Unter einer Rampe versteht man im allgemeinen Sprachgebrauch eine Übergangsvorrichtung zur Überbrückung zweier räumlich getrennter Objekte oder auch eines Höhenunterschiedes wie z.B eine Verladerampe oder auch einen Bühnenrand, an dem der Bereich der Performance in den Bereich des Publikums übergeht. Man kann den Begriff natürlich vielfach metaphorisch verwenden und auf Dinge beziehen, bei denen es weniger um räumliche Abstände, sondern um andere Arten von Überbrückung geht.
Unter den Fans der Einstürzenden Neubauten hat sich längst herumgesprochen, dass mit Rampen die zahlreichen improvisierten Interludien gemeint sind, mit denen bei ihren Live-Shows einzelne Stücke miteinander verbunden werden. Gerade bei diesem Abschnitten steht das perkussive Element, das aufgrund seiner Verwendung von Metallteilen gerne als experimentell bezeichnet wird, besonders im Zentrum, sie bilden einen deutlichen Gegenpart zum Songformat, das bei Konzerten eine ebenso wichtige Rolle spielt.
Teile dieser Rampen wurden in der Vergangenheit immer wieder als Ausgangsmaterial für eine nächste Schicht einzelner Stücke genommen, die dann auf kommenden Alben erschienen sind. Für das neue Album “Rampen (apm: alien pop music)”, das in alamierendem Gelb, der wahren Farbe erscheint, hat man sich entschieden, in Gänze auf dieses Rampenmaterial zurückzugreifen und es zum Soundfundament jedes der fünfzehn Stücke zu machen. Die Entscheidung, das von vielen wahrscheinlich als tendenziell marginal begriffene ins Zentrum des Geschehens zu holen, findet ihre Entsprechung noch in einer weiteren Idee, denn das Resultat sollte eine Musik sein, in der die Aliens – die Fremden, Außenseiter, Außerirdischen im buchstäblichen wie im übertragenen Sinne – etwas finden, das in einer Vielzahl gängiger Popmusik ein leeres Versprechen bleiben sollte. Um welche möglichen Funde handelt es sich da, und wie viel von einen Alien steckt in einem selbst, wenn man meint, darauf eine vage Antwort gefunden zu haben? Auch ohne diese beiden thematischen Rahmungen ist das Album ein ungemein reichhaltiges Werk geworden, bei dem sich zahlreiche weitere musikalische und lyrische Themen ausfindig machen lassen.
Allein das wiederholte Aufgreifen von Fragen des Seins, der Zeitlichkeit, der Veränderung und der Vergänglichkeit in den Songtexten zusammen mit dem pulsierenden Hinsteuern der Musik auf deutliche und weniger deutliche Höhepunkte oder zumindest Plateaus, in denen die Stücke so etwas wie ihren wesentlichen Charakter offenbaren, würde für eine markante Signatur reichen, doch tauchen wir zunächst ein. Auf eine gewisse Weise enthält das eröffnende “Wie lange noch?” so manche Essenz des Albums in a nutshell: Trippelnd hypnotisches Pulsieren gibt den flinken Takt vor, in den sich kleinteilig scheppernde Metallklänge und organische Gitarrenfigurinen einflechten, kurz darauf ebenso Blixa Bargelds kräftig ins Zentrum gemischte Stimme, die nachdenklich an der Grenze zum Sprechen und so nur leicht melodisch die schon im Titel aufgeworfene Frage präzisiert. Während es immer stärker scheppert und elektronisches Geschnippe hinzukommt, entfaltet sich ein zumindest dem Anschein nach protoapokalyptisches Szenario, in dem alle wesentlichen Dinge erledigt sind, und doch keine Sicht, das ist gut war, anklingt, sondern lediglich Akzeptanz und die Frage, wie lange all dies noch andauern mag. Im taz-Interview erfahren wir, dass es hier primär um die Antizipation des Endes der Studioarbeit geht, doch spielen Implikationen eines Endpunktes immer wieder eine neue Rolle im Verlauf von “Rampen”.
