Inmitten der akzellerierenden und ins Absurde gesteigerten Genreneuschöpfungen sollte man sich der Einfachheit halber vielleicht darauf einigen, dass es auf der einen Seite die Bands gibt, denen man Konsequenz bescheinigen kann, deren Werk sich nur minimal(st) ändert und die die an sie gestellten Erwartungen niemals enttäuschen – die Kehrseite ist eine oftmals große Vorhersehbarkeit, die ermüdend sein kann, von vielen Hörern aber sehr geschätzt wird (der Hörer möchte „nicht in seiner Ruhe gestört sein […] sondern [ist] schon glücklich […], wenn er die alte, vertraute Landschaft wiedersieht“ (Bataille)). Dann gibt es diejenigen, deren Musik fluktuiert, die sich immer wieder neu (er)schaffen, negativ gewendet könnte man von einem inkohärenten, erratischen Werk sprechen. CONTROLLED BLEEEDING gehören sicher zur zweiten Kategorie und Lemos selbst betonte mehrfach, als Fan würde er CONTROLLED BLEEDING ob der vielen Genreüberschreitungen hassen.
CONTROLLED BLEEDINGs Rezeption im deutschsprachigen Raum fußte immer auf drei Säulen: Da sind die frühen Tapes und das Debüt „Knees and Bones“: atonale, brutale Auflösungen allzu klarer Formen, von den NEUBAUTEN beeinflusste Metall-Geräuschorgien, die bedingt das vorwegnahmen, was kurz darauf in Japan Geräuschmusik stark prägen sollte. Dann ab der zweiten Hälfte der 80er durch den Vertrag mit Wax Trax eine Art EBM (also das, was amerikanische Journalisten leider als Industrial bezeichnen sollten und was sich bis in die Gegenwart hineinzieht, wenn Gasmasken geschmückte, Kirmestechno hörende Personen sich selbst als Industrialfans bezeichnen) und schließlich die sakralen, semi-gothischen (in einer frühen Rezension fand sich gar ein Verweis auf eine eigenwillige Form von Kammermusik) Werke, die Lemos hauptsächlich mit Joe Papa aufnahm (z.B. „Music for Gilded Chambers“ oder „Golgotha“) und die für mich trotz oder gerade wegen des fast schon überbordenden Pathos zu den Höhepunkten der Bandgeschichte zählen.
Gerade wegen der Dominanz der oben genannten Stile – was sicher auch mit der Verfügbarkeit der Tonträger zu tun hatte – geriet aber in Vergessenheit, dass CONTROLLED BLEEDING Ende der 70er Jahre in anderer Besetzung eine merkwürdige Art von instrumentalem Progressiverock spielten (ab und zu packte Lemos Archiv-Material aus dieser Phase als Bonustracks auf CDs (wie z.B. beim Reissue von „Songs from the Drain“ oder bei „Dub Songs from a Shallow Grave“) und zuletzt wurde diese Phase der Band mit der Compilation „Before the Quiet“ und auf Teilen der umfangreichen Vinyl-On-Demand-Box gewürdigt).
In der letzten Zeit hatte sich der in früheren Jahren enorme Output verlangsamt, ließen Blogeinträge Lemos’ auf gewisse Ermüdungserscheinungen, auf eine Art musikalischen Burnout schließen. Dazu kam, dass kurz bevor die erneute Zusammenarbeit mit dem langjährigen Mitstreiter Chris Moriarty mit dem von frühen SWANS beeinflussten Slow-Doom-Prokejt SKIN CHAMBER beginnen konnte, dieser wahrscheinlich durch Drogenabusus das Zeitliche segnete und ein Jahr später Joe Papa, Spitzname Bubbler, der Mann mit den vier Beipäsen, im Schlaf starb.
Auf „Odes to Bubbler“ bestehen CONTROLLED BLEEDING neben Lemos noch aus Michael Bazini (Keyboard) und Anthony Meola, dem Schlagzeuger der Ursprungsbesetzung. Die ersten sechs Stücke (zwei davon live in Brooklyn aufgenommen) zeigen diese neue Band, die mit ihren hektischen instrumentalen und in den 70ern verorteten Tracks ganz klar an die frühesten musikalischen Gehversuche anknüpft. Unruhig eröffnet „Trawler’s Song“ das Album. Bei „Chum Grubber“ trifft der Wahnsinn des kurzzeitigen Freejazzprojekts BREAST FED YAK auf „Pets for Meat“, das uralte Stück „Controlled Bleeding“ wie auch der Rest werden von treibendem Schlagzeug und Bass und Lemos’ hektischer Gitarrenarbeit dominiert. Das ist Musik, die aber auch gar nichts mehr mit Industrial zu zun hat, Lemos geht hier bewusst an den Anfang zurück, scheint auch von der Einfachheit der potentiellen Auftritte begeistert zu sein, bei der die Musiker einfach ihre Instrumente einstöpseln und losspielen, ein (betrachtet man die lange Bandgeschichte) „back to the roots“ und ein „back to basics“.
Dann folgen Aufnahmen, die aus den letzten Jahren stammen und schon auf „Songs from a Sewer of Dreams“ und „Gibbering Canker-Opera Slaves“ zu finden waren. „A Love Song (in Two Parts)“ wurde von Lemos alleine eingespielt: Der erste Teil erinnert an die leicht atmosphärisch-ambienten Stücke CONTROLLED BLEEDINGs, bevor der zweite Teil in brutalsten Feedback und Noise untergeht. Es finden sich auch Free Jazz Orgien mit RUINS-Drummer Tatsuya Yoshida („Tatsuya“), ein live Ende der 90er in Rostock aufgenommenes Solostück von Joe Papa, auf der er seine unglaublichen Fähigkeiten beim Scatgesang unter Beweis stellt (er war, wie Lemos einmal in den Linernotes zum fünften Teil der von ihm herausgegebenen „Dry Lungs“-Reihe schrieb, „one of the fastest mouths in the North Eastern U.S.“). Diejenigen, die sich für die industriellere Seite der Band interessieren, werden von „Grinder’s Song“ begeistert sein: Hier hört man schabende Geräusche, in die immer wieder ein Saxophon einbricht, weniger als Soloinstrument, vielmehr als zusätzliche atonale Textur. „Rothko“ ist eine wunderschöne ambiente und sehr melodische Klangfläche, während „Spattered in the Key of ‘O’ “ wieder an BREAST FED YAK anknüpft, bevor die fast schon obligatorischen hidden tracks (eine Liveaufnahme aus den letzten Jahren und ein Noisetrack) das Album abschließen.
Um noch einmal auf den Anfang zurückzukommen: Formen die ersten sechs Tracks ein sehr homogenes Bild einer vitalen Liveband, erscheint das Album durch die anderen Stücke erneut zerrissen, arbiträr, wobei letztlich alle 21 Stücke eines gemeinsam ist: Sie illustrieren eine Weigerung Musik zu spielen, die man nebenher hören kann. Das ist Musik, bei der man sich nicht unterhalten kann und die auch nicht im konventionellen Sinne unterhält.
(M.G.)
Label: Soleilmoon/Winged Disc