SARAH JUNE – Interview

Gerade hat Sarah June auf Timothy Renners Label Hand/Eye ihr Debüt veröffentlicht, auf dem die jetzt in San Francisco lebende gebürtige Detroiterin dezent melancholische Songs mit einer im wahrsten Sinne des Wortes mädchen- (oder märchen-?)haften Stimme singt und sich meistens lediglich auf der Gitarre begleitet. Das in Eigenregie aufgenommene “This Is My Letter To The World” wirkt wie ein Album für einen Herbst, der von seltsamen Gestalten heimgesucht wird.

? Dein Debüt heißt “This Is My Letter To The World”. Denkst du, dass der Titel auf autobiographische Elemente hinweist und was ist deine Einstellung zur Beziehung zwischen Autor und Sprecher in Liedern bzw. Gedichten?

Ich habe mein Album “This Is My Letter To The World” nach einem Titel eines Gedichts von Emily Dickinson benannt, da so viel meines Albums an Literaten anspielt, die ich bewundere (insbesondere “Emmeline”, das von Emily Dickinson handelt) und auch – ja – um auf einen autobiographischen Faden, der das Album durchzieht, hinzuweisen. Ich weiß nicht, ob ich eine allgemeine Aussage über die Autor/Sprecher-Rolle in Songs und Dichtung treffen kann, weil es für jeden Künstler so verschieden ist. Ich denke aber dennoch, dass das meiste Artwork etwas autobiographisch ist. Meine Lieder sind Glashäuser, die ich erbaut habe und in denen ich lebe. Man kann mich in ihrem Innern sehen.

? Du sagst selbst, dass du eine “Mädchenstimme” hast. Gibt es in deiner Arbeit eine fortwährende kreative Spannung zwischen Unschuld und Erfahrung?

Ich habe früher versucht, meine Stimme etwas “aufzurauen” und auf eine Weise zu singen, die kantiger oder härter ist, weil ich Angst davor hatte, dass meine sehr jung klingende Stimme mich verletzlich erscheinen lässt. Aber jetzt bin ich erwachsen (ich bin 25) and ich fühle mich ganz wohl so wie ich bin und wie ich klinge. Ich akzeptiere die Verletzlichkeit und auch den etwas unheimlichen Klang einer Mädchenstimme, die verzweifelte Liebeslieder singt. Meine Lieder sind autobiographischer geworden, seit ich nicht mehr versuche meine Stimme zu verändern und zugelassen habe, einfach natürlich zu singen.

? Texte scheinen für dich wichtig zu sein, da du eine Reihe von Autoren nennst, die dich beeinflusst haben. Denkst du, dass Texte und Musik ähnlich wichtig für dich sind und meinst du, dass der Einfluss eines Buches ähnlich ist, wie der von Musik?

Das Interessante daran ist, dass die Texte der absolut letzte Teil meines Schaffensprozesses sind. Ich beginne immer zuerst mit der Melodie und der Stimmung und der letzte Teil ist dann der, dass ich Wörter auf den abstrakten Hintergrund des Songs draufsetze. Ja, Texte sind sehr wichtig – ich würde gerne denken, dass der Hörer meine Texte ganz allein ohne die Musik lesen kann und sie für Gedichte hält, die für sich stehen können. Ich merke, dass mir Texte, die mehr sagen als sie zeigen, nicht gefallen. Ich impliziere Dinge lieber als dass ich sie explizit nenne. Ich versuche das mit meinen Texten zu machen. Ich überlasse die Interpretation dem Hörer. Wenn der Hörer nicht das hört, was ich beabsichtigt habe zu vermitteln, dann ist das für mich völlig in Ordnung. Die Schönheit der Kunst liegt darin, dass sie bei jedem, den sie berührt, etwas anderes ist.

? Du nennst Sylvia Plath als Einfluss und ich denke, die “Sylvia” in “My Red Shoes” spielt auf sie an. Was bedeutet dir ihre Lyrik?

