JULIA KENT: Last Day In July

Über Julia Kent ließe sich mittlerweile schon ein kleines Buch schreiben, so viele Bands hat sie bereits mit ihrem Cello begleitet, sei es auf Tour oder bei Aufnahmen. Eine Aufzählung würde hier den Rahmen sprengen, exemplarisch seien nur RASPUTINA, LARSEN, ANTONY AND THE JOHNSONS und BACKWORLD genannt. Dabei versteht sie es immer, ihre Arbeit mit Bogen und Saiten auf die stilistischen Eigenarten der jeweiligen Künstler auszurichten, jede Egozentrik scheint ihr fremd zu sein. Als vor wenigen Jahren dann ihr Debüt „Delay“ erschien, war die Überraschung umso größer, denn die kreative Eigenständigkeit ihrer auf Loops und Klangschichten basierenden Musik lag auf der Hand.

Mit ihrem Album schuf die reisefreudige Kanadierin nicht nur ein kleines Standardwerk zeitgenössischer Minimalkompositionen. Sie zog auch ein biografisches Zwischenresümee: Mit meist geduldigen, hin und wieder jedoch auch schon mal hastigen Strichen spürte sie der Atmosphäre internationaler Flughäfen nach, der Melancholie und Monotonie des Wartens, bisweilen auch der Hektik des Eilens. Konzeptuelle Vergleiche geisterten natürlich gleich durch die Presse, allem voran Brian Enos „Music For Airports“. Wie dem auch sei, selten wurde der Stimmung eines Ortes in all seiner trostlosen Erhabenheit ein so passender musikalischer Ausdruck verliehen wie in den hämmernden Streicherrhytmen von „Tempelhof“, zu dem in arty Clubs sogar getanzt wird.

Julias neue EP „Last Day in July“, die rechtzeitig zu einer kleinen Tour fertiggestellt wurde, knüpft an die melancholische Stimmung und die harmonische Schlichtheit des Albums an. Ein prasselnder Regenschauer, der wohl eher zum Last Day als zum Hochsommermonat passt, eröffnet die kleine Sammlung, und hat in Erinnerung an die kurze sommerliche Hitzewelle noch rückwirkend etwas Erholsames. Aber der Regen ist gleichsam Auftakt zu einer getragenen Ornamentik voll schwermütiger Mollklänge, die Julia gleich darauf den tieferen Saiten ihres Instruments entlockt. „Ground“ steigert sich in seiner Intensität wie in seiner Vielschichtigkeit, beginnt zweistimmig, multipliziert sich jedoch in Verlauf, und wenn vor dem dröhnenden Ausklang eine weitere Melodieschicht hinzukommt, dann erreicht der Song eine Emotionalität, die die schönsten Passagen des „Delay“-Albums noch übertrifft. Interessant ist, dass eine gewisse Sprödigkeit auch in den emotionalsten Augenblicken erhalten bleibt, Julias Kompositionen wirken niemals so esoterisch-entrückt wie die ihrer Kollegin Hildur Gudnadottir, nie derart romantisch wie die wenigen bislang bekannten Stücke des ebenfalls vielverspechenden John Contreras.

Auch die restlichen Stücke sind von diesen zwei Scheinparadoxien geprägt – der Bewegung innerhalb repetitiver Tonfolgen und der Trockenheit und Reduziertheit innerhalb gefühlvoller Harmonie. Auch der zweite Track wirkt auf den ersten Eindruck zunächst minimalistisch und meditativ. Die gesampelten Schritte in „Ailanthus“ rufen jedoch nicht nur das häufige Unterwegssein der Künstlerin in Erinnerung, fast scheinen sie das Prinzip der Dynamik noch einmal extra zu untermauern, und so folgen, zunächst durch das Zupfen der Saiten, später auch durch perkussive Bearbeitung, kleine Rhythmusansätze. Im Verlauf wird das Instrumentarium dann sogar durch angedeutete Elektronik und bläserartige Sounds erweitert. Einen Höhepunkt an Dramatik bildet das finale „Carapace“, das mit seinen wellenförmigen Klangbewegungen fast ein angedeuteter Postrocksong im besten Sinne ist.

Die vier Stücke auf „Last Day of July“ sind nicht nur ein gelungener kleiner Soundtrack für den Übergang der Jahreszeiten, sondern auch ein Vorgeschmack auf das kommende Album, das gerade unter dem Arbeitstitel „Green and Grey“ am entstehen ist, und auch den Song „ Ailanthus“ enthalten soll. Man darf gespannt sein. (U.S.)