TALONS: Hollow Realm

Hereford ist eine englische Kleinstadt an der Grenze zu Wales, und wenn man hierzulande schon einmal von dem Ort gehört hat, dann aufgrund der berühmten Hereford-Rinder, die seit dem 17. Jahrhundert dort gezüchtet werden und bis heute zu den am weitesten verbreiteten Rinderrassen der Welt zählen. Dank einer Band namens TALONS darf der Name des Städtchens nun auch im Musikatlas etwas dicker gedruckt werden.

Mein Wissen über Rinder hat Grenzen, und ich muss hinzufügen, dass das ebenso auf das „Math Rock“-Genre zutrifft, dem man die sechsköpfige Instrumentalband zuordnet. Solche Bildungslücken sollten aber niemandem den Zugang zur Musik verbauen, und für eine Kurzbeschreibung reicht die Beobachtung, dass Talons wohl eine Postrockband wie aus dem Bilderbuch wären, wenn sie denn die harmonischen Aspekte solcher Musik nicht so konsequent verweigern würden. Ihr Instrumentarium ist das übliche: ein um zwei Violinen ergänztes Rock-Equipment, mit dem sie Lautes und Leises, Dynamik und Momente der Ruhe angemessen zum Zug kommen lassen – all dies in Klangfarben, wie man sie auch bei Gruppen wie MONO oder den frühen MOGWAI kennt und schätzt. Die meisten Postrocker zeichnen sich allerdings trotz ihrer Lust an Tempuswechseln aller Art durch betonte Konsonanz und fließende Tonbewegungen aus, verführen den Hörer, dabei die Feinheiten subtiler Strukturen zu erkunden und sind selten darauf aus, ihn durch allzu unvorhersehbare Brüche zu verwirren. Mit ähnlichen Mitteln verschreiben sich Talons jedoch gerade einem solchen Verwirrspiel. In nahezu jedem der acht Songs gibt es Momente, in denen sich die Musik nach knapp bemessenen Schöngeistereien auf der Violine ganz plötzlich in druckvollen Metal entläd, übergangslos und mit Vorliebe an unpassenden Stellen. Fortan beherrschen komplexe Rhythmen oder punkige Gitarrenriffs das Bild, doch nicht selten mündet die Musik schon bald ebenso plötzlich in ein Crossover-Chaos, aus dem es nurmehr ein einziges Entrinnen gibt, nämlich den Übergang zum nächsten Song. Dort sorgt entspanntes Saitengezupfe oder pathetische Streicherarbeit für die Ruhe vor dem nächsten Sturm, der gleich dann losbricht, wenn den sechs Briten erneut einfällt, dass sie ja eigentlich Krawall machen wollen.

Oft wirken die Kontrastierungen zufällig, improvisiert, kaum so berechnend wie man es dem „mathematischen Rock“ nachsagt. Nur ab und an gibt es Stellen, in denen das Drumming den Gitarrenriffs anscheinend ganz bewusst die Begleitung verweigert und sich die Streichermelodien als derart unpassend entpuppen, dass die Dissonanz fast überdeutlich zutage tritt. Doch auch an solchen Stellen fragt man sich unweigerlich, inwieweit Talons wohl in erster Linie augenzwinkernd als Spieler unterwegs sind. Wer weiß, vielleicht spielt darauf ja der Titel eines ihrer gelungensten Songs an: „Peter Pan“.

Lang ist der Spaß nicht, denn die musikalische Berg- und Talfahrt durch holpriges Rockgelände dauert nur angemessene vierzig Minuten. Auch auf Songebene kommen die Musiker meist schnell zum Punkt – der Unmittelbarkeit ihrer Kompositionen, die so kontrastreich wie bunte Ballons vor tristen Betonwänden sind, kommt das nur zugute. (U.S.)