GIANT CROW: In The Cut

Würden wir in unserer Redaktion einen Preis verleihen für die bestgeeignete Platte für den gerade anbrechenden Herbst, dann wäre die Entscheidung keine leichte Aufgabe, sind wir doch nicht gerade für unsere große Vorliebe für fröhliche Sommerhits bekannt. Ganz oben in die engere Auswahl käme in jedem Fall “In The Cut” der Hamburger Combo Giant Crow – ein furioses Debüt zwischen düstermelancholischem Country Noir und dramatischen Rockelementen, wobei man “Debüt” auch in Anführungsstriche setzen könnte, denn die Band ging quasi nahtlos aus einem anderen Bandprojekt namens Raindance Kid hervor, das schon seit Jahren in ähnlichen, insgesamt aber etwas akustischer orientierten Gefilden aktiv war. Dazu gab es vor kurzem schon ein kleines Lebenszeichen aus dem Studio, nämlich die gelungene Interpretation von Roky Ericksons “When You Have Ghosts” auf dieser Compilation.

“In The Cut” bzw. dessen Opener “Hands” beginnt mit dem Pathos eines Films, den man sich auf einer großen Leinwand anschauen sollte. Zu zischenden Becken und einem angeregt aufgeweckten Banjospiel malt die vulnerable Stimme von Sänger Nikolas schwermütige und manchmal auch etwas beängstigende Bilder in einen blutrot gefärbten Himmel, erzählt in der Ichform die traumhafte anmutende Geschichte einer Person, die in steter Beobachtung eine diffuse Gefahr bemerkt, die Zweifel auslöst und einen fatalen Niedergang in Aussicht stellt. Bald allerdings, wenn knarrige Saiten und dreschende Drums einsetzen, findet man sich wieder inmitten eines Durchbruchs: Zwar bleibt das Schwermütige erhalten, doch es geht merklich voran, und wenn man das immer schöne Klingeln des Banjos wieder bemerkt, der der Schwere einen fast heiteren oder zumindest gelösten Counterpart zur Seite stellt, wird klar, dass selbst in diesem apokalyptischen Szenario in der Schönheit auch ein kleiner Hoffnungsfunke durchschimmert.

Man bemerkt schnell, dass “In The Cut” eine Platte ist, bei der jedes Stück fast wie ein kleines Werk für sich gelten könnte. Bei der schwindelerregenden Fahrt über ein weites, von apokalyptischen Winden durchwehtes Land, die in “City Lights” unternommen wird, sollte der sehnsuchtsvolle Zug und der fragende Gestus erwähnt werden, die sich beide vom ambienten Auftakt an durch den ganzen Song mit seinen kernigen Gitarren und den fast bimmelnden Banjotupfern ziehen, während eine brüchige Stimme die Geschichte einer am Horizont leuchtenden Fata Morgana erzählt. Bei “Somber Days”, das mit seiner handdrumartigen Percussion und einem fast beiläufig klingenden Fingerspiel auf leichten Saiten einen fast folkig Auftakt nimmt, kann man nicht umhin, den atemlosen, vom Glaubensverlust (oder zumindest dem Verlust eines naiven Glaubens) kündenden Gesang hervorzuheben, dessen Erschöpftheit von einer berührenden Violine Trost erhält, bis etwas mehr Bewegung ins Spiel kommt und ein Tanz mit den Tränen beginnt.

In “All About Her”, einem grandiosen Song über die Sehnsucht und die Liebe, in dem die erdenden Cellostriche zu hören sind, kommt ein Merkmal besonders zur Geltung, das im Grunde in allen der acht Stücke am Wirken ist, nämlich ein ganz gekonntes Spiel mit Erwartungen, mit richtigen und falschen Fährten, und dabei auch mit der entsprechenden Spannung. Immer wieder denkt man, die Musik würde vom Tempo her lospreschen, was dann aber vielleicht in einem ganz anderen, unerwarteten Moment passiert. In all dem, aber auch in der jaulenden Klage des Gesangs erkennt man auch eine sicher schon von anderen Journalisten breitgetretene Nähe zu Klassikern des sogenannten Denver Sound, einer mit den Denver Gentleman und Sixteen Horsepower vor einigen Jahrzehnten fast wie aus dem Nichts entstandenen Musikszene am Fuße der Rocky Mountains, die düsteren, alttestamentarisch eingefärbten Fatalismus, eine an Post Punk und Gothic erinnernde Subkulturalität und jede Menge Einflüsse von Country, Folk, Bluegrass, Polka etc. zu immer wieder neuen interessanten Mixturen verschmelzen ließ. Bei Giant Crow denkt man immer mal an Klassiker wie 16 Horsepowers “Sackcloth ‘n’ Ashes”, die folkigeren Woven Hand-Alben wie “Mosaic” oder das legendäre Album von Munly and the Lee Lewis Harlots, wobei Nikolas hier niemals den kindlich-schrägen Sarkasmus Munlys zu bemühen versucht, der einem wahrscheinlich angeboren sein muss.

Dass Giant Crow ihr Pulver nicht bereits auf der ersten LP-Seite verschossen haben, ist in jedem der vier verbleibenden Songs spürbar. “055A”, das einmal mehr wie ein epischer Filmauftakt startet, lässt einen mit den tänzelnden Drums, dem eingängigen Gesang und der schwarzen Galle lange im Unklaren, ob es dynamisch sein oder eher vorsichtig tastend bleiben will. Der bildreiche Text, der unter anderem von einem schmerzlosen, aber müden Gang über Flammen erzählt, wirkt fast wie die mustergültige Beschreibung einer Depression – und doch scheinbar wieder an der Grenze zu einem Durchbruch, zumindest suggeriert das die mit der Zeit immer kraftvollere Bewegung. Das ergreifende Drama, das sich aus der brutalen Geschichte und der leichtfüßigen Musik in “An Outlaw’s Tale” ergibt, das fast ätherische, das das Vereintsein in der alles verbindenden Dunkelheit von “Apocalypse” begleitet, der kernig-staubige Auftakt des zu einem finalen Showdown passenden Titelstücks, das sich zum Ende noch einmal zu einer Hymne der Akzeptanz aufbaut – all dies fügt sich in eine unnachahmliche emotionale Mixtur, deren Facetten sich erst mit der Zeit und nach merhmaligem Hören erschließen.

Eine Konstante, die sich durch weite Teile des Albums zieht, und die vielleicht sogar besonders dann deutlich wird, wenn in wenigen Momenten ein explizites Du angesprochen oder in der Wir-Form gesungen wird, ist die Einsamkeit des lyrischen Ichs, das sich immer wieder als ein zwischen Klage und Abgeklärtheit schwankenden Wanderer, Beobachter, Suchender, vielleicht Flüchtender präsentiert. Wie sehr auch immer das Leben diese geschichten geschrieben hat, bleibt zu hoffen, dass die Suche und die Reise durch ähnlich spannende Regionen weiter geht. (U.S.)

Label: Cosirecords