VIOLET NOX: Hesperia

Die in Boston ansässige Combo Violet Nox scheinen nicht zu den untätig wartenden zu gehören, denn nicht einmal ein Jahr nach dem Longplayer “Vortex & Voices” und kurz nach dem grandiosen Cover von Roky Ericksons “Stand for the Fire Demon” meldet sie sich mit dem Album “Hesperia” zurück. Mit dem entführen sie auf eine Reise zu den Hesperiden, die sich als hypnotisches Klanguniversum zwischen poppiger Elektronik und psychedelisch-trancehafter Entrücktheit erweisen. Mit einer ganz eigenwillig umgesetzten Mixtur aus Synthies, dezenten Beats und mystischen Vocals schafft das Trio – bestehend aus Dez DeCarlo, Andrew Abrahamson und Sängerin Noell Dorsey – eine klangliche Welt, aus der man, so unverhofft man auch hineingezogen wurde, gar nicht mehr zurück will.

Der Albumtitel, eine Anspielung auf die westliche Abenddämmerung in den griechischen Mythen, setzt den Ton für diese halb traumartige, halb rauschhafte Reise ins Dämmerlicht – eine Zwischenwelt, in der die unterschiedlichsten Wirklichkeitsebenen verschwimmen. Bereits der Opener “Aruna”, benannt nach dem altverdischen Sonnengott, etabliert die spacige, fast meditative Atmosphäre. Dunkle Synthie-Tupfer und sanfte elektronische Takte entfalten sich langsam und ziehen einen unweigerlich in eine kosmische Traumsequenz. Noell Dorseys im Wind wehende und doch klare Vocals verstärken diesen tranceartigen Sog und verleihen dem Stück eine unbeschwerte Leichtigkeit, trotz des nokturnalen Feelings, das sich von der ersten bis zur letzten Note durch den Song zieht.

Der Titeltrack hingegen beschleunigt das Tempo und wechselt zwischen melancholischen Molltönen und beschwingten Synthie-Melodien. Hier zeigt die Band ihre Kunst, harmonische Klangmuster zu brechen und doch eine innere Kohärenz aufrechtzuerhalten. Die hier noch tiefgründiger wirkende Stimme der Sängerin verschmilzt in manchen Momenten anscheinend mit den flirrenden Synthies, in den Texten wird eine Reise in die Vergangenheit und eine Suche nach verloren geglaubter Einheit angedeutet – “We will find” heißt es irgendwann, und die Bewegung verstärkt sich gegen Ende, das Ziel scheint in greifbarer Nähe. Mit „Umbrae“ wird die Stimmung rauer, perkussiver, auch ist eine dezente Abstrahiertheit spürbar. Die abgehackten Beats, das rituelle Rasseln und Scheppern und die dezent dublastige Räumlichkeit schaffen ein aufwühlendes, fast fiebriges Setting, das dennoch durch die repetitiven Strukturen und die schwebenden Vocals hypnotisch bleibt.

Weitaus dunkler, rumorender, grummeliger wirkt die Atmosphäre des vermutlich instrumentalen Stücks “Zero Point”, bei dem die drei besonders deutlich ihrer Experimentierfreude Raum geben: Synthie-Sounds wechseln sich in einer Art Call abd Response-Dialog ab, die sich partiell fast wie verzerrte Vocals anhören (deshalb vermutlich instrumental, aber vielleicht ist dieses anthropomorphe Element hier auch schlicht eine Fata Morgana). Geht erst einmal das Hauptthema des Stücks los, verstärkt sich der Eindruck, dass “Hesperia” ein Album aus einem Guss ist, bei dem sich alles keinesfalls nahtlos, aber in seiner Brüchigkeit umso überzeugender ins größere Gesamtbild fügt. Das cinematische “OneSixty” startet mit einem entspannten ambienten Auftakt, lässt einen im Raum gleiten, bekräftigt von sanft gehauchten Vokalparts, doch nach einem nonchalanten Bruch kommen nervenzerrende Synthie-Riffs hinzu, die, wie man rückwirkend feststellen kann, durch perkussives Hantieren bereits angedeutet wurden. Trotz der aufgewühlten Momente bleibt der sanfte Gesang und die geerdeten Flächensounds stets präsent und verankern das Stück, das schließlich in blendendem Licht auflöst – eine seltene Ausnahme auf diesem ansonsten eher abgedunkelten Album.

Der letzte Track “Stranger” bildet mit seinen zwitschernden Synthies und dem pulsierenden Technobeat den Abschluss der Reise. Es ist ein Moment des Aufwachens, in dem Unruhe und Enthusiasmus gleichermaßen mitschwingen – ein kraftvolles Finale, die – ohne zu viel interpretieren zu wollen – das wie die Ankunft an einem Ziel markieren könnte, und was könnte ein solches Album, bei dem man mit wilden Hashtags wie kosmisch, spirituell, scifi, entrückt, changierend, filmisch, tripping, nocturnal, mythisch etc pp. nur so um sich schmeißen könnte, besser zum Schluss bringen, als solch eine hoffnungsfroh stimmende Ambiguität? (U.S.)

Label: Somewherecold