Ich bin von Sylvia Plaths gequältem Verstand fasziniert, seit ich “The Bell Jar” auf der High School gelesen habe. Ein Zitat von ihr habe ich immer vergöttert: “Is there no way out of the mind?” Und natürlich lautet die Antwort: “Nein, es gibt keinen Weg.” Ich bin von dem Konzept des Solipsismus fasziniert (dass das Ich die einzige Realität ist). Ich baue meine Lieder auch um dieses Konzept herum auf. Sie sind kleine Gedanken-Schneekugeln, in denen ich gefangen bin. Mein Lied “My Red Shoes” war zum Teil an Sylvia gerichtet. Im Text bitte ich sie, neben mir auf das “gespiegelte Meer” hinzuzugehen. Sylvia hat einmal gesagt: “How frail the human heart must be – a mirrored pool of thought…” Ich habe den Begriff “mirrored” verwendet, um das Meer in meinem Lied zu beschreiben, damit lose an dieses Zitat anspielend.

? Ich nehme an, “The Illustrated Man” ist von Ray Bradburys Sammlung gleichen Titels (bzw. von dem Roman “Something Wicked This Way Comes”) beeinflusst worden. Welche Elemente seiner Arbeit schätzt du am meisten und welche Rolle spielen diese beiden Titel für das Lied?

Ich war total von “Something Wicked This Way Comes” [deutsch: “Das Böse schleicht auf leisen Sohlen”, die Macbeth-Allusion damit unter den Teppich kehrend] begeistert, deshalb ist dieses Lied eine Verbeugung vor einem Stück Literatur, das mich inspiriert hat. Ray Bradburys Bilder des seltsamen Zirkus’ in diesem Roman haben mich immer verfolgt. Auch hat mich “The illustrated man” (ein stark tätowierter Mann) als Zirkusfigur immer fasziniert. Ich selbst bin mit meiner Tattoosammlung auf dem besten Weg eine “illustrierte Frau” zu werden. Ich hoffe, dass meine Haut von Bildern und Worten bedeckt ist, die Punkte auf meiner Lebenslinie markieren, wenn ich alt bin. Meine Haut ist eine Leinwand.

? Es gibt einen deutsch gesungenen Song auf dem Album. Was bedeutet dir die “Jungfrau Maria”? Gab es ästhetische/religiöse Gründe dafür, ein Lied über die Jungfrau Maria zu schreiben?

Die Jungfrau Maria hat mich immer fasziniert, auch wenn ich selbst nicht religiös bin. Ich sammle sogar Abbilder der Jungfrau Maria und beabsichtige, ein heiliges Herz auf meine Brust tätowieren zu lassen. Mir hat die deutsche Bezeichnung für die Heilige Maria immer gefallen, da sie nicht so direkten Bezug auf die Jungfräulichkeit nimmt. Es meint eher “Junges Mädchen Maria”. Der Text mag manchen wie ein Sakrileg vorkommen, deswegen ist es vielleicht eine gute Idee ihn in einer anderen Sprache zu singen. Tatsächlich singe ich von der Jungfrau Maria als einer geschnitzten Statue hinter schmutzigem Glas. Ich denke, sie sehnt sich danach, nicht mehr länger die “Jungfrau” zu sein.  Im Text heißt es: “Hast du keinen Schatz? Bist du sehr einsam? Gib mir die Hand.”

? Die deutsche Sprache ist u.a. durch die Auslautverhärtung gekennzeichnet, das heißt, dass die Lenes bdg im Auslaut ptk gesprochen werden. War es für dich schwierig, die Ambivalenz zwischen diesem Phänomen und deiner Stimme zu bewältigen (weil wir davon ausgehen, dass du keine Muttersprachlerin bist)?

Ich bin in Deutschland geboren worden und ich spreche deutsch. Deswegen ist die Sprache seit ich sehr jung war, ein Teil von mir. Das Sprechen ist für mich ganz natürlich. Ich dachte mir, dass es nur normal wäre, ein Lied auf Deutsch für dieses Album zu schreiben.