Das folgende und bereits vorab veröffentlichte “Ist Ist” ist von ähnlicher Machart und doch weitaus weniger harmonisch, stattdessen kratzender, detonierender. Nach diesen beiden Openern, die wahrscheinlich viele an klassische Neubauten-Momente der Vergangenheit erinnern werden, gibt sich das folgende “Pestalozzi” schleppender. Was zunächst flächig wie ein schwebender Klangteppich beginnt, wird zum Substrat, aus dem zahlreiche kratzende, rumorende und bimmelnde Sounds herauswachsen, alles in gemächlicher Vorwärtsbewegung, in der auch ein paar zaghafte Paukenschläge ihren Raum finden. Was immer das lyrische Ich vor dem Hintergrund eines dezenten Chorgesangs an Übereinstimmungen mit dem bekannten Schweizer Reformpädagogen – falls dieser wirklich gemeint ist – entdeckt, es wird mit einer für dieses Album typischen Genügsamkeit quittiert, die nichts verwundertes mehr zulässt, vielleicht einen kleinen Touch erträglicher Resignation, zugleich aber nichts kaltes und abgeklärtes. Auch dieser Song entwickelt sich auf seine Art zu einem deutlichen Höhepunkt hin, doch es gibt hier nicht den einen Moment, in welchem sich die Musik klar erkennbar steigert, es passiert graduell, wird kontinuierlich dichter, wirbelnder, etwas braut sich im Laufe des Stücks mehr und mehr zusammen.
“Rampen” ist trotz seiner rund 75 Minuten Spieldauer ein Album mit wenigen bis gar keinen Längen, und so fällt es durchaus nicht leicht, einzelne Höhepunkte hervorzuheben. Vielleicht “Es könnte sein”, ein großartiger Song über die Möglichkeiten des Seins und des Verschwindens, Verblassens, sich Verflüchtigens – und von der Möglichkeit des Akzeptierens, der sich von einem fast folkig bimmelnden Lullaby mit anheimend krautiger Orgelkulisse diesmal relativ abrupt in ein zisselndes und dreschendes Freakout verwandelt, aus dem der Song nicht mehr herausfinden kann und muss. Oder das Stück über den schattenlosen, verregneten Planeten Umbra, dessen von lieblichen Gitarren und handdrumartigen Takten gezeichnetes Setting eine ähnlich halbtrügerische Enklave abgibt wie seinerzeit ein fiktives Bergkarabach. Oder vielleicht “Besser Isses”, bei dem in lakonischer Prosa die Geschichte einer Trennung, einer Häutung erzählt wird. Die auf “Rampen” immer wieder aufgeworfene Frage des Seins kehrt hier in Form einer Selbstfiktion, einer Hochstapelei wieder. Doch um wessen Prätention es sich hier handelt, wessen Lügen der Sprecher hinterherrennt, bleibt offen, und man fragt sich vielleicht im Übermut zur Überinterpretation, ob es hier auch um eine kritische Selbstreflexion geht, und wir alle dieses Sprechersubjekt sind. Der Umgang mit der Sprache erscheint in “Rampen” ohnehin als ein heikler, immer wieder riskanter Akt, dessen Medium sich in gleich zwei Songs – “The Pit of Language” und “Tar & “Feathers” – als abgründiges Verließ entpuppt, dem man nur geteert und gefedert entkommt.
Geteert und gefedert zurück an der Erdoberfläche ist der schreibende Rezensent begeistert und der noch kommenden Entdeckungen, die sich beim wiederholten Hören ergeben werden, noch lange nicht überdrüssig. Dass es, wie Leser von Magazinen wie dem unseren wissen, neben einer Menge an Pseudoaußenseitertum bereits viel an Alienpopmusik gibt, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Einstürzende Neubauten diese auf eine ungemein frische, gehaltvolle und niemals ermüdende Weise ins Werk gesetzt haben, und dies trotz oder vielleicht sogar wegen seiner zahlreichen Rückgriffe auf früheres Material und schon vormals gestellte Fragen. (U.S.)
Label: Potomak