Die meisten Noisefreunde kennen Kakawaka v.a. als Liveact. Unter dem Namen, der nur zufällig an das kanadische Ureinwohnervolk der Kwakwaka’wakw erinnert, bereichert Christoph Petermann seit einigen Jahren ausgewählte Musikveranstaltungen mit etwas, das in der Experimentalszene längst selten geworden ist: Eine Mischung aus Performance und Lärm, die in ihrer radikal primitivistischen Einfachheit keineswegs wie Pendant XYZ klingt. Kakawaka ist große Comedy, auf eine Art, die sich schon lange totgelaufen hätte, würde das Konzept mit einer distinktionsbemühten „Art School“-Attitüde daherkommen, bei der sich selbst der Humor noch zu ernst nimmt. Kakawaka macht einen Rhythm Noise, dessen Klangquellen ebenso Slapstick sind wie die clownesken Verkleidungen des grillgabelschwingenden Protagonisten. All dies geht einher mit bodenständigem Understatement.
Ich kenne die frühen Kakawaka-Tapes nicht, sein aktueller 2 Track-Release jedenfalls hat mit all dem erst einmal wenig zu tun und scheint eher eine Kehrseite des Projektes zu offenbaren. Klar weckt der Titel mit dem verunglückten Paarreim und das Cover, das mich spontan an einen alten Derrick-Vorspann erinnert hat, gewisse „Trash“-Assoziationen, und ich musste auch beim Wandersmann zuerst an einen hausbackenen Gevatter mit Gamsbart und Kniebundhosen denken. Die beiden Tracktitel verraten, dass unser singender Beatnik in Wanderschuhen bestens immunisiert ist gegen den Schmerz, den er überall wahrnimmt, und der ihm offenbar eher Abscheu als Empathie entlockt. Auch die (vermutlich eigene) Schuld kann ihn nicht aus der Ruhe bringen, dank der Musik. Ob all dies am Ende noch ein Bekenntnis ist, ob es gefeiert, gescholten oder persifliert wird, bleibt offen, und die Musik vermag ohnehin ganz eigene Bilder zu evozieren.
Die weitgehende Abwesenheit des fidelen Bummlers und seines Liedes ist eines ihrer Hauptmerkmale: „Überall nur widerlicher Schmerz“ wandert von rückwärts abgespielten Dronesounds über schrille Hochtönereien bis hin zu enervierenden Wiederholungsfiguren, die den Schmerz assoziativ nachempfinden, bis der Hörer abrupt in ein seltsam bewusstloses Rauschen getaucht wird. Stillstand ist angesagt, für Momente, doch kleinteilige Soundpartikel, die wie Späne durch den Raum fliegen und auch in einem Anemone Tube-Stück vorkommen könnten, reißen einen aus der Lethargie, bevor man von einer sanften (weiblichen?) Stimme, die dem fröhlichen Lied noch am nächsten kommt, den verdienten Balsam verabreicht bekommt.
Der Titel „Immer diese Schuld“ klingt eher leicht genervt und weniger wie die Überschrift eines moralphilosophischen Traktates. Ist es das Gewissen, dass unseren Waldgänger mit Schuldgefühlen zu piesacken versucht, weil er auf den allgegenwärtigen Schmerz nur mit beiläufigem Widerwillen reagiert, und fröhlich sein Lied weiter singt? Dazu würde die etwas spielerische Gestaltung des Klangmaterials passen – auch in den energischen Momenten, wenn der kollagierte Track metallenes Rasseln in den Vordergrund stellt, das peu a peu in handfeste Perkussion übergeht und sich gegen bohrende Dröhnung behauptet. Den infernalischen Höhepunkt bilden verwehte teutonische Waldhörner – Wolfgang Vogt lässt grüßen, und irgendwie hat auch der Wandersmann hier seinen Auftritt. Vielleicht sollte er sich seine Unerschütterlichkeit bewahren, das Schicksal der Flaneure in Thomas Bernhards Erzählung “Gehen” bleibt ihm so allemal erspart.
Beide Tracks bieten je zehn Minuten satte Klangkollagen, teils elektronischen Ursprungs, noch mehr aber als Resultat großangelegter Samplejagden, wobei der Vielfalt missbrauchbarer Haushaltsutensilien keine Grenzen gesetzt sind. Dies ist das verbindende Element zu den Shows, deren Hang zur Groteske und zu purem Lärm hier allerdings merklich zurückgeschraubt wurde. Hier geht es zum Stream, bzw. Download, wobei natürlich v.a. das Tape empfohlen sei, von dessen 100 Exemplaren sicher noch etwas übrig ist. (U.S.)
Label: C+H Productions