? Deine Familie scheint für dich enorm wichtig zu sein. Deine Mutter hat das Artwork beigesteuert, du dankst deinem Vater für “Unterstützung und Enthusiasmus” und auch deinem Großvater. Was bedeutet dir deine Familie (falls die Frage jetzt nicht zu privat ist)?

Meine Familie bedeutet mir alles. Ich bin das Geisterschiff und sie sind der Anker, der mich davon abhält, wegzuschwimmen, auf dem Meer verloren zu gehen. Meine Mutter ist eine beeindruckende Künstlerin, wie man am Albumartwork erkennen kann. Ich hatte das Glück, dass ich ein Kind war, das von sehr jungen Jahren an von großartiger Kunst umgeben war. Meine Mutter malte immer, nahm mich mit ins Museum und ermunterte mich schon sehr früh Artwork zu kreieren. Mein Vater ist Deutschlehrer und hat mich immer inspiriert und ist ein unglaublich starker, unterstützender und liebender Vater gewesen. Mein Großvater war Musiker und meine erste Gitarre stammte von ihm. Ich danke ihm, dass er meine Liebe zur Musik angestoßen hat. Ich werde meiner Familie immer dafür dankbar sein, dass sie an mich geglaubt hat, als ich all die “verrückten” Sachen gemacht habe. Ich habe die Uni verlassen um Musikerin zu werden. Ich habe meinen Kopf rasiert, bin stark tätowiert und habe viele weiter “andere” Entscheidungen getroffen, aber meine Familie war immer liebevoll und hat mich unterstützt. Ich habe solch ein Glück, dass ich sie habe.

? Wir haben gelesen, dass du dein aktuelles Album in Eigenregie in deinem Apartment aufgenommen hast. Stellt dies für dich einen kompositorischen Idealzustand dar?

Ich bin sehr vorsichtig, von der ersten Idee an bis zum eigentlichen Aufnehmen. Ja, ich habe mein ganzes Album in meiner Wohnung aufgenommen (viele Lieder sind in einem kleinen Zimmer oder im Badezimmer aufgenommen worden, weil die Akustik in diesen Räumen besser war). Die meisten Tontechniker würden nicht wollen, dass ich so aufnehme, weil es schwieriger ist, die Songs in der Nachbearbeitung zusammenzufügen. Die meisten meiner Stücke sind auf einer Spur aufgenommen. Ich saß einfach mit meiner Gitarre vor einem Mikro und sang gleichzeitig. Gesang und Gitarre waren auf einer Spur. Das hatte mehr von einer “Live”-Aufnahme. Dann kümmerte ich mich um die nächsten Schichten für Harmonie etc. “The Illustrated Man”, “Jungfrau Maria”, “Radio Wave”, “I Can’t Help…”, “If You’ll Be Nice”, “Charlotte”, und “When Doves Cry” wurden alle auf einer Spur aufgenommen. Jedwede Harmionie oder Sonstiges wurden als zweites hinzugefügt, aber die Hauptgitarre und der Gesang wurden alle auf einer Spur in einem Versuch aufgenommen. Ich denke, ich bin eine Puristin.

? Warum hast du beschlossen den Namen Sarah June zu verwenden?

Na ja, mein Name ist Sarah und der Name meiner Großmutter ist “June”. Sie starb, als ich sehr jung war, aber sie war mir immer sehr nahe. Ich habe schöne Erinnerungen an sie und interessanterweise ist es so, dass ich ihr mit zunehmendem Alter immer mehr ähnle. Eines Tages hatte ich diesen Namen im Kopf und er blieb einfach hängen. Vielleicht ändere ich meinen Namen offiziell in Sarah June, da mich die meisten sowieso so nennen.

? Was ist mit der “Three-quarter view”-EP passiert, die du 2001 aufgenmommen hast? Gibt es Pläne für eine Wiederveröffentlichung?

Ich habe darüber nachgedacht, sie wiederzuveröffenlichen. Das Lied “If You’ll be nice” auf “This Is My Letter To The World” stammt aus dieser “Ära”. Die Aufnahmen für “Three-Quarter View” sind zum größten Teil auf Kassette gemacht worden und die Qualität der Aufnahmen ist wegen der mangelnden Aufnahmegeräte wirklich furchtbar. Ich habe aber immer noch die ganzen Lieder und ich beabsichtige eine Art von “Teen years”-compilation zu machen. Die EP war selbstgemacht. Ich habe immer noch Exemplare – irgendwo.

? Kürzlich habe ich ein paar Tage in San Francisco verbracht. Beeinflusst diese doch sehr vitale Stadt deine Arbeit?

San Francisco ist voller Kunst und Inspiration, aber die meiste Inspiration ziehe ich aus meiner Heimatstadt: Detroit. Ich bin ziemlich von diesem öden städtischen Zerfall inspiriert, von diesen zerfallenden alten Häusern und diesem Art von Geisterstadt-Gefühl, das Detroit in einem auslöst. San Francisco ist allerdings ein toller Ort um Künstler zu sein. Es ist der offenste Ort, an dem ich je gelebt habe.

? Wie bist du mit Hand/Eye bzw. Dark Holler in Kontakt gekommen. Hast du sie kontaktiert oder war es umgekehrt?

Sie sind an mich herangetreten. Ich bin so glücklich darüber, dass sie mich gefunden und an meine Musik geglaubt haben. Es ist toll gewesen, mit ihnen zusammenzuarbeiten und ich würde gerne ein weiteres Album auf Hand/Eye veröffentlichen.

? Fühlst du dich einigen der Künstler auf dem Label verbunden?

Absolut. Timothy Renners (Folk-)Musik ist sehr inspirierend. Timothy macht eigentlich das Label. Andere Künstler auf dem Label, die mir spontan einfallen, sind STONE BREATH und Jessica Constable. Hand/Eye und Dark Holler wählen sehr interessante und talentierte Künstler aus.

? Auf deiner Myspace-Seite erwähnst du MAZZY STAR und CRANES. In unseren Ohren gibt es zwischen deren Musik und deinen Veröffentlichungen einige Parallelen. Da sind der bereits angesprochene fragile Gesang, der scheinbar bewusste Verzicht auf übersteuerte Instrumentierung und die sparsam eingesetzten Rhythmuselemente. Findest dich als Musikerin in dieser Beschreibung wieder?

Ich hätte es selbst nicht besser ausdrücken können. Das Fragile in den Werken von MAZZY STAR und CRANES ähnelt meinem Klang. Meine Stimme wird oft mit Alison Shaw (Sängerin der CRANES) und Hope Sandoval (Sängerin von MAZZY STAR) verglichen. Ich fühle mich durch solche Vergleiche sehr geehrt.

? Du hast erwähnst, dass “Con Corazon” von NOVY SVET eines deiner Lieblingslieder ist. Wie bist du auf dieses Projekt gestoßen?

Zwei meiner Freunde haben mich auf Nový Svet gebracht. Ich denke, dass sie brillant und unglaublich kreativ sind.

? Denkst du, dass du ein “geisterhaftes Mädchen” bist (um das wunderschöne “Radio Wave” zu zitieren)?

Jeder fragt mich das, aber es ist eine Frage, die danach schreit, gefragt zu werden. Ja, in “Radio Wave” spreche ich sehr viel von mir selbst. Ich glaube, wenn ich sage: “I am a ghostly girl” spreche ich davon, dass ich mich oft unsichtbar fühle. Ich neige dazu, mich unter Sonnenschirmen oder Riesenhüten und Sonnenbrillen zu verstecken. Ich habe die Tendenz dazu, sehr zurückgezogen und still zu sein. “Radio Wave” wurde geschrieben, nachdem mein Herz ganz fürchterlich gebrochen worden war und ich mich sehr unsichtbar und vergessen fühlte.

-M.G. & D.L. & S.L.-

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