Wenn in einem Magazin mit subkulturellem Schwerpunkt die Musik eines Pastorensohnes empfohlen wird, dann denken die meisten wohl zuerst an einen rebellischen Geist. An jemanden, der die vielen religiösen Einflüsse, die er Jahr für Jahr in sich aufgenommen hat, in seinem Werk uminterpretiert, umwertet, vielleicht sogar offen attackiert. DAVID ÅHLÉN aus dem Stockholmer Vorort Bagarmossen ist der Sohn eines baptistischen Predigers, und er geht den anderen Weg. Vergleichbar mit DAVID EUGENE EDWARDS von SIXTEEN HORSEPOWER und WOVEN HAND knüpft Åhlén im Medium Musik an die Lehren an, die ihn von früh an begleitet und geprägt haben, und setzt in gewisser Weise das Werk seines väterlichen Mentors fort. Dennoch – die filigranen Songs und die intimen Texte Åhléns könnten von der fatalistischen Strenge seines amerikanischen Namensvetters, der seine Jugend in der Obhut eines als Wanderprediger tätigen Großvaters verbrachte, kaum weiter entfernt sein. Denn während Edwards in calvinistischer Tradition die verkommene Welt vor dem berechtigten Zorn eines rachsüchtigen Gottes warnt (beispielsweise auf „Consider The Birds“) und eine für Außenstehende masochistisch anmutende Gottesfurcht ins Werk setzt, ist Åhléns unprätentiöses Debütalbum „We Sprout In Thy Soil“ vielmehr eine verhaltene Feier religiöser Geborgenheit und Ausdruck einer hoffnungsvollen Sehnsucht nach Erlösung. Substrat seiner Songs sind die Evangelien des Neuen Testaments, ihr Thema und Adressat kein Geringerer als der Heiland selbst.
In einer knapp halbstündigen Sammlung von zehn Hymnen schickt sich der Sänger und Gitarrist an, den Namen seines Erlösers im Flüsterton zu preisen. Zu erklären, warum dies weit mehr ist als frommer Kitsch, ist fast eine kleine Herausforderung. Vielleicht sollte man dabei den dezenten und unprätentiösen Zug seiner Songs aufs Neue betonen. Der Opener „Spirit Fall“ ist gleich ein sehr typisches Stück: Die folkig gezupfte Akustikgitarre, die über weite Strecken das einzige Instrument bleiben wird, und ein jede Melodramatik vermeidender Falsettgesang beschwören eine nächtliche Stimmung, bei der man nicht immer weiß, ob sie denn nun heimelig oder vielleicht auch ein bisschen gespenstisch ist. Die atmosphärische Unbestimmtheit hat etwas von einer fiktiven abendlichen Szenerie: Ein kleines, aufgeräumt wirkendes schwedisches Provinznest mit einer kleinen weißen Holzkirche am Ortsrand samt Kirchhof und Lindenbaum, dazu ganz flüchtig ein paar wortkarge Passanten. Ansonsten keine Zeichen des Verfalls oder andere „störende“ Bildelemente, nur eine vage definierbare und flüchtig zu erhaschende Ernsthaftigkeit. Eine Szene, die kurz eingeblendet in einem frühen Bergmannfilm ebenso ihren Platz gehabt hätte wie in einem Wallanderkrimi, vorausgesetzt sie bliebe von nur wenigen Tönen umgeben. Die leise Melancholie, die über der Szene schwebt, driftet jedoch niemals ins winterlich Morbide, Pessimistische ab – dafür sorgt schon der warme Klang eines kurz hinzukommenden Cellos und Åhléns entspannter, unaufdringlicher Gesang. Die Stimme kippt an manchen Stellen ins Nasale – ich denke dabei sofort an einen etwas zurückgenommenen OTIS REDDING und nicht als erstes auch an ANTONY HEGARTY, und beinahe bin ich geneigt, denjenigen JOHNSONS-Fans, die von der neuerdings doch etwas zahm gewordenen Singer-Songwriter-Attitüde der Band enttäuscht sind, „We Sprout In Thy Soil“ ans Herz zu legen. Die Platte mag unspektakulär sein, in der selbstgenügsamen Überzeugtheit allerdings, die aus den Songs spricht, steckt auch etwas Unangepasstes, in seiner leisen Hingabe bei allem Wohlklang eine verhaltene Exzentrik.
Mit „Fountain of Light“ wechselt Åhlén von der Gitarre zum E-Bass, der dem Stück etwas Skelettartiges verleiht, da er ohne weitere Begleitung das Fundament für den Gesang bildet. Er konterkariert den tendenziell folkigen Klang der meisten Stücke sozusagen aus der Jazzecke, zusammen mit einem Xylophon und den Backing Vocals seiner Schwester Mirjam in „Altar“. Später ist dann auch kurz ein Kinderchor zu hören, und mit der Zeit fällt auf, dass die Stücke unter der Oberfläche viel opulenter sind, als es das minimale Klangbild verrät. Die unterschwellige Fülle passt dann auch sehr gut zu der bisweilen fast pantheistischen Feier des Lebendigen und Vegetativen, das sich in vielen der Texte wie auch im Albumtitel findet. Wenn es in „Arise“ bezogen auf „Sweet Jesus“ heißt „Come my Darling, my Pityful One“, dann erinnert das auch an Gedichte von Autoren wie JOHN DONNE und anderer der sogenannten Metaphysical Poets des 17. Jahrhunderts, die das Verhältnis zwischen Mensch und Gottheit oft in Bildern weltlicher, körperlicher Liebe ausdrückten – fast erscheint es mir an der Stelle beabsichtigt, dass „pityful“ beim ersten Hören so stark nach „beautiful“ klingt. In der Tradition der englischen Spätrenaissance scheint Åhlén ohnehin noch stärker zu stehen, denn viele der Stücke haben durch ihre repetitiv einlullenden Gitarrenakkorde und den hymnischen Gesang eine gewisse Ähnlichkeit mit den Lautenwerken von Komponisten wie JOHN DOWLAND. Wie um den Bezug zu dieser Epoche noch zu unterstreichen, findet sich kurz vor dem Ende sogar ein Stück mit Cembalo.
Ich will nicht ausschließen, dass einige ihre Schwierigkeiten haben werden mit der regressiv anmutenden Sehnsucht nach Erlösung durch das mehrmals angesprochene reinigende Wasser des christlichen Heils. Aber ich bin auch ganz guter Hoffnung, dass selbst unter harten Atheisten und Agnostikern einige dem Zauber dieser Kompositionen erliegen werden. Vielleicht wird der eine oder andere ja sogar einen von Åhléns Auftritten besuchen. Nach ein paar Jahren Bühnenerfahrung mit seiner ehemaligen Indie-Rock-Band NAMUR und einem kleinen Gastauftritt bei THE CARDIGANS finden seine Konzerte nun, wen wundert’s, meist in Kirchen statt. Und wenn wir gerade bei großen Namen sind: Produziert wurde das Album mit tatkräftiger Unterstützung aus dem Umfeld der Elektronikspezialisten von THE KNIFE und FEVER RAY, was für eins solides, aber auch nicht zu klangverliebtes Gesamtbild spricht. Das Ergebnis erscheint im von Hand designten Booklet beim schwedischen COMPUNCTIO-Label und könnte sich ebenso gut im Katalog von RUNE GRAMMOFON wie auch unter den Acts von IMPORTANT RECORDS sehen lassen. Ein Tipp für alle Freunde meditativer akustischer Klänge. (U.S.)