Ein knarrender, nur leicht perkussiver Sound, der mit etwas Fantasie an verfremdete Wassertropfen erinnert, eröffnet eine dichte Szenerie von fast ASMR-artiger Qualität. Subtile Geräusche – ein Knistern, Knacken und Blubbern – bauen langsam ein elektrifiziertes Fundament auf, das sich kaum merklich steigert und helfen mit, einen in die faszinierende Welt von “Lateral Journey”, dem aktuellen Tape von Acrartep zu ziehen, dessen Opener “A Walk in the Mud” gleich in die Mitte des Geschehens führt. Vordergründig minimal und repetitiv, ereignen sich im Hintergrund des Tracks kleine, kaum hörbare Entwicklungen, die Spannung erzeugen, um irgendwann in einen stilleren Schlussteil zu kippen, der jedoch in ständiger Bewegung bleibt: Winzige Details, die man erst beim genauen Hinhören entdeckt, machen schon dieses Stück zu einem durchaus komplexen Mikrokosmos.
Acrartep ist das Soloprojekt des Klangkünstlers Eugenio Petrarca, u.a. bekannt als Mitglied des Duos Ab Uno, einem Projekt, das sich längst einen Namen mit modularen Synthies und ethnographischen Klangdokumentationen gemacht hat. Mit Acrartep erweitert Petrarca sein künstlerisches Repertoire seit Jahren, seit Oktober liegt nun über Brutal Forms ein erster physischer Tonträger vor. “Lateral Journey” trägt die Handschrift eines Künstlers, der es versteht, Klang als narrative Kraft zu nutzen.
Das Motto des Albums – „Before you arrive, a monk must dream of an anchor, a tiger must die in Sumatra, nine men must die in Borneo.“ – könnte der Ausgangspunkt eines mysteriösen Thrillers sein. In ihrer reizvollen Unklarheit geben diese Andeutungen dem Werk eine zusätzliche Schicht von Rätselhaftigkeit. Musikalisch ist das Album geprägt von einer rohen und radikalen Herangehensweise, bei der dichte, dröhnende Klanglandschaften auf verzerrte Noisetexturen treffen, die eine hypnotische und bisweilen verstörende Atmosphäre schaffen. “It is Just a Memory from a Previous Life” beginnt mit zitternden, unruhigen Sounds, die in eine rauschende Hülle gepackt sind. Das “just” im Titel mag angesichts des Themas ironisch wirken, aber nicht nur aufgrund seiner relativen Kürze offenbart der Track durchaus eine gewisse lakonische Beiläufigkeit, welche die irritierenden Wirkung des leicht noisige Klang abmildert, und mit der Zeit entfaltet sich ohnehin eine eigentümliche Schönheit in den Vibrationen. Die repetitiven Muster scheinen beruhigend, doch plötzlich drängt sich der Klang stärker auf, wird fordernder und vielseitiger und intensiviert sein Spiel mit Wahrnehmung und Erwartung.
Mit “Placid Foam” kehrt Acrartep einer subtileren Klangästhetik zurück. Wellenförmige Summtöne und repetitives Rumoren verweben sich zu einer vielschichtigen Interaktion zwischen verschiedenen Zeitebenen: Langsame und schnellere Bewegungen laufen parallel und beeinflussen einander. In dieser dichten Struktur aus rauschenden, brummenden und knarrenden Sounds verbirgt sich eine ebenso bemerkenswerte Wärme, bevor auch dieses Stück sich zunehmend zu einem fast infernalischen Crescendo steigert. Mit “A Silence You Don’t Want to Hear” bietet Acrartep eine verstörende Perspektive auf den Begriff der Stille. Das Stück hätte, wäre es eine Minute länger, gut auf dieses John-Cage-Tribut gepasst, doch es hat auch die ernsthafte, bedrohliche Qualität, die auch einer unbehaglichen, unwillkommenen Stille zueigen ist. Die hektischen Klangdetails sind dünn, fast spitz, und rufen eine unterschwellige Spannung hervor. Schrilles und propellerartiges Rauschen mischen sich mit gebrochen rhythmischen Elementen, während verzerrte, stimmenähnliche Fragmente durch das Klangbild huschen und eine verstörende Illusion entfachen.
Das infernalische “Transition” hält die vielleicht heftigsten Momente des Albums bereit. Aquatische Blubbertöne verschmelzen mit brodelndem, rauchartigem Sound und stimmenähnlichen Details zu einer unentwirrbaren Einheit. Der Titel ist Programm: Übergänge sind selten einfach, und das Stück spiegelt diese Komplexität wider. Gegen Ende wird klar, dass gesampelte Stimmen aus einer medialen Aufnahme tatsächlich eine Rolle spielen. Das abschließende “No One Knocked on Your Door” beginnt warm und hypnotisch, ein Brummen legt den Grundton, während schmatzende, kratzende und rumpelnde Sounds sich dazwischen schieben. Doch auch diese Sounds entfalten, haben sie sich erst mal in der Komposition eingerichtet, einen diffuse Bedrohlichkeit, bis das Album abrupt in schrillen Grenzfrequenzen endet – eine offene Frage, die die Bewegung ohne klare Antworten beschließt. Selbstredend steckt in diesem plötzlichen Finale das potenzial für mindestens ein weiteres Album.
Diese Schlussgebung als Opera Aperta passt gut zum Rest, denn so sehr “Lateral Journey” durch seine Klanggestalt(und) überzeugt, begeistert es mehr noch durch seine narrativen Andeutungen, die immer wieder neu herausfordern, in die Tiefe der hier entworfenen Parallelwelt einzutauchen und sich von ihrer Mehrdeutigkeit tragen zu lassen. (U.S.)
Label: Brutal Forms