SPIRES THAT IN THE SUNSET RISE – Interview

“The Weird Sisters hand in hand,/Posters of the sea and land,/Thus do go about, about:/Thrice to thine, and thrice to mine,/And thrice again, to make up nine/Peace! – the charm’s wound up.” (William Shakespeare: Macbeth, Akt 1, Szene 3)

Auch der Interviewer kann es sich nicht verkneifen, mit dem obigen Zitat auf das manchmal Mysteriöse und Unheimliche, das der Musik von SPIRES THAT IN THE SUNSET RISE anhaftet, anzuspielen: Aufnahmen, die irgendwo in einer Kammer zwischen Phiolen mit Datura- und Tollkirscheextrakten gemacht worden zu sein scheinen.

Um (etwas) vom rein Assoziativen wegzukommen, sollte erwähnt werden, dass die inzwischen wieder auf drei Frauen geschrumpfte Band mit ihren bisher vier Alben bewiesen hat, wie Weird Folk, in dem die Betonung auf dem ersten Bestandteil des Gattungsbegriffs liegt, klingen kann, dass Musik abseits allzu aus- und breitgetretener (Wald-) Pfade möglich ist, dass es Musik gibt, die inspiriert und inspirierend zugleich ist. Im Folgenden beantwortete Kathleen Baird meine Frage zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einer Band, die mit “Curse The Traced Bird” eines der originellsten Alben des Jahres 2008 veröffentlicht hat.

Könnt ihr uns einen kurzen Überblick über die Anfänge der Band geben?

Nach verschiedenen Zusammensetzungen in den vorangegangenen Jahren begann die Band im Jahr 2000 in Chicago mit Taralie und Georgia. Ich kam im Winder 2001 dazu. Tracy zog einige Jahre später nach Chicago und machte für die nächsten zwei Alben mit. Wir sind alle in Decatur, Illinois aufgewachsen. Taralie und ich sind zusammen in der Orientierungslauf-Mannschaft gewesen. Georgia und Tracy waren zu ihrer Highschoolzeit beste Freundinnen. Wir haben also eine ziemlich lange gemeinsame Vergangenheit und ich denke, dass sich unsere persönlichen musikalischen Geschmäcker die Jahre über zu der etwas obskureren SPIRE-Ästhetik entwickelt haben. Einige Projekte namens SCUMKID, POLMOLIVE und VICKY’S BOX gingen den SPIRES voraus.

Wenn man über euch und eure Musik liest, neigen Rezensenten dazu, Begriffe wie “rituell”, “heidnisch” etc. zu gebrauchen. Könnt ihr nachvollziehen, warum Leute solche Zuschreibungen verwenden?

Es gibt so viele soziale, wirtschaftliche und politische Konnotationen, die an jedwede Definition von Hexen oder Hexerei geknüpft sind. Eine gängige Vorstellung ist die, dass Hexen eine Umkehr all dessen repräsentieren, was in einer bestimmten Gesellschaft als normales Verhalten betrachtet wird. Eine andere Vorstellung besagt, dass Hexen die schlimmsten Ängste eines Volkes über sich selbst und die Gesellschaft repräsentieren. Dieses Missverständnis oder diese Angst vor etwas nicht Vertrautem und potentiell Mächtigen kann extreme Ehrfurcht oder Gewalt hervorrufen – oder auch beides. Unsere Musik polarisiert – sie ist nicht leicht, einfach oder vertraut. Die Musik ist nicht anmutig, niedlich oder mädchenhaft sondern intensiv und manchmal beängstigend. John Cage hat einmal gesagt: “Es ist wenig sinnvoll Schlaflieder für die, die nicht schlafen können, zu schreiben.” Diese starke, einschüchternde, manchmal wunderschöne, manchmal hässliche weibliche Energie verursacht extreme Reaktionen. Das finde ich prima.

Selbst auf eurem letzten Album war ein Aufkleber, der eure Musik als “bewitching juju from the pre-eminent ladies of primordial mysticism” beschrieb. Fühlt ihr euch mit solch einer Definition wohl(er) (als mit anderen)?

Ha! Wir versuchen nur uns selbst auszudrücken – wenn die Leute kreativ sind und es juju nennen, ist das großartig.

Ich denke, ihr bringt dem Weird Folk das “Seltsame” zurück. Würdet ihr mir da zustimmen?

Ja. Ich denke, dass wir weniger offensichtlich sind als viele der anderen Folker da draußen. Heutzutage wird zum Teil wunderschöne Folkmusik gemacht – und ich glaube, viele sind glücklich, wenn sie althergebrachten Traditionen folgen und sie das sehr gut machen. Wir sind einfach nicht daran interessiert, der Tradition zu folgen und wären außerdem nicht sehr gut darin.

Auf einer Website (Chicagoreader), auf der ihr “Reader’s Choice” wart, waren einige nicht allzu begeistert (O-Ton: “Das tut ja in den Ohren weh”) und zogen traditionellen Folk vor. Erwartet ihr solche Reaktionen und/oder seid ihr an sie gewöhnt?

Ja, absolut. Ich dachte mir, dass es von Monica Kendrick sehr mutig war, für 2008 die SPIRES als beste Folk-, Country- oder Americanaband aus Chicago auszuwählen. Ich weiß aber ehrlich nicht, ob das für uns die richtige Kategorie ist. Aber es ist ein perfektes Beispiel dafür, wie verwirrend es sein kann, unsere Musik zu definieren und welche Polarisierung sie verursacht. Wenn wir uns hinsetzen würden, um Popmusik zu schreiben, dann wären solche Kommentare ganz schön hart. Aber nur für den Fall, dass sich jemand wundert: Wir versuchen nicht den perfekten Popsong zu schreiben.

Der Gitarrist James Blackshaw hat kürzlich euer viertes Album hochgelobt und meinte, er habe euch live spielen sehen und es toll gefunden. Wie sehr kümmert ihr euch um Lob (und/oder Tadel) von anderen?

Na ja, wir sind allzu menschlich und begeistertes Lob ist immer warm und ermutigend, besonders von Musikern, die wir respektieren, wie eben James Blackshaw. Es hilft uns dabei, zu glauben, dass unsere Musik jenseits unserer eigenen kleinen Welt der persönlichen Bedeutung Bestand haben kann. Das ist wichtig, wenn unsere Musik so häufig als hermetisch und seltsam wahrgenommen wird. Als Künstler ist es essentiell, ein System der Unterstützung zu haben. Ein Freund von mir hat einmal geschrieben: “Die größte Kunst ist nur eine schale Widerspiegelung dessen, das nicht widergespiegelt werden kann. Der Zauber der Kunst wäre wesentlich geringer ohne seine tragische Vergeblichkeit und dem Mut, der sich darin zeigt, dass man trotz alldem weiterkämpft.” Lob trägt immer dazu bei, diesen Mut zu befeuern.

Ich habe ein Interview gelesen, das ihr dem Splendidmagazin gegeben habt und es gab eine Reihe von Aussagen (ihr erwähntet, dass ihr anfangs eure Instrumente nicht (richtig) gestimmt habt, dass ihr euch nicht um Tonarten schert und dass einige eurer Songs aus der “Leere” kämen und dass ihr schon eine neurotische Abneigung gegen Schemata habt). Ist es eine Art Leitmotiv eurer Arbeit, Berechenbarkeit zu vermeiden (auch wenn das etwas wie ein Widerspruch ist)?

Ja, es gibt Widerstand gegen Vorhersehbarkeit. Wenn ein Schema fertig ist oder Regeln niedergeschrieben sind, verlieren wir schnell das Interesse. Wir können das berühmte Cage-Zitat (“Ich verstehe nicht, warum sich Menschen vor neuen Ideen fürchten. Ich fürchte mich vor den alten.”) unterschreiben. Im Geiste von Cage schätzen wir das Abenteuer und Unglück des Experimentierens sehr. Dennoch sind wir manchmal vom Vorgang des Songschreibens im Gegensatz zur totalen Improvisation fasziniert. In diesem Sinne haben wir also schon immer ein gewisses Maß an Vorhersehbarkeit beibehalten.

Hat die Art und Weise des Songschreibens sich über die Jahre verändert? Ich habe das Gefühl – wobei ich da falsch liegen kann – dass ihr (in einem sehr weiten Sinne) etwas klarer geworden seid.

Ja. Taralie und ich sind vor zwei Jahren nach Madison, Wisconsin gezogen. Deswegen haben Taralie und ich das Songschreiben übernommen und Georgia, die in Chicago geblieben ist, hat ihre Teile dann später hinzugefügt, nachdem die Grundstruktur schon da war. Auf vorangegangenen Alben waren wir alle am Songschreiben beteiligt, entweder als Vierer- oder Dreier- oder Zweiergruppe. Manchmal war es so, dass die Idee von einem von uns in die Gruppe hineingetragen wurde.

Das Eröffnungsstück “Black Earth” scheint sehr dunkel, sogar etwas bedrohlich zu sein, während der Abschlusstrack “Pouring Mind” etwas aufmunternder ist. War das beim Planen der Anordnung der Stücke beabsichtigt?

Wie bei bisher all unseren Alben ordnen wir die Songs sehr genau an, wobei ich sagen muss, dass ich nie daran gedacht habe, dass “Pouring Mind” aufmunternder als “Black Earth” ist. Die niedrigen Töne auf der Gitarre klingen für mich nach böser Vorahnung und Verhängnis. Das war also nicht die Absicht. Aber es gibt eine Verbindung zwischen dem verschwindenden Gesang am Ende von “Pouring Mind” und dem Anfangsgesang von “Black Earth”. Das ist uns aber erst später aufgefallen. Ich glaube, dass “Pouring Mind” ein geräumiger Abschluss ist. Es ist ein etwas meditativer, dennoch dunkler Abschluss einer sehr intensiven Musikerfahrung.

Auf euren letzten beiden Alben sind weniger Stücke als vorher. War das eine bewusste Entscheidung oder hat es sich einfach so ergeben?

Da wurden keine großen Gedanken dran verschwendet. “Four Winds The Walker” war deswegen ein langes Album, weil es über einen längeren Zeitraum entstanden ist und dadurch einfach mehr Songs da waren.

Die Texte sind zum Teil sehr hermetisch. Gibt es literarische Einflüsse?

Oh, zu viele, zu wenig Einflüsse…

Wenn man sich die Texte auf z.B. “This Is Fire” und “Four winds the walker” anschaut, dann gibt es da viele Wörter mit Bezug zur Natur (“wave”, “clouds”, “sun”, “storms” “crows”, “sea”, “sky” – um nur ein paar zu nennen). Ist dieser Bereich für euch wichtig?

Ja, diese Wörter haben für uns eine große Bedeutung. Wörter sind Symbole und das wird in Lyrik umso offensichtlicher. Ich denke, dass die Unmöglichkeit, den Song in einen festen Zeitrahmen zu passen ebenso wie die Anziehungskraft von Dingen abseits des Mainstreams uns dazu (ver)führen Bildlichkeit aus der Natur als Symbol zu verwenden.

Was könnt ihr mir über den Film “Hecate’s Moon” von Raymond Salvatore Harmon sagen?

Der wurde von Harmon und seiner Crew bei einem Auftritt im Schuba’s in Chicago im Herbst 2007 gefilmt. Harmon hatte ursprünglich die Absicht den MAJIK MARKERS-Auftritt (wir waren der Openingact) aufzunehmen und im letzten Moment entschied er sich dafür, uns auch noch zu filmen. Ich glaube, das Material unseres Auftritts war dynamischer als das der MAJIK MARKERS. Wir versuchen immer noch rauszukriegen wie und wann diese DVD veröffentlicht wird, aber hoffentlich gibt es innerhalb des nächsten Jahres eine offizielle Veröffentlichung.

Ein Freund von mir hat eure Musik mal als “erotisch” wahrgenommen. Könnt ihr so etwas nachvollziehen?

Das haben wir definitiv noch nicht in den USA gehört. Vielleicht ist das eine sehr deutsche Reaktion auf unsere Musik? Ich verstehe diese Beschreibung in dem Sinne, dass unsere Musik mysteriös ist und Momente einer wilden, erdigen Hingabe besitzt.

Spielt es eine Rolle, dass alle Mitglieder der Band weiblich sind oder ist es wichtiger, dass ihr euch schon alle lange kennt?

Es spielt eine Rolle und es spielt keine Rolle. Wir wollen kein Kult oder so etwas sein. Aber wir neigen dazu, der persönlichen Beziehung zwischen den einzelnen Mitgliedern einen höheren Stellenwert einzuräumen als ihrem Geschick oder ihren Fähigkeiten. Als Tracy die Band verließ um nach Buenos Aires zu gehen und Georgia sich dazu entschloss, sich auf die Schule zu konzentrieren, suchten Taralie und ich nicht nach Ersatz. Allerdings ist das ein Punkt, den wir vielleicht ändern werden und dann sind wir eher dazu bereit, nicht ganz so vertraute Personen mitmachen zu lassen, ob nun weiblich oder nicht.

Ihr nennt Bands wie COMUS oder THE INCREDIBLE STRING BAND als Einflüsse. Ich weiß, dass ihr vor einiger Zeit ein Konzert für ISB eröffnet habt. Denkt ihr, dass diese Bands einen ähnlichen Ansatz haben/hatten wie ihr?

Es fiele mir schwer, das zu beantworten. Ich habe keine Ahnung, wie diese Bands untereinander kommuniziert haben, was ihre Intention war. Von außen betrachtet, glaube ich schon, dass da klanglich allen eine Wildheit, Erdigkeit, Rauheit gemeinsam ist. Ich denke, dass wir alle kleine Teile gewisser Traditionen aufnehmen und sie dann in verschiedenem Maße verzerren. Ich halte COMUS’ “First Utterance” für ein absolutes Meisterwerk. Ich betrachte es immer als Riesenkompliment, wenn dieser Vergleich gezogen wird. Ich weiß nicht, ob wir das verdienen.

Manchmal können gewisse Formen von Folk reaktionär oder zumindest nur sentimental sein. Ihr habt mal gesagt, dass ihr zu “verstörend” seid, um in solch eine Kategorie zu passen. Gibt es Arten von Folk, die ihr verabscheut?

Nein, es gibt generell keine Art von Musik, die ich verabscheue. Ich lehne das ab. Ich denke, dass krampfhaft an einer bestimmten Meinung bezüglich Kunst oder was auch immer festzuhalten, einem Riesenvorurteil ähnelt, das einen davon abhält, irgendetwas direkt zu erfahren.

Habt ihr bewusst einen Namen gewählt, der es dem Hörer schwer macht, sich an ihn zu erinnern (oder ihn zu vergessen)?

Nein, nicht bewusst. Wir haben ebenfalls ein paar Wochen gebraucht, um ihn uns zu merken.

Nach all diesen Fragen kommt jetzt eine etwas sehr profane. Was ist mit eurer Webseite passiert?

Wir haben aufgegeben. Vielleicht kommt sie wieder.

Habt ihr den Eindruck, dass eure Musik davon beeinflusst worden ist, wo ihr herkommt?

Die Musik wird immer davon beeinflusst, wo man herkommt, wo man im Augenblick ist und sogar davon, wo man sich künftig sieht. Unsere Heimatstadt Decatur, Illinois war eine ziemliche Industriestadt, es gab viele Züge und Fabriken. Es gab da nicht viel Kultur, was Unterhaltung oder Kunst anbelangt. Wir mussten sozusagen unseren eigenen Spaß und unsere eigene Unterhaltung erfinden. Ich glaube, das Chicago mit seiner wilden, städtischen chaotischen Energie den größten Einfluss auf den Klang der SPIRES genommen hat. Wir drehten uns und wurden durch diesen tiefen, dunklen Klang etwas beruhigt; Taralie und ich leben jetzt in Madison, das eine Art von Ordnung und Ruhe ausstrahlt, die in Chicago fehlte. Wir sind näher an der Natur, näher an Bauern, näher an der Gesundheit, und das gibt unserer Musik neue Energie und Bedürfnisse. Ich sage eine totale Änderung unseres Klangs in der nahen Zukunft voraus.

- M.G. -

Diskografie:

2003 – “Spires That In The Sunset Rise” (LP) – Galactic Zoo Disk, Eclipse Records

2004 –  “Spires That In The Sunset Rise” (CD) – Graveface Records

2005 – “Four Winds The Walker” (CD) – Secret Eye (CD)

2006 – “This Is Fire” (CD) – Secret Eye (CD)

2008 – “Curse The Traced Bird” – Secret Eywe (CD)

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