Spätestens seit der Musique Concrète taucht der Name Luigi Russolo in jeder Generation der Geräuschmusik auf, der Komponist, Maler und Verfasser von Manifesten wird als Insprationsquelle gefeiert und hat, durchaus im Widerspruch zum futuristischen Geschichtsverständnis, längst seine eigene Folklore bekommen. Ob es seine Techniken in der Kombination heterogener Geräusche und Instrumentalklänge ist, sein Bruch mit Traditionen oder seine originellen Instrumente wie dem Russolophon oder Rumorarmonio, einem Geräuschharmonium, nach dem Novy Svet damals ihr erses Album benannten – man verehrt seine Radikalität und gibt sich dem Reiz der Ambivalenz hin, die in einem Gestus des radikal Neuen steckt, welches heute selbst “Vintage” anmutet.
Industrial und Post Industrial in einem Sinne, der nicht nur dem dystopischen Überbau, sondern auch der industriellen Klangästhetik verbunden ist, weist diese Eigenschaft fast immer auf, und als versteckter Subtext findet sie sich auch in der vorliegenden Hommage aus zwei ausladenden Soundimprovisationen, die 2004 erstmals auf einer Split-CDr veröffentlicht wurde. Anders als auf der ebenfalls vor kurzem wiederveröffentlichten “Collaboration 1″ sind die beiden Tracks hier ohne Zusammenarbeit der beiden Musiker Rafal Sadej (Moan) und Tomasz Twardawa (Genetic Transmission) entstanden, der Moan-Track “Men at Work” war ursprünglich Teil einer Installation im Rahmen der Ausstellung “People at Work”. Dennoch gibt es zahlreiche Verbindungen zwischen den Stücken.
Moans “Men at Work (Ludzie Przy Pracy)” beginnt mit einem weithin hörbaren Donnerknall und zieht einen unmittelbar in ein dunkel ausgeleuchtetes industrielles Setting, das mit seinen geheimnisvollen Schleifgeräuschen und seinen Metallobjekten, die anscheinend über einen unebenen Boden gezogen werden, ein bisschen an die Tape-Arbeiten von Xenakis erinnert. Von Schaben über Behauen, Rasseln, Streichen und Kratzen lassen die Metallteile einiges über sich ergehen, irgendwann verdichten sich die Sounds, und ein ritueller Unterton ist kaum zu überhören. Leicht kann man sich in dieser für allerlei Interpretationen offenen Bewegung, die als Teil einer Multimedia-Arbeit nicht allzu viel Information preisgibt, verlieren, bis man durch helle, herausstechende Sounds aus dem Traum gerissen wird. Laut Moan ist der Track für eine endlose Wiederholung konzipiert, und es wäre vom Effekt her interessant, dieser Idee auch losgelöst von der Installation für ein paar Stunden nachzukommen.
Genetic Transmission beginnt diesmal wie dunkler, hintergründiger Ambient, auf dessen Fläche subtil Infernalisches anklingt: Radiosamples, metallisch polternde Geräusche in einiger Entfernung und etwas, das an monströse Stimmen erinnert. Der Track wurde wohl schon in den 90ern aufgenommen, aber nach dem Verlust der Mastertapes neu rekonstruiert und nun für die Wiederveröffentlichung remastert. Im Verlauf erweist sich der Beitrag als etwas dumpfer und schemenhafter als der des Kollegen, Sounddetails erscheinen weniger exponiert, und wenn sich die Intensität steigert, werden die metallischen Sounds steckenweise so heftig, dass sich alles im Rauschen auflöst – für Momente, denn der rotierende Sound steht noch lange nicht still, verrückte, dadaistiche Soundideen und zerschliffener Rhythm Noise und andere Episoden wechseln sich ab.
Trotz individueller Handschriften passen die Tracks gut zusammen. Dem großen Idol versuchen die Künstler hier nicht durch ein allzu deutliches Anknüpfen an den Klang der bekannten Dokumente zu huldigen, sondern stellen ihren typischen Stil eher vage in die Tradition des großen Anti-Traditionalisten. (U.S.)
Label: Zoharum