PARK JIHA: All Living Things

Vielleicht liegt es in der Natur unserer Wahrnehmung, dass wir – gleichwohl beides eine gleichgroße Rolle spielt – mit dem Leben eher das Entstehen als das Vergehen assoziieren. Die koreanische Komponistin und Multiinstrumentalistin Park Jiha widmet sich auf ihrem vierten Album “All Living Things” ganz der Betrachtung des Lebens in all seinen Zyklen und Facetten, und trotz des sehr wehmütigen, ernsthaften Grundtons ihrer Musik scheint das Frühlingshafte, das Ereignis der Geburt und des Entstehens besonders stark im Zentrum zu stehen. Sie verbindet dabei traditionelle koreanische Instrumente wie Piri, Yanggeum und Saenghwang mit Glockenspiel, Flöte, Elektronik und in besonderen Momenten auch ihrer eigenen Stimme zu einem dicht verwobenen Klanggeflecht. Im Zusammenspiel von akustischen und elektronischen Elementen schafft sie eine intime und zugleich universelle Klangwelt, die sich auf natürliche Weise zwischen Minimalismus, Ambient und zeitgenössischer Klassik bewegt.

Der Einstieg mit “First Buds” vermittelt mit verzückten Tupfern, feinen Glockentönen und warmen, fließenden Klängen eine zarte Atmosphäre des Beginnens. Es ist ein leiser Auftakt, der an das sprießende Leben im Frühling erinnert und die Grundstimmung des Albums – wehmütige Ernsthaftigkeit gepaart mit Hoffnung – einleitet. Darauf folgt “Grounding”, das in seinen hypnotischen, zyklischen Rhythmen und tänzerischen Melodien, deren Klangquelle an ein Psalterium erinnert, vielleicht an das langsame Auftauen eines gefrorenen Bodens denken lässt. Mit “Bloom” rückt die Musikerin hohe, klare Töne in den Mittelpunkt und entfaltet eine erhabene Stimmung, während das forsch voranmarschierende “A Story of Little Birds” mit lebhaften, flötenartigen Klängen und beweglichen Melodien ein spielerisches Bild heraufbeschwört. Der Wechsel zwischen fest umrissenen Themen und subtiler Dynamik zeichnet auch “Growth Ring” aus, in dem Bläser- und Glockenspielklänge eine luftige, tänzerische Bewegung erzeugen, die vielleicht an Botticellis Primavera und in jedem Fall an die zyklische Lebendigkeit der Natur erinnert.

Einen emotionalen Höhepunkt bildet das schon zuvor veröffentlichte “Blown Leaves”, das mit seiner melancholischen Saenghwang-Melodie und den schimmernden Elektronikelementen den Herbst zu evozieren scheint. Dieses Stück wirkt besonders berührend, mit einem stetigen Aufbau, der langsam Spannung erzeugt und dabei Erinnerungen an Kostbares und die unumstößliche Vergänglichkeit thematisiert. Die nachfolgenden Stücke vertiefen das zentrale Konzept des Albums. “Breathe Again” strahlt die Leichtigkeit eines natürlich fließenden Atems aus und spielt mit gleitenden, zügigen Rhythmen, während “Eternal Path” eine tiefere, kontemplative Stimmung entfaltet und sich zwischendrin immer einmal neu ausrichtet – so wie der immerwährende Pfad, mit dem wahrscheinlich einmal mehr das Leben gemeint ist. Hier wirken unter anderem Atemgeräusche und die Stimme der Künstlerin, welche die Musik auf eine persönliche Ebene heben. Im finalen “Water Moon” findet das Album einen würdigen Abschluss. Tiefere und die für das Album generell charakteristischeren hohen Töne verbinden sich zu einer klanglichen Bewegung, die sich in einen intensiven Höhepunkt steigert. Die Komposition vermittelt ein Gefühl von Erfüllung und gleichzeitig von Offenheit – eine Brücke, die den thematischen Kreis des Albums schließt.

“All Living Things” ist ein stark kontemplativ ausgerichtetes Werk, auf dem es Park Jiha gelingt, mit klaren, sorgfältig geschichteten Klängen eine emotionale Tiefe zu erzeugen, die ohne große Brüche oder Effekte auskommt. Stattdessen lädt das Album dazu ein, die feinen Nuancen und Verbindungen der Musik zu entdecken. Ihre Kompositionen sind durchdrungen von einer zarten Aufmerksamkeit, die anregt, sich auf die Schönheit und das Mysterium des Lebens einzulassen. (U.S.)

Label: Glitterbeat