HAUS ARAFNA: You

Etwa einmal im Jahr bekommt man – in Form dessen, was im angloamerikanischen Raum inzwischen „snail mail“ genannt wird – einen schön gestalteten Flyer mit Ankündigungen von meistens etwa zwei neuen Veröffentlichungen von Galakthorrö – immer bevor im WWW die ersten Informationen auftauchen. Dieser liebenwürdige Anachronismus ist in einer Zeit, in der alles, was nur zu digitalisieren ist, in MP3s, AVIs, PDFs etc. transformiert wird, dabei seiner Materialität beraubt und dadurch oftmals kastriert wird, fast schon ein Akt des notwendigen Widerstands.

Sieben Jahre nach dem letzten Album „Butterfly“ veröffentlicht die Hausband (man verzeihe mir das Wortspiel) Galakthorrös den Nachfolger – die Zeit zwischen den beiden Alben wurde durch Veröffentlichungen des Seitenprojekts November Növelet, einer Zusammenstellung der längst vergriffenen Singles Haus Arafnas sowie der Wiederveröffentlichung des zu horrenden Preisen gehandelten Debüts „Blut“ im neuen Artwork und mit drei Bonustracks überbrückt.

Wurden die ersten beiden Alben noch von historischen Fotos geziert, rückte „Butterfly“ den (nackten und gespiegelten) menschlichen Körper in den Vordergrund, etwas, das bei „You“ leicht verändert wiederkehrt (damit sicher auch die Verwandtschaft der beiden Alben illustrierend), wobei die nackte und kopflose Figur, die das Cover ziert, wahrscheinlich nicht ganz zufällig an das Symbol der von George Bataille gegründeten Gesellschaft Acéphale erinnert, schließlich ist der Pfad, den das deutsche Duo seit den frühen 90ern beschreitet, auch immer wieder vom Überschreiten gezeichnet – sei es musikalisch und/oder thematisch. Haus Arafna sind von Anfang an immer auf die Schattenseiten der menschlichen Natur fokussiert gewesen, ganz so, als wollten sie Büchners (von der Gesellschaft deformierten) Woyzeck zitieren, für den der Mensch ein Abgrund ist, in den zu blicken einen schwindeln lässt. Dieses Erschauern angesichts der Taten des Homo sapiens beinhaltet bei dem in Braunschweig ansässigen Duo aber auch immer Momente der Identifikation mit dem Verfemten oder zumindest Ambivalenzen, die aber nie zur bloßen Affirmation werden.

Im Gegensatz zu vielen anderen Vertretern des Genres, die ihren Lo-Fi-Sound und die oft nur zu erahnende Struktur ihrer Tracks zum Gestaltungsprinzip erheben und damit eventuell über die eigene Unfähigkeit zur Weiterentwicklung hinwegtäuschen wollen, haben Haus Arafna kontinuierlich an der Ausarbeitung ihrer (analogen) Klänge gearbeitet, wobei an die Ausdifferenzierung des Klangs, die auf der Single „Für Immer“ und dem Album „Butterfly“ deutlich wurde, konsequent angeknüpft wird: Man hört erneut die analogen Soundschleifen, die manchmal in Furcht erklingenden Stimmsamples (Angst Pop nennen die beiden die Musik und man sollte bei dem von SPK entlehnten Begriff nicht denken, dass der zweite Teil des Kompositums keine Rolle spielt, denn Haus Arafna können tatsächlich Songs schreiben), manchmal melancholische Synthieklänge (die etwas an das zweite Album von November Növelet erinnern), den teils distanzierten, dann wieder emotionalen Sprechgesang, aber ebenfalls – wenn auch in geringerem Maße als auf den Vorgängern – Momente eruptiver Gewalt. Das Album wird insgesamt von melodischeren, zurückhaltenderen Tracks dominiert (wobei besonders der Opener „Pain to love“ mit einer merkwürdig feminin klingenden Gesangsdarbietung überrascht). Es gibt so etwas wie Ohrwürmer wie etwa „You don’t believe me“, „Lucifer“ oder den Abschlusstrack „Independent“. Dabei stehen reflexive Augenblicke („Today you died“) neben harschen Tracks, bei denen die Vocals herausgebrüllt werden (erstmals beim brachialen Titelstück). Werden die meisten der Stücke durch Rhythmusspuren strukturiert (was sicher dazu geführt hat, dass Haus Arafna auch über Genregrenzen hinweg rezipiert werden), fällt die Abwesenheit davon bei „Fallen“ besonders auf, gibt dem Stück in Verbindung mit dem „Schreigesang“ (O-Ton Galakthorröflyer) eine besonders konfrontative Note. Bei „Alive through pain“ (mit der im Kontext des Stücks eigentlich beunruhigenden Aufforderung „Kiss kiss kiss“) steigert sich der Gesang zu einem hysterischen, stakkatohaften Befehlsgebrüll (und erinnert deswegen etwas an SPKs „Germanik“ oder „Berufsverbot“).

Standen in der Vergangenheit manchmal (im weitesten Sinne) politische Topoi im Vordergrund, scheint es auf „You“ stärker um das Zwischenmenschliche zu gehen, wobei die Konzentration auf den/die andere, auf die Beziehungsebene auch immer mit Schmerz enggeführt wird („when the pain turns to love”, „it’s all about suffering” sind zwei willkürlich herausgegriffene Zeilen), der aber durchaus nicht ausschließlich negativ besetzt sein muss („Trost der Wunde“ – wie es im Eingangstext im Booklet heißt) – und um das nachvollziehen zu können, muss man nicht unbedingt das Gesamtwerk von Bataille gelesen oder etwa verschiedenste „Schlagzeilen“ studiert haben. Wahrscheinlich sind Beziehungen sowieso die eigentlichen „war zones“ (TG), sind die Menschen immer nur partiell zu durchdringen, vielleicht deswegen auch die Masken, die die Gesichter der beiden im Booklet verbergen.

Zwischen „Butterfly“ und „You“ liegen zwar mehr Jahre als zwischen „Children of God“ und „Butterfly“, aber die Veränderungen sind nicht so stark, was sicher damit zu tun haben mag, dass Haus Arafna ihren Sound gefunden und (weiter) perfektioniert haben. „You“ ist eine stimmige Fortsetzung, die einem das Schwindeln über dem Abgrund durchaus genießen lässt (selbst dann, wenn man an Höhenangst leidet).

(M.G.)