einer Sparte, aber wir sind bereit zu spielen und in dem Moment, an dem wir die Bühne betreten, gehört sie uns und wir haben das Kommando

T: Ja, es ist wie Guerillataktik, vielleicht verdanken wir es unserer südamerikanischen Kultur. Wir spielen gerne vor einem Publikum, das etwas anderes erwartet, auf eine gewisse Weise sind wir Crossover.

Rudolph hatte uns auf Myspace gehört und war so nett, uns zu kontaktieren. Er bot uns an, etwas zu veröffentlichen, gerade in dem Moment, als unser Album fertig aufgenommen war, so konnten wir es ihm schicken, er mochte es, und alles ging seinen Weg. OEC ist ein Label, das rein aus Liebe zur Musik besteht, und das keine Risiken scheut. Wir mögen viele der Künstler, vor allem diverse Dark Ambient-Musiker, aber auch Spectre, MB und Folkstorm und viele andere. Wir sind keine Industrialband, aber Industrial Culture war immer sehr wichtig für mich. TG, Coil, Cabaret Voltaire, TOPY, SPK und all dies. Ich denke, dass wir einen ähnlichen Forscherdrang im Bezug auf diese frühen Bands haben, auch wenn (oder vielleicht gerade weil) die Ergebnisse komplett anders sind. Vielleicht sah Rudolph da die Verbindung… Wer weiß?

Tomás, neben einer Reihe an Kollaborationen betreibst du dein Soloprojekt NOCHTEFF, welches wie es scheint eher soundorientiert ist. Stücke wie “Congregación de Alejos” klingen für mich wie die morbide Folklore aus einem urbanen Niemandsland.. Betreibst du dieses Projekt alleine, und wie würdest du seine Kernelemente beschreiben?

T: Ja, ich benutze meinen Nachnamen für verschiedene Projekte. Ich habe ein Album mit Songs aufgenommen, das 2004 unter dem Titel “Le Beat Juste” in Buenos Aires erschien. Aber als Mueran Humanos dann anfingen, Songs aufzunehmen, mache ich unter meinem eigenen Namen eher konzeptuelle oder experimentelle Projekte. Ich nahm ein Album namens “Pascua Pagana” (“Pagan Easter”) auf, das ich in drei Tagen während der Osterzeit 2006 in London einspielte, nur mit Bass mit drei Saiten, drei Kanälen, drei Effekten und drei Tapes. Zuerst brachte ich es als Kassette heraus, aber mittlerweile ist es auch zum freien Download bei dem deutschen Label Alarm Platten erhältlich: www.alarmplatten.de Zur Zeit arbeite ich mit einem Regisseur an einem “psychogeographischen” Film über die Stadt Buenos Aires. Ich habe ein paar Ausflüge durch die Stadt ausgewählt, die ich wichtig oder kraftvoll finde, mit dem Zug oder Auto. Er macht den Ausflug und filmt ihn und ich mache die Musik, die dafür verwendet werden soll. Ich habe auch ein ewiges Album, an dem ich gerade arbeite. Die Texte bestehen aus Cut Ups aus Zeitungen. Hauptsächlich besteht es aus Stimme, elektronischem Feedback, Tapes, Bass. Ich arbeite seit vier Jahren immer mal wieder daran. Ich habe gerade auch ein Buch mit Cut Ups in einem kleinen Verlag für experimentelle Dichtung in Buenos Aires veröffentlicht, der Bases Para el Turismo del Futuro (Foundations for the Tourism of The Future) heißt. Es gibt viele Sachen, aber Mueran Humanos ist mir wichtiger, deswegen geht es mit den anderen Sachen langsam voran.

Es gibt von dir auch einen Song für Jhonn Balance. Welche Bedeutung hat seine Musik bzw. COIL für dich?

T: Für mich ist Coil eine der wichtigsten Bands, die es je gab, ich liebe vor allem die “Musick to Play in The Dark”-Reihe und “Horse Rotorvator”. Aber es gibt daneben auch etwas sehr spezielles an Balance, etwas sehr persönliches. Wenn ich seine Stimme höre, dann fühlt sie sich sehr nah an, so etwas passiert mir ansonsten nur bei Nico und CAPTAIN BEEFHEART. Ich kenne andere, die das ähnlich empfinden, er hatte eine seltsame Kraft – eine fragile Person und doch auch sehr stark. Ich nahm diesen Song in einer Nacht auf, als ich allein in unserem dunklen Haus in Barcelona war. Ich dachte an Balance, und wie er sagte, dass er Barcelona so liebe, und es kam mir vor, als ob etwas Spirituelles durch das Fester kam und mit mir im Raum saß, ich setzte mich an das Keyboard, und es war, als ob “wir” den Song zusammen aufgenommen hätten. Für den Moment war ich überzeugt, dass wenn es ein Geist war, es der von Balance gewesen sein muss. Ich erwarte nicht, dass ihr oder irgendwer sonst das glaubt, ich weiß nicht einmal, ob ich es selbst glaube, ich erzähle nur, wie ich mich in dem Moment gefühlt habe und in welcher Stimmung ich den Song machte, wahrscheinlich war es nur eine Halluzination. Ich habe zu dieser Zeit eine Menge Geister und seltsames Zeug gesehen. Es war auch das gleiche Haus, in dem Mueran Humanos seinen Anfang nahm. Es war ein seltsamer Ort, die Leute, die vorher dort gelebt haben, hatten alle Fenster mit schwarzer Farbe angemalt, es waren Kreuze und magische Symbole an die Wand gezeichnet, und alles war in einem starken Verfallszustand. Wir zogen dann zu allem Überfluss dort ein und vollführten Sigillenrituale, Experimente mit Magie und anderen Dingen, es war gelinde gesagt eine halluzinatorische Umgebung, also wer weiß… Wie auch immer, der Song ist nun da und ich sehe ihn wie eine Hommage an einen Künstler der mir und manch anderen sehr viel bedeutet.

Zum Schluss etwas Obligatorisches: Wieviel steht zur näheren Zukunft von Mueran Humanos fest? Plant ihr in Berlin zu bleiben und schreibt ihr schon an neuen Songs?

Ja, wir planen auf jeden Fall noch eine Zeitlang in Berlin zu bleiben, es ist mittlerweile unsere zweite Heimat. Anfang Februar wird das Album nun auf Vinyl bei Blind Prophet Records in New York erscheinen, wir werden im Februar auch eine USA-Tour machen. Danach kommen wir zurück und touren in Europa. Wir würden auch gerne eine Südamerika-Tour machen. Wir haben eine Menge neuer Songs und sind ganz zuversichtlich, dass es dieses Jahr eine Weitere CD geben wird. Geplant ist auch eine EP mit vier Versionen eines Songs, in italienisch, deutsch, englisch und spanisch, viele Ideen…Wir werden niemals aufhören. Wir sind eine zweiköpfige Armee und wir machen keine Gefangenen.

(M.G. & U.S.)

mueranhumanos.com