Wenn es etwas Offensichtliches gibt, das die englische Künstlerin Val Denham und den katalanischen Experimentalpopper Demian Recio verbindet, dann ist es die Affinität zu interessanten Kollaborationen. Beide scheinen immer auf der Suche nach Gegensätzen zu sein und drücken den unterschiedlichsten Gemeinschaftsarbeiten doch stets ihre unverkennbaren Stempel auf. Was bei dem einen mediterrane Wärme, ist bei der anderen das forsche Draufgängertum einer leider noch viel zu unbekannten Transgender-Ikone.
Dass sich die beiden irgendwann einmal treffen und auf die Idee eines gemeinsamen Albums kommen, war kaum zu erwarten und zählt zu den erfreulichen Zufällen der Musikwelt, waren beide doch bisher in ganz unterschiedlichen Umlaufbahnen unterwegs. Demian hat mit seinem Projekt Ô PARADIS eine treue Schar Fans, ist jedoch nach Maßstäben alternativer Popmusik immer ein Geheimtipp geblieben. Man würde sich darüber nicht wundern, wäre sein Stil zwischen bodenständiger Folklore und einem urbanen Triphopsound nicht ebenso beeindruckend wie sein eingängiger Gesang in Moll. Was sein Musikerhandwerk betrifft, ist er vor allem ein leidenschaftlicher Bastler, der hervorragend mit Fieldrecordings arbeitet. Dabei zeigt er, dass Klangkollagen nicht, wie es das Klischee will, “schräg” sein müssen, sondern schönste Popmusik sein können. Val Denham führt eine Doppelexistenz als Malerin und Sängerin, und ist einigen Lesern sicher aus dem erweiterten Umfeld der „England’s Hidden Reverse“-Bands und TG-Abkömmlinge bekannt. Eine solche Einordnung reduziert die forsche Künstlerin mit der hellen Stimme natürlich, die bisweilen eine Brücke zwischen HAWKWIND-inspiriertem Hardrock zu Loop-Dilettantismus schlägt, und die mit ihren bonbonfarbenen Popartgemälden die vermeintliche Wirklichkeit ebenso gern suspendiert wie mit ihren Texten, in denen sie leidenschaftlich gegen das Diktat einer geschlechtlichen Natur ansingt.
Der Absage an Beschränkungen aller Art ist auch das Album „Transform Thyself“ gewidmet, und Denhams Texte sind hier zum Teil so klar und vordergründig, dass sie etwas fast schon Verpöntes wagen – sie transportieren eine explizite Message. Ihr Adressat: kein geringerer als Ikarus. Die Message: Rise Again! Es scheint, als habe Denham einfach mal eben ein paar Epochen Geistesgeschichte mit all ihrer Griechenversessenheit gegen den Strich gebürstet, denn sie zeigt den berühmten mythischen Helden einmal nicht als Allegorie des Scheiterns und der vergeblichen Hybris. Statt Phrasen aufzuwärmen wie „to fail is human“ oder „never will you reach the sun“, wird der Held dazu angehalten, aus einem einmaligen Absturz keine Gesetzmäßigkeit abzuleiten. Wörtlich kommt dieses Thema zwar nur im letzten Stück vor, doch ist jede Minute von „Transform Thyself“ durchzogen vom kämpferischen Optimismus einer Person, die sich abzufinden weigert. Wer ein bisschen zu Denhams Biografie, zu ihrer Kindheit im Körper eines Jungen und ihrer geschlechtlichen „Verwandlung“ recherchiert, ahnt schon ganz gut, auf welche persönlichen Themen diese Bekenntnisse zu Mut und Subversion gemünzt sind. Ihre Weigerung wirkt berechtigt, ihr Mut von Erfolg gekrönt.
Kämpfergeist auch im Ohrwurm „Glow“: Hier wird ein verstecktes, vitales Glühen im Adressaten beschworen, das sich gegen eine langweilige, verzerrte Realität behaupten muss. „Glow“ ist musikalisch eines der Glanzlichter des Albums, erinnert wie viele andere Passagen beinahe an die COIL der frühen 90er, und ist doch auch ein typisches Ô Paradis-Stück. Mehr denn je fällt auf, wie sehr Demians Klänge ihre Farben je nach Gesangsstimme ändern – die englische Frische, die durch den zu Teil sehr schrillen Gesang in die Musik gebracht wird, könnte der Grund sein, weshalb „Transform Thyself“ immer einen Sonderstatus in der Diskographie des Katalanen einnehmen wird, mehr noch als seine Alben mit NOVY SVET. In den Momenten, in denen Demian selbst zum Mikrofon greift, wird dieser Unterschied sehr deutlich, denn die beiden Stimmen sind so verschieden wie absinthgrün und weinrot.
Auch bei anderen Stücken zieht Demian alle Register seiner Soundkünste, greift auf, transformiert und treibt auf die Spitze. Lässt Aufnahmen von fließendem Wasser vorbeiziehen, unternimmt Ausflüge in folkiges Terrain, lässt wie in „You’re Not My Type“ die Tage alter Discomusik anklingen. Das typische Beiwerk sind hier jedoch Zitate alter Showtunes und chansonartige Melodien, die allesamt das Cabaret-Flair des Albums prägen und auch den Bogen zu Denhams letztem Album mit BLACK SUN PRODUCTIONS spannen. Das wird vortrefflich umgesetzt beim eröffnenden „She’s a Witch“, bei dem in der Aufzählung unzähliger Widerborstigkeiten die perfekte Femme Fatale beschworen wird. Beeindruckend, wie sich Denhams Stimme von Bosheit zu Bosheit steigert, dabei wie ein ewig junger Johnny Rotten klingt, während der Schalk eines Gavin Friday allgegenwärtig ist und gelegentlich sogar eine gespenstische Tante Gen um die Ecke schielt. Um weibliche Mythen, wenngleich anderer Art, geht es auch in „Thinking of My Girl“: Besang Antony Hegarty das „Konstrukt Frau“ in „The Rapture“ noch anhand des traurigen Abschmink-Rituals („Eyes are falling, Lips are falling, Hair is falling to the ground…“), so kommt in Denhams Garderobe, passend zur Aufbruchstimmung des Albums, das Ankleiden, die gelungene Verwandlung, zur Sprache.
Auch wenn Denham oft einen direkten Adressaten ansingt, hat man doch schnell das Gefühl, dass der eigentliche Adressat die Künstlerin selbst ist – natürlich stellvertretend für alle anderen „Gender Dysphoric People“, denen die CD gewidmet ist. Ist „Transform Thyself“ nun mehr etwas für Spezialinteressierte? Meines Erachtens wirkt der trotzige Optimismus ansteckend, und beim mehrmaligen Hören offenbart sich das gelungene Zusammenspiel von Gesang und Musik umso mehr. (U.S.)