Unter den Künstlern, die in den 80ern erfolgreichst dunkle Musik spielten und Kultstatus erreichten, haben es nicht viele souverän in das neue Jahrtausend geschafft. The Cure hatten zwischen 1980 und 1989 eine phänomenale Phase mit teils makellosen Alben: von dem kargen „Seventeen Seconds“ mit dem signature tune „A Forest“ über den Trauermarsch, der „Funeral Party“, von „Faith“ bis hin zur Apotheose und dem gleichzeitigen Endpunkt der Finsternis mit „Pornography“ (1982), wo die letzten Worte konsequenterweise nur noch „I must fight this sickness, find a cure“ heißen konnten und nach dem Robert Smith eine Popphase einläuete.
Auf dem 1987 erschienenen Doppelalbum „Kiss Me Kiss Me Kiss Me“ zeigte die Band, was sie alles konnte: von melancholischen Popsongs wie „Just Like Heaven“ bis hin zu dräuend-dunklen Stücken wie „The Kiss“ – alles schien möglich. In einem gerade erschienenen langen Interview spricht Robert Smith allerdings davon, dass er atmosphärisch einheitlichere Alben in seinem Werk eher schätze – was gut zum neuen Album passt (dazu gleich mehr). Mit “Disintegration” gelang der Band 1989 ihr Opus magnum. Hier ging alles zusammen: starke Songs und atmosphärisch dichte Stücke (die gerne auch acht, neun Minuten lang sein durften ohne dabei zu langweilen). Den kommerziellen Höhepunkt bildete das 1992 erschienene „Wish“-Album, dessen Hitsingle „Friday I’m in Love“ es der letzten Bankkauffrau in Castrop-Rauxel möglich machte, The Cure zu goutieren. Allerdings zeigten sich schon auf diesem Album Probleme, die die nächsten Jahr(zehnt)e prägen sollten: Viele der längeren Stücke mäanderten recht ziellos vor sich her. Die wenigen (insgesamt lediglich vier) Alben seit 1992 wirkten ideen- und planlos und auch der Versuch, „Bloodflowers“ (2000) dadurch zu auratisieren, dass man es als Abschluss einer mit „Pornography“ begonnenen und „Disintegration“ fortgesetzten Trilogie verstanden lassen wollte, konnte nicht über die Ödnis vieler der darauf entstanden Stücke hinwegtäuschen. Diese Ziellosigkeit spiegelte sich auch im misslungenen und kuriosen Artwork all dieser Alben wider. Die Setlists der letzen Jahre – The Cure spielten umfangreiche, teilweise drei Stunden lange Shows – , zeigten dann, dass wohl auch die Band selbst nicht sonderlich überzeugt von diesem Material war.
In den vergangenen Jahren wurde ein neues Album mehrfach angekündigt, fünf neue Stücke wurden auf der letzten Tour gespielt, wobei zwischendurch wohl manch einer nicht mehr glaubte, dass die Studioaufnahmen dieser Songs wirklich erscheinen würden. Smith selbst zeigte sich als großer Sympath, als er konsequent gegen die absurden (sogenannten) Dynamic pricing-Strategien von Ticketmaster vorging und die Kosten der Karten deckeln ließ. Dann plötzlich gab es ein Poster am Ort des ersten Konzerts, das die Band je spielte und Fans erhielten Postkarten, die endlich “Songs Of A Lost World” ankündigten.
Die autobiographischen Bezüge (Tod vieler Smith nahestehender Menschen, insbesondere seines Bruders) sind hinreichend dargelegt worden, mehr als ein Rezensent sah sich gar unpassenderweise bemüßigt, Parallelen zu David Bowies Schwanengesang “Blackstar” zu ziehen.
Mit acht Stücken veröffentlichen The Cure sicher nicht das beste Album ihrer Karriere, aber ziemlich sicher das beste seit 1989, das nicht ganz unassend an Allerheiligen veröffentlicht wird. Das siebenminütige „Alone“ eröffnet das Album. Diese getragene Midtemponummer mit dem Zusammenspiel von Gitarre und flächigen Keyboards gibt die Stimmung und musikalische Richtung für das gesamte Album vor. Erst nach dreieinhalb Minuten setzt der Gesang ein: „This is the end of every song we sing“, kann man da hören. Dann singt Smith: “And the birds falling out of our skies/And the words falling out of our minds/And here is to love, to all the love/Falling out of our lives”. Hier gibt es die Engführung von persönlicher und globaler Apokalypse.
Robert Smith hat von Anfang an seine literarischen Interessen in seine Texte einfließen lassen: Bekannterweise verwies die (teils missverstandene) erste Single auf Camus, “The Drowning Man” war von Mervyn Peakes grandioser “Gormenghast”-Trilogie beeinflusst und “How Beautiful You Are” war letztlich die Übertragung eines Prosagedichts Baudelaires in ein Popsongformat. Für “Alone” fand Smith Inspiration in dem Gedicht “Dregs” des Fin-de-Siècle-Dichters Ernest Dowson: “And health and hope have gone the way of love/Into the drear oblivion of lost things.”, kann man bei Dowson lesen und das wäre auch keine allzu schlechte Zusammenfassung dieses Albums. „And Nothing Is Forever“ knüpft thematisch und musikalisch daran an: Piano, ein Keyboard, das an Streicher denken lässt, und auch hier setzt Smiths Stimme erst nach drei Minuten ein: „Promise you’ll be with me in the end“, wird da im Angesichts der Vorstellung des finalen (Ver-)Gehens gefordert. Dann: „And wrap your arms around me/In a murmured lullaby/As the memory of the first time/In the stillness of a teardrop/As you hold me for the last time/In the dying of the life“. “A Fragile Thing” mit seinem Pianointro lässt wissen: “‘This love is my everything’/But nothing you can do to change the end”. „Warsong“ fällt dann anfangs mit den Harmoniumdrones etwas aus dem Rahmen. Dann kann der langjährige Gitarrist Reeves Gabrels (ehemals Tin Machine), der nach vielen Jahren in der Band sein Albumdebüt gibt, verzerrte Gitarrenpassagen beisteuern. Hier wird wieder in dieser Reflexion über die Conditio humana der Blick vom Privaten in die Welt gelenkt: “However we regret/All we will ever know/Is bitter ends/For we are born to war”. “Drone: Nodrone” knüpft mit wuchtigen Drums und der verzerrten E-Gitarre daran an. “I Can Never Say Goodbye” ist (mit Verweisen auf Shakespeare/Bradbury) Smiths Verarbeitung des Todes seines Bruders: „Something wicked this way comes/To steal away my brother’s lifе”. Das vorletzte Stück “All I Ever Am” setzt das Resignative fort: “My weary dance with age/And resignation moves me slow/Toward a dark and empty stage/Where I can sing the world I know”. Dann der Abschluss mit dem passend betitelten “Endsong”, einem epischen Zehnminüter, dessen letzte Worte sicher als Fazit gesehen werde können: “Left alone with nothing, nothing”.
“Songs Of A Lost World” ist das kohärenteste Album seit “Disintegration” und es ist bezeichnend, dass die Band am 1.11. bei der Albumshow in London, nachdem sie das gesamte neue Album gespielt hatten, direkt mit “Plainsong” weitermachte.
Label: Polydor/Fiction